Richtiges Verhalten nach einem Zwischenfall: Warum das Gespräch mit den Patientinnen und Patienten so wichtig ist
Die Erwartungen der Patientinnen und Patienten an die moderne Medizin sind bekanntlich hoch. Kommt es bei der Behandlung zu einer ernsten Komplikation oder unterläuft dem Arzt gar ein Fehler, werden die Erwartungen des Patienten herb enttäuscht. Entsprechendes gilt für die Angehörigen, insbesondere wenn der Patient verstirbt.
Mit der Enttäuschung geht in der Regel das Bedürfnis nach „Aufklärung“ einher, also nach einem Gespräch mit dem behandelnden Arzt über die Ursachen des Zwischenfalls. Untersuchungen haben ergeben, dass die Betroffenen hier primär das Ziel verfolgen, (1) von den Verantwortlichen ein Schuldeingeständnis zu erhalten, (2) das eigene Schicksal anderen Patientinnen und Patienten zu ersparen oder (3) die Verantwortlichen auch nur dazu zu bewegen, ihr Bedauern über das Geschehene auszudrücken. Interessant ist, dass nur vergleichsweise wenige Patientinnen und Patienten als Triebfeder für den Wunsch nach einem Gespräch die Erwartung nennen, eine finanzielle Entschädigung zu erhalten (vgl. Kilian, VersR 2000, 942). Gleichzeitig zeigt nun die Erfahrung, dass Ärztinnen und Ärzte oftmals dazu neigen, einem solchen Gespräch aus dem Weg gehen, sei es aus Zeitmangel, sei es, um der unangenehmen Konfrontation auszuweichen - ganz in Anlehnung an das Sprichwort: „Wer schweigt, verredet sich nicht“ -, oder sei es aus Angst, mit einem Schuldanerkenntnis den Versicherungsschutz zu verlieren.
Dabei kann gerade die mangelnde Bereitschaft, auf die Sorgen und Fragen der Patientenseite einzugehen, dort Misstrauen und Verärgerung hervorrufen. Nach dem subjektiven Empfinden vieler Patientinnen und Patienten reagieren die Verantwortlichen auf einen Zwischenfall oft nicht mit Empathie und Transparenz, sondern im Gegenteil mit Distanz und Sprachlosigkeit. Schnell ist hier dann auf Patientenseite der Entschluss gefasst, Strafanzeige gegen den „mauernden“ Arzt zu erstatten, um dann eben über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen Aufschluss über das „Wie, Wann und Warum“ zu erhalten. Studien aus den USA (vgl. Kilian, VersR 2000, 942) belegen dies.
Ein Beispiel : Angehörige eines Patienten, der unter der Operation verstorben war, formulieren in einem Schreiben: „Doch da waren ja noch die offenen Fragen. Die wollten wir geklärt haben. Deshalb haben wir in den folgenden Tagen vier mal persönlich oder telefonisch versucht, einen Verantwortlichen zu sprechen. Doch vergeblich. Und dann wurde es uns zu bunt: Wir gingen zur Polizei.“
Der Arzt ist deshalb gut beraten, die Aussprache mit den Betroffenen nicht zu scheuen. Vielmehr sollte er die Vorgänge verständlich erklären, die Fakten offen nennen, Einsicht in die Behandlungsunterlagen gewähren und dem Patienten hiervon Kopien aushändigen (zumal er hierzu ohnehin rechtlich verpflichtet ist, vgl. § 630 g BGB), oder sogar die Einholung einer Zweitmeinung vorschlagen. Nichts wäre hier falscher, als arrogant, kämpferisch oder gar verärgert aufzutreten und den Patienten oder seine Angehörigen zwischen Tür und Angel abzukanzeln.
