ECMO-Therapie bei Corona: Anspruch auf Maximaltherapie ist begrenzt!
Entscheidungen über lebenserhaltende Maßnahmen für Patient*innen zu treffen gehört zum Alltag insbesondere von Intensivmediziner*innen. Bisweilen geht es hier auch darum, den mutmaßlichen oder in einer Patientenverfügung formulierten Willen von nicht mehr einsichtsfähigen Patient*innen – in Abstimmung mit Betreuer*innen oder Vorsorgebevollmächtigten – im Sinne eines Verzichts auf oder Abbruchs von lebenserhaltenden Maßnahmen umzusetzen.
Gelegentlich sehen sich Ärzt*innen aber auch mit der Situation konfrontiert, dass Angehörige oder Betreuer*innen die Fortführung einer lebenserhaltenden Maßnahme fordern, obwohl bei infauster Prognose eine medizinische Indikation hierfür weggefallen ist.
Insbesondere bei der Behandlung von intensivmedizinisch versorgten COVID-Patient*innen kann hier wegen begrenzter Kapazitäten bei gleichzeitig steigender Zahl intensivpflichtiger Patient*innen ein zusätzlicher „Ressourcen-Konflikt“ hinzutreten, wie folgender Fallbericht zeigt:
Fall: Unlängst erreichte mich der Anruf eines leitenden Oberarztes einer intensivmedizinischen Abteilung, der Folgendes schilderte: auf seiner Intensivstation liege ein 65-jähriger COVID-Patient und werde mittels ECMO therapiert. Dem Patienten gehe es sehr schlecht, die medizinische Indikation für die ECMO sei mittlerweile weggefallen, so dass er die Therapie ein- und auf ein palliatives Behandlungsregime umstellen wolle. Gleichzeitig wolle er den ECMO-Platz für andere, dringend wartende COVID-Patienten „freimachen“, welche von der Therapie noch „wirklich“ profitieren könnten. Eine Patientenverfügung gebe es nicht, der als Betreuer bestellte Sohn des Patienten lehne aber einen Behandlungsabbruch strikt ab – mit dem Hinweis, die Fortführung der ECMO-Therapie „bis zum Schluss“ entspräche dem mutmaßlichen Willen seines Vaters. Falls die Behandlung eingestellt würde, behalte er sich eine Strafanzeige gegen ihn vor.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Rechtslage wie folgt: Ist bei dem Patienten bei infauster Prognose ein kurativer Ansatz mit der ECMO-Therapie nicht mehr zu verfolgen und damit die medizinische Indikation hierfür eindeutig weggefallen, muss die Therapie nicht mehr fortgeführt werden. So stellt der BGH angesichts des Fortschritts medizinischer Technologie zutreffend fest: „Es gibt keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung eines erlöschenden Lebens um jeden Preis. Maßnahmen zur Lebensverlängerung sind nicht schon deswegen unerlässlich, weil sie technisch möglich sind“. Nicht alles medizinisch Machbare muss auch gemacht werden, vielmehr „bestimmt nicht die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung die Grenze ärztlicher Behandlungspflicht“ (BGHSt 32, 367 (379 f.); Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 6. Aufl., Rn. 720). Wo also – wie vorliegend – die medizinische Indikation für eine möglicherweise lebensverlängernde Maßnahme fehlt, besteht auch kein Anspruch mehr darauf. Vielmehr begrenzt die Indikation insoweit den Inhalt des ärztlichen Heilauftrags.
Und nur zur Klarstellung: Es handelt sich hier nicht um eine „Triage-Entscheidung“, die darauf gerichtet ist, unter mehreren, um nur einen verfügbaren Behandlungsplatz konkurrierenden Patient*innen (z.B. nach dem Kriterium der größtmöglichen Überlebenswahrscheinlichkeit) auszuwählen. Dass bei nicht mehr bestehender Indikation auch der Anspruch auf Fortführung der Therapie entfällt, gilt vielmehr grundsätzlich, also auch dann, wenn sich das Problem der Ressourcenknappheit gar nicht stellt.
