Angemerkt: Gütesiegel: Ein längst fälliges Urteil
Für manche Praxisinhaber*innen ist es offenbar unerlässlich, über ein sogenanntes Gütesiegel nach dem Muster von Stiftung Warentest zu verfügen. Sie möchten damit die Patientinnen und Patienten beeindrucken und eine Qualität der Praxisleistungen suggerieren, die der tatsächlichen Situation vor Ort möglicherweise überhaupt nicht entspricht. Sucht ein Patient im Internet nach passenden Ärztinnen und Ärzten, dann stößt er schnell auf einschlägige sogenannte Bewertungsportale. Nicht selten findet eine Patientin auch auf der Website einer Praxis den Hinweis auf eine externe Bewertung derselben.
Seit 1993 bereits gibt es beispielsweise das Ranking des Magazins „Focus Gesundheit“. Das Magazin veröffentlicht eine Liste der angeblich besten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands. Anhand eines Gütesiegels, so das Credo des Focus Verlags, können sich die Patientinnen und Patienten besser orientieren, von wem sie sich medizinisch behandeln lassen wollen. Im Internet erklärt die Redaktion ausführlich, wie man diese „Top Mediziner“ ermittelt. Von der Stichprobe über eine Analyse gelange man zu einem Ergebnis. Wer will, kann damit dann auch werben. Gegen eine Lizenzgebühr von rund 2.000 Euro netto erhalten Ärztinnen und Ärzte ein Siegel unter der Rubrik „Focus Empfehlung“.
Kritik an dieser Praxis gab es in den vergangenen 30 Jahren immer wieder. Der Marburger Bund beispielsweise stand diesen Bewertungsportalen immer skeptisch gegenüber. Nun hat die Wettbewerbszentrale, eine „Selbstkontrollinstitution zur Durchsetzung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb“, erfolgreich auf Unterlassung geklagt. Nach Außen erwecke das Magazin den Anschein einer neutralen und objektiven vergleichenden Untersuchung. Tatsächlich aber verkaufe es das Gütesiegel ohne offizielle bzw. neutrale oder objektive Prüfung lediglich auf der Grundlage von Befragungen durch Verlagsangehörige. Das Gütesiegel solle wohl dem Publikum zeigen, dass die als „Top-Mediziner“ oder „Focus-Empfehlung“ bezeichneten Ärztinnen und Ärzte „aufgrund einer neutralen Bewertung“ ausgezeichnet wurden und dadurch eine Spitzenstellung unter den Vertreter*innen gleicher Fachdisziplin in der jeweiligen Region einnehmen.
Am Landgericht München I sahen das die Richterinnen und Richter anders und urteilten, dass das Siegel wettbewerbswidrig ist. Das Landgericht ist der Ansicht, dass die Vergabe des Siegels gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot verstößt. Das Siegel habe die Aufmachung eines „Prüfzeichens“, weshalb die Verbraucher*innen von einer Verleihung aufgrund einer neutralen und sachgerechten Prüfung ausgingen. Derartige Prüfzeichen beeinflussten die Entscheidung bei der Wahl eines Dienstleisters erheblich. Zudem werde bei der Vergabe der Siegel nicht darauf hingewiesen, dass dieses nur bei Zahlung eines nicht unerheblichen Geldbetrags genutzt werden darf.
Offen ist weiterhin die Frage, wie die Nutzung der Ärzte-Siegel aus berufsrechtlicher Sicht zu beurteilen ist. Sollte das Urteil Bestand haben, werden Medizinerinnen und Mediziner das Siegel wohl nicht mehr als Werbung verwenden dürfen, da dieses offenbar die Grenze einer nach der Berufsordnung erlaubten „sachlichen berufsbezogene Information“ überschreitet. Für diejenigen, die das Siegel „erworben“ haben, empfiehlt es sich daher – spätestens mit Rechtskraft des Urteils – auf die Werbung damit zu verzichten.
Die Kammer sagt: Im Grundsatz seien Listen wie die des „Focus“ erlaubt. Im vorliegenden Fall jedoch verließen die Redakteurinnen und Redakteure des Burda-Verlags in irreführender Weise den Bereich des redaktionellen, wertenden Beitrags und erweckten den Eindruck, es finde eine Bewertung nach objektiven Kriterien statt. Das sei wettbewerbswidrig.
Das Werben mit Bewertungen wertet auch der Wissenschaftsjournalist der Süddeutschen Zeitung, Werner Bartens, als fragwürdig. Bei käuflich erworbenen Siegeln sei doch vollkommen klar, dass deren Aussagekraft gar nicht oder nur sehr begrenzt vorhanden sei.
Es handle sich vor allem um Marketing, kritisiert der SZ-Redakteur. „Ich kaufe mir eine Lizenz, um Patienten zu beeindrucken.“ Dabei lasse sich die Güte von Medizin insgesamt nur schwer beurteilen. Das gelte für Portale wie Google oder Jameda (ebenfalls zu Burda gehörig) genauso wie für die „Focus“-Listen.
Meine Meinung: Die Beurteilung einer ärztlichen Leistung hängt u.a. vom Vertrauensverhältnis der Patientinnen und Patienten zu deren Arzt oder Ärztin ab, ist also in vielen Fällen rein subjektiv. So funktioniert eben der medizinische Alltag. Es bleibt zu hoffen, dass mit diesem Urteil endlich dem Wildwuchs auf dem Sektor der Stiftung-Warentestähnlichen Bewertungen ärztlicher Leistungen Einhalt geboten und den damit verbundenen irreführenden Werbeaktivitäten im Internet ein Ende gesetzt wurde. Eine Praxis wird schließlich immer noch am besten von den Patientinnen und Patienten bewertet, die diese aufsuchen.
Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Dieter Adam
MÄA 10/2023