Tuberkulose-Management in München: Nicht nur bei Geflüchteten: Think TB!
Die Tuberkulose (TB) führt unter den Infektionserkrankungen weltweit zu den häufigsten Todesfällen. Die Surveillance dieser Erkrankung ist daher eine wichtige Grundlage für Empfehlungen und Kontrollstrategien.
Die Surveillance wiederum beruht auf den entsprechenden, im Infektionsschutzgesetz (IfSG) vorgesehenen Meldepflichten. In Deutschland sind nach §§ 6 - 9 IfSG in Bezug auf Tuberkulose ärztlicherseits insbesondere dem Gesundheitsamt zu melden:
➜ jede Erkrankung sowie der Tod an einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose (dies auch dann, wenn kein bakteriologischer Nachweis vorliegt),
➜ der Abbruch oder die Verweigerung einer antituberkulösen Therapie,
➜ Geburtsstaat, Staatsangehörigkeit und gegebenenfalls Jahr der Einreise nach Deutschland, sowie
➜ die Überweisung in ein Krankenhaus
Bei einem Erregernachweis muss zusätzlich eine Meldung durch das entsprechende Labor erfolgen. Dieses hat zudem vorab den Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum mitzuteilen und bei Befunderhalt das Ergebnis der Resistenztestung.
Jede Meldung muss unverzüglich, spätestens jedoch nach 24 Stunden erfolgen. Die Meldungen werden anonymisiert auf Landesebene gebündelt und an das Robert-Koch-Institut (RKI) weitergeleitet.
Während Deutschland ein Niedriginzidenzland ist (Inzidenz < 10/100.000), verzeichnete die Ukraine nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2020 mit 73 Fällen auf 100.000 Einwohner eine der höchsten Inzidenzen der europäischen WHO-Region. Die Ukraine gehört darüber hinaus zu den Ländern mit der höchsten Rate an multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB). Bei der MDR-TB besteht eine gleichzeitige Resistenz gegenüber mindestens zwei der sog. Standardtherapeutika, nämlich Isoniazid und Rifampicin. Laut dem Surveillancereport des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) lag 2019 der Gesamtanteil der MDR-TB bei neuen Fällen in der Ukraine bei 27 Prozent.
Die frühe Erkennung kontagiöser Fälle ist sehr wichtig. § 36 Abs. 4 IfSG bestimmt deshalb u.a., dass alle Personen, die in Einrichtungen zur gemeinschaftlichen Unterbringung von Asylbewerber*innen, vollziehbar Ausreisepflichtigen, Flüchtlingen und Spätaussiedler*innen aufgenommen werden, ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen haben, dass bei ihnen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose bestehen. Das Zeugnis muss sich nach der gesetzlichen Regelung neben Anamnese und körperlicher Untersuchung grundsätzlich auf eine in Deutschland erstellte Röntgenaufnahme der Lunge stützen. Bei Personen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben sowie bei Schwangeren ist jedoch von einer Röntgenaufnahme abzusehen. In diesen Fällen ist das Zeugnis auf andere aussagekräftige Befunde zu stützen, etwa einen Interferon-Gamma Release Assay.
Von den im GSR im Zeitraum von Mitte März bis Anfang Mai 2022 bei Flüchtlingen aus der Ukraine angefertigten Röntgenaufnahmen wiesen ca. 2 Prozent auf eine mögliche ansteckungsfähige und behandlungsbedürftige Erkrankung hin. Die Diagnose einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose wurde bei mehr als der Hälfte der eingewiesenen Flüchtlinge bestätigt, eine MDR-TB wurde mikrobiologisch bei ca. 27 Prozent dieser Behandlungsfälle nachgewiesen.
Die Indikation zur antituberkulösen Therapie (ATT) wird nach Bestätigung der Diagnose einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose und/ oder bei Erregernachweis gestellt. Das Standard-Regime der TB-Behandlung umfasst vier sog. First-Line-(„Standard-“)Medikamente (Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol) über insgesamt sechs Monate. Dabei werden Pyrazinamid und Ethambutol nach zwei Monaten abgesetzt. Die Erfolgsrate liegt im Regelfall bei über 85 Prozent.
Bei der MDR-TB werden im Gegensatz dazu – bei einer niedrigeren Erfolgsrate – mehr antituberkulöse Substanzen und eine längere Behandlungszeit benötigt. Weltweit lag im Jahr 2018 die Erfolgsrate der MDR-TB-Therapie bei 59 Prozent.
Levofloxacin (oder Moxifloxacin), Bedaquilin und Linezolid sind hier die wirksamsten Medikamente (WHO-Gruppe A), für Clofazimin und Terizidon (WHO-Gruppe B) gibt es ebenfalls einen signifikanten Behandlungsvorteil. Bis zum Erhalt weiterer Informationen aus der genotypischen und/oder phänotypischen Resistenztestung sollte die Therapie aus allen drei Medikamenten der WHO-Gruppe A und mindestens einem Medikament der WHO-Gruppe B bestehen. Die Behandlungsdauer wird individuell nach dem Therapie-Ansprechen festgelegt, sollte im Regelfall mindestens 18 Monate betragen. Tuberkuloseerreger werden über Aerosole übertragen. Das Infektionsrisiko ist abhängig vom Ausmaß der Erregerausscheidung des Indexfalls und von Häufigkeit, Dauer und Intensität des Kontakts. Bei mikroskopisch positivem Indexfall gilt eine ungeschützte Exposition in geschlossenen Räumen ab acht Stunden als infektionsrelevant, bei ausschließlich kulturell positivem Indexfall beträgt die signifikante kumulative Expositionszeit mindestens 40 Stunden.
Individuell und davon abweichend zu bewerten sind intensive, auch einmalige Kontakte ohne geeignete Schutzmaßnahmen sowie die Exposition besonders suszeptibler Personen wie Säuglinge und Kleinkinder. In den „Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe 250“ werden für den Umgang mit Patient*innen mit offener Lungentuberkulose partikelfiltrierende Halbmasken der Klasse FFP3, mindestens aber FFP2 gefordert. Zwingend zu achten ist auf den korrekten Sitz der Masken. Im März 2022 hat das RKI den „RKI-Ratgeber Tuberkulose“ für Fachkreise aktualisiert.
Hauptabteilung Gesundheitsschutz im Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt München
Münchner Ärztliche Anzeigen 18/2022