Hieraus folgt dann aber auch: Selbst wenn das Verhalten des Sohns, alles zu unternehmen, um einen Abbruch der ECMO-Therapie und damit den Tod seines Vaters zu verhindern, menschlich nachvollziehbar ist, ist eine Umstellung auf ein palliativmedizinisches Behandlungsregime trotz seines „Vetos“ rechtlich erlaubt. Zu verweisen ist hier auf eine grundlegende Entscheidung des BGH (Az.: XII ZB 2/03), in der es wörtlich heißt: „(...) die Frage, welche lebensverlängernden oder -erhaltenden Maßnahmen der Betroffene beanspruchen und der Betreuer folglich als sein gesetzlicher Vertreter für ihn einfordern kann, (ist) nicht vom Betreuungsrecht zu beantworten.
Für eine Einwilligung des Betreuers in eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung ist von vornherein kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung nicht angeboten wird – sei es, dass sie nach Auffassung der behandelnden Ärzte von vornherein nicht indiziert, sinnlos geworden oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist (…)“. Nur soweit also ärztlicherseits eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung als indiziert erachtet und angeboten wird, ist eine Einwilligung des Betreuers als gesetzlicher Vertreter des einwilligungsunfähigen Patienten überhaupt erforderlich. Gleiches gilt dann für die Zustimmung des Betreuers im Falle der Therapiebeendigung: Sie ist dann entbehrlich, wenn die Indikation zur Fortsetzung der Therapie entfallen ist.
Verhaltenshinweise Alleine mit der Feststellung, dass ein Umstellen der ECMO-Therapie auf eine Palliativtherapie trotz Veto des Betreuers rechtlich zulässig ist, ist das Risiko einer Strafanzeige durch den Sohn freilich nicht beseitigt.
Deshalb gilt:
• Über das Fehlen bzw. den Wegfall der Indikation entscheiden die Mediziner*innen in eigener Verantwortung. Der Befund muss deshalb zweifelsfrei feststehen. Er sollte nicht zuletzt wegen seiner forensischen Bedeutung niemals von einzelnen Ärzt*innen gestellt, sondern auch von (konsiliarisch hinzugezogenen) Kolleg*innenen aus anderen Fachdisziplinen, von Seiten der Pflege sowie – falls vorhanden - von einer Ethikkommission breit und einstimmig mitgetragen werden.
• Der Befund und das Votum sowie die jeweiligen Gründe hierfür müssen außerdem alleine schon aus beweisrechtlichen Gründen ausführlich und – auch für ggfs. später beauftragte Sachverständige – nachvollziehbar dokumentiert werden. Dies schafft nicht nur ein Höchstmaß an Objektivität, sondern verteilt auch die Last der Verantwortung und reduziert das Risiko, wegen eines Totschlagdelikts oder unterlassener Hilfeleistung strafrechtlich verfolgt und belangt zu werden.
• Der Sohn/Betreuer sollte in den Prozess der Feststellung der fehlenden Indikation auf allen Ebenen eng mit einbezogen werden.
• Gelingt es auch auf diesem Wege nicht, den Betreuer, auch mit dem Hinweis auf die Rechtslage, „umzustimmen“, empfiehlt es sich, zusätzlich das Betreuungsgericht einzuschalten, um damit Transparenz zu zeigen. Stellt das Gericht fest, dass es im Falle der fehlenden Indikation nicht zuständig ist, ist damit zugleich dokumentiert, dass die Grundsätze der Rechtsprechung (s.o.) im konkreten Fall zu Anwendung kommen und damit das Veto des Betreuers unbeachtlich ist. Auch dies kann der Staatsanwaltschaft die Entscheidung erleichtern, von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abzusehen bzw. dieses mangels hinreichenden Tatverdachts einzustellen.
RA Dr. Philip Schelling
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für Strafrecht
Münchner Ärztliche Anzeigen 02/2022