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Zur Welt-AIDS-Konferenz in München: Klima und Pandemien: Planetary Health mitdenken!

München ist Gastgeberin der 25. Welt-AIDS-Konferenz vom 21. bis 26. Juli 2024 – Zeit für eine Vorausschau auf künftige Themen der Infektiologie und Tropenmedizin angesichts der Klimakrise.

„AIDS |den Toten | den Infizierten | ihren Freunden | ihren Familien | 1981 bis heute“ – die Widmung auf Wolfgang Tillmans großer Stele mit türkisblauen Kacheln am Sendlinger-Tor-Platz erinnert an die HIV-Pandemie, die auch in München viel Leid und Tote forderte. Wie gut, dass bei der Modernisierung des U-Bahnhofs 2023 das Kunstwerk mit seinem ober- und unterirdischen Teil erhalten blieb. Denn die unterirdisch korrespondierende, ebenfalls türkisblaue „Zwillingssäule“ symbolisiert all das, was die HIV-Infektion seit den 1980er-Jahren aus der Versenkung, dem Untergrund, der gesellschaftlichen Verschwiegenheit ans Tageslicht brachte.

Die ärztlichen, pflegerischen sowie therapeutischen Teams und die Community der mit HIV-Infektion lebenden Menschen haben enorm dazu beigetragen, die medizinische Behandlung offener und individueller zu gestalten, da auch schambelegte und tabuisierte Themen angesprochen wurden.

Durch die antiretrovirale Therapie (ART) und mit Post- und Prä-Expositions-Prophylaxe (PEP/ PrEP) hat die HIV-Pandemie in vielen Teilen der Welt an Schrecken verloren. Jedoch tragen die Menschen in ärmeren Ländern oder unter ressentimentgeladenen Regierungen weiterhin schwer an der Pandemie und ihren Folgen.

Spätestens die Covid-Pandemie hat gezeigt: Vor weiteren Pandemien sind wir nicht gefeit. Heute ist evident, dass der Mensch wesentlich für das Auftreten von Pandemien Klima und Pandemien: Planetary Health mitdenken! Zur Welt-AIDS-Konferenz in München verantwortlich ist. Sein Vordringen in bisher isolierte Lebensräume von Wildtieren wie Primaten, Fledermäusen und Insekten schafft Kontakte zu neuen, ungeschützten Wirten. So gelangen Keime in die Welt, wie es bei HIV, Ebola, SARS, Zika, Mpox und Covid-19 geschah und auch weiter geschieht.

Die klassische Lehre der Tropenkrankheiten kannte den massiven Abbau der Regenwälder, die Zerstörung der Biodiversität, die rasante Reisetätigkeit, den Kollaps der Ökosysteme und die Gefahren durch Klimaveränderungen noch nicht. Sie lehrte, den einzelnen Kranken zu helfen, was gut und richtig war und ist.

Künftig muss sie aber, über das individuelle Patientenwohl hinaus, die grundsätzliche Notwendigkeit von One Health bzw. Planetary Health berücksichtigen. Die Tropenmedizin als Lehre von Krankheiten in warmen und armen Ländern und die Infektiologie müssen einen behutsamen Umgang mit der Natur als wirksamen Schutz vor Pandemien und Klimaänderungen einfordern. Gerade sie können Impulse für ein interdisziplinäres, integratives Denken geben.

Die renommierten medizinischen Fachzeitschriften The Lancet, BMJ, JAMA und Aufrufe der WHO warnen vor schädlichen Gesundheitsfolgen durch den Klimawandel und durch den Verlust der biologischen Vielfalt. Die Weltklimakonferenz COP28 in Dubai forderte mit dem „Call for action“ 2023, die Untätigkeit beim Klimaschutz zu beenden, um so täglich viele Menschen vor Krankheit und Tod zu bewahren. Für die AIDS-Konferenz in München bietet dies eine gute Gelegenheit, neben Vorträgen zu Diagnostik, Therapie und sozialen Fragen der HIV-Infektion den ökologischen Aspekt „Heal without harm“ auf die Tagesordnung zu setzen.

Zwar ist „Heilen, ohne zu schaden“ durch Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen noch unsystematisch und unvollständig erforscht, doch gibt es in den ärztlichen Berufs- und Fachgesellschaften, den Kliniken und Praxen schon jetzt wichtige Denkanstöße:

Viele Medikamente zur HIV-Behandlung wurden vor Jahren zugelassen, ohne ökologische Aspekte ausreichend zu berücksichtigen. Ab jetzt sollte jedes Studiendesign zur Entwicklung und Zulassung von Medikamenten eine Umweltrisikobewertung für Flora und Fauna sowie eine Einschätzung des Energie- und Rohstoffverbrauchs enthalten.