Entgegen einer weitläufigen Auffassung gefährden zutreffende tatsächliche Angaben den Versicherungsschutz nicht. Selbstverständlich ist es dem Arzt erlaubt, ihren Patientinnen und Patienten auf entsprechende Nachfrage die Wahrheit zu sagen, selbst wenn dies letztlich das Eingeständnis eines Behandlungsfehlers bedeutet. Hierzu ist er sogar verpflichtet, wenn diese Information für den weiteren Therapieverlauf (z.B. Indikation zu Revisionsoperation nach Perforation eines Gefäßes) entscheidend ist (vgl. § 630 c BGB). Dem Arzt ist es zwar versicherungsrechtlich nicht mehr untersagt, einen Anspruch des Patienten ohne vorherige Einwilligung der Versicherung anzuerkennen oder zu befriedigen. Gleichwohl rate ich dringend davon ab. Denn stellt sich nachträglich heraus, dass die Ansprüche des Patienten unbegründet sind, entfällt die Leistungspflicht der Versicherung.
Bei allem Verständnis für das Informationsbedürfnis der Patientenseite gilt allerdings auch: das Recht des Arztes, sein (von ihm erkanntes) Fehlverhalten (z.B. Behandlungsfehler) gegenüber dem Patienten oder den Angehörigen zu leugnen oder zu verschweigen, um sich damit im Strafverfahren eine günstigere Ausgangsposition zu verschaffen, bleibt unberührt. Denn niemand ist verpflichtet, sich selbst zu beschuldigen und an seiner Strafverfolgung durch eigenes Tun mitzuwirken.
Damit wird klar, dass das Zwischenfallgespräch nicht nur schwierig, sondern auch eine Gratwanderung zwischen Selbstbezichtigung und Selbstverteidigung ist. Deshalb sollte es nicht spontan unter dem Druck der Ereignisse, sondern mit zeitlichem Abstand und gut vorbereitet geführt werden, und aus Beweisgründen auch nicht alleine, sondern z.B. in Anwesenheit von Kolleginnen oder Kollegen als „Gesprächszeugen“. Zu oft werden nämlich von Patientenseite Aussagen missverstanden oder aus bestimmten Formulierungen Schuldbekenntnisse abgeleitet, die dem Arzt später entgegengehalten werden.
Eine Delegation des Gesprächs an nachgeordnetes Personal verbietet sich, da man damit der Patientenseite den Eindruck vermittelt, die Angelegenheit zu bagatellisieren. Betrifft der Zwischenfall den Oberarzt oder Assistenzarzt, ist der Chefarzt der Abteilung aufgerufen, das Gespräch zu führen, jedenfalls aber daran teilzunehmen. Außerdem sollte der Inhalt des Gesprächs aus Beweiszwecken dokumentiert werden.
Haben die Angehörigen eines verstorbenen Patienten bereits Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet, ist ein Gespräch mit den Hinterblieben nicht mehr sinnvoll, da die Ermittlungen nicht mehr aufzuhalten sind, selbst wenn die Strafanzeige zurückgezogen wird. Gleiches gilt für das Vergehen der fahrlässige Körperverletzung, selbst wenn es sich hierbei um ein sog. Antragsdelikt handelt (vgl. § 230 StGB), da die Staatsanwaltschaften hier regelmäßig das besondere öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung bejahen. Allerdings kann es sich auch in diesen Fällen für das weitere Verfahren günstig auswirken, wenn von Seiten des Arztes eine schriftliche Äußerung des Bedauerns erfolgt. Der Zeitpunkt und Text derartiger Briefe muss natürlich gut überlegt bzw. mit dem Verteidiger abgestimmt sein.
Fazit: Durch eine adäquate Kommunikation mit der Patientenseite lassen sich in vielen Fällen eine für alle Beteiligten belastende langwierige gerichtliche Auseinandersetzung, jedenfalls aber oft Strafanzeigen verhindern. Dem Wunsch der Patientenseite nach einem Gespräch sollte deshalb unbedingt entsprochen werden. Denn – um mit einem weiteren Sprichwort zu schließen: „Schweigen ist gut, besser reden, wer es kann.“
RA Dr. Philip Friedrich Schelling
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Strafrecht
MÄA 24/2022