Für Stoffe wie hormonelle Disruptoren und Lichtschutzfaktoren, die die Fortpflanzung z. B. von Fischen und anderen aquatischen Lebewesen beeinträchtigen, braucht es künftig bessere Regelungen zur Vermeidung, Reduzierung bzw. ihrer Abschaffung. Zur Verminderung von Schadstoffen in Gewässern gehören Warnhinweise auf die Verpackungen wie z.B. bei Diclofenac-Gel: „Hände nicht abwaschen, sondern abtrocknen, Tuch im Abfall entsorgen“. Auch die Ausscheidungsprodukte der Medikamente aus dem menschlichen Körper sollten wir dabei beachten.

Als eine der größten globalen Bedrohungen für die Gesundheit von Mensch und Tier gilt die zunehmende Resistenz von Bakterien gegenüber Antibiotika. Daher brauchen wir einen weltweiten Standard zum Schutz vor Verunreinigung von Gewässern und Böden nahe den Produktionsstätten. Das Wissen über Rückstände von Medikamenten in der Umwelt wird inzwischen durch viele Publikationen gestärkt – z.B. durch die Datenbank des Umweltbundesamtes „PHARMS-UBA“. Als Gesellschaft müssen wir die erfolgreiche Antibiotic Stewardship (ABS) für den rationalen, verantwortungsvollen Einsatz geeigneter Antibiotika in richtiger Dosierung und Therapiedauer weiterhin fördern. Durch regelmäßige Schulungen zur indikationsgerechten Verwendung von Einmalhandschuhen können wir das Risiko der Übertragung von Keimen bei unsachgemäßem Gebrauch reduzieren.

Die Lieferketten medizinischer Produkte müssen wir künftig im Ganzen betrachten – von der Fertigung, Rohstoffzusammensetzung, Einkauf, Einsatz bis hin zur Entsorgung. Um die Verschmutzung von Luft, Erde und Wasser am Produktionsort einzudämmen, braucht es einen grenzüberschreitenden, transparenten Rechtsrahmen.

Schon aus Kostengründen werden bei der Herstellung des Medizinbedarfs heute Energie und Rohstoffe sparsam genutzt. Doch bleibt deren Quantität beim Kauf verborgen. Wie auch der CO2-Ausstoß kann dies gemessen und dann schrittweise reduziert werden. Wir brauchen mehr Forschung und qualitätssichernde Maßnahmen zur Vermeidung von Abfällen, zur Mülltrennung, zu Recycling und dem Aufbau nachhaltiger Entsorgungsmethoden. Kunststoff- und Verpackungsalternativen für Handschuhe, persönliche Schutzausrüstung und Inkontinenzprodukte werden bereits gesucht.

Forschung und Lehre brauchen den Bezug ihrer Fachgebiete zu den Wechselwirkungen zwischen Ökologie, sozialen Bedingungen und Infektionskrankheiten. Bei der Entwicklung geeigneter Messmethoden und Geräte müssen wir künftig Unterschiede und Besonderheiten bisher vernachlässigter gesellschaftlicher Gruppen besser berücksichtigen (z. B. zuverlässige Pulsoxymeter bei dunkler Haut, exakte Langzeitwerte für Diabetes mellitus bei jungen Frauen). Die Geschichte der Tropenmedizin im Kolonialzeitalter, ihre Auswirkungen und sprachlichen Begrifflichkeiten harren ihrer Aufarbeitung. Die gesetzlichen Vorgaben der Istanbul-Konvention hinsichtlich Gesundheitsforschung und-versorgung von Frauen müssen wir in der Infektiologie ebenso umsetzen wie eine „Neubewertung von Hygienevorgaben angesichts der Klimakrise“ (Beschluss des 81. Bayerischen Ärztetags 2022) durch die zuständigen Fachgesellschaften.

Das Thema „Heal without harm“ braucht ausreichend Platz bei der Internationalen AIDS-Konferenz. Dies gebieten nicht nur Höflichkeit und Respekt gegenüber den Gästen aus aller Welt, sondern auch der Zusammenhang zwischen der hiesigen Gesundheitsversorgung und den gesundheitlichen Folgen für Menschen in armen und warmen Ländern. Der Klimawandel und die Verschmutzung von Luft und Wasser kennen schließlich keine Grenzen – genauso wenig wie Viren, Bakterien und alle anderen Keime.

Dr. Ursula von Gierke 
Fachärztin für Innere Medizin, Tropenmedizin und Infektiologie Beraterin, Koordinatorin, Trainerin für Ethik in der Medizin (AEM)

MÄA 11/2024