Delegiertenversammlung zur Sterbehilfe „Wir müssen uns vorbereiten“
Denn bei geschäftsfähigen Personen ist assistierter Suizid derzeit ohne jegliche Vorgaben erlaubt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 mache hier keine Einschränkungen etwa zu Alter oder Krankheit, sagte der Referent, der bei der Diakonie und beim Krisendienst Psychiatrie arbeitet (siehe hierzu auch das Interview mit Frieß MÄA 1/2025, Seite 4).
Derzeit begleiten die insgesamt vier deutschlandweit tätigen Sterbehilfeorganisationen jährlich um die 1.000 Menschen in den Tod – Tendenz steigend. Allein die größte Organisation, die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben hat rund 40.000 Mitglieder, berichtete Frieß. In der Schweiz mache der assistierte Suizid rund zwei Prozent aller Todesfälle aus. Und auch in Deutschland werde dessen Vorkommen künftig ein gesellschaftlicher Normalfall werden. Doch die Frage sei: Wie gehen wir als Gesellschaft, als Gesundheitssystem damit um?
Alle Gesundheitseinrichtungen müssten sich nun aktiv mit dem Thema auseinandersetzen. In den Pflegeeinrichtungen und Wohngemeinschaften der Diakonie gewähre man nach ausführlicher Diskussion den Bewohner*innen das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben. Rein rechtlich müssten das auch die Kolleg*innen bei anderen Trägern tun, denn die Bewohner*innen hätten in ihren jeweiligen Zimmern ein gesetzlich verbrieftes Hausrecht. Man dürfe einem Sterbehelfer daher den Zutritt zu ihnen nicht verwehren – auch wenn man dies persönlich nicht gutheiße.
Obwohl sich gesetzlich bis nach der Bundestagswahl wahrscheinlich nicht viel tun werde, müssten sich auch Ärztinnen und Ärzte bereits jetzt mit dem Thema beschäftigen.
Frieß befürwortete die Einrichtung von Beratungsstellen nach dem Vorbild des Schwangerschaftskonflikts. „Wir von der Diakonie wären die ersten, die uns hier engagieren“, sagte der Referent. „Denn die meisten, die das Rezept für eine tödliche Pillendosis haben, nutzen es am Ende nicht“. Allein das Gefühl, mit dem Rezept die Kontrolle zu haben, verhindere in der Regel Kurzschlussreaktionen. Aus Angst vor einer Zwangseinweisung erzählten derzeit viele Menschen den Ärzt*innen oder auch ihm nicht von ihrem Suizidwunsch. Durch die Möglichkeit zu einem offenen Gespräch, bekomme man einen Zugang zu ihnen. „Jeder Ort, an dem man offen über seine Suizidgedanken sprechen kann, ist ein Ort, wo Menschen aufgefangen, gestärkt werden können“, sagte Frieß. „Die Pflegenden sind mit dem Thema sehr alleingelassen“, gab ein Delegierter bei der anschließenden Diskussion zu bedenken. Die derzeitige Regelung treffe sie je nach Weltanschauung teilweise extrem. Deshalb duldeten viele Einrichtungen den assistierten Suizid in ihren Häusern nicht und bestünden stattdessen darauf, dass Suizidwillige in ein Hotel verlegt werden. Frieß berichtete, dass sich auch einige Träger von Pflegeeinrichtungen in der Schweiz anfangs gegen dortige Suizide gewehrt hätten. Nachdem man einen Pflegebedürftigen aber mit der Feuerwehr in sein Haus habe bringen müssen, habe man eingesehen, dass eine Verlegung an einen anderen Ort keine Lösung sei. Natürlich verstehe er aber auch, dass ein Suizid in einer Pflegeeinrichtung Auswirkungen auf die dort arbeitenden Menschen und die Personen in den Nachbarzimmern habe.
Ein anderer Delegierter fragte, wie man die freie Willensbildung von Suizidwilligen beurteilen könne und sorgte sich darum, dass es einen sozialen Zwang zum Suizid geben könne. Gesellschaftlicher Druck sei das einzige noch stichhaltige Argument, antwortete Frieß. Es gebe allerdings keine empirische Studie in der Schweiz oder den Niederlanden, die einen Einfluss des sozialen Zwangs zeige. Dabei sei die Sterbehilfe dort mittlerweile bereits seit zwei Generationen erlaubt.
Eine weitere Anwesende beklagte, demenzkranke Menschen mit hohem Pflegegrad würden derzeit in Pflegeeinrichtungen teilweise gegen ihren Willen zwangsernährt, da dies am meisten Geld bringe. Für diese Problematik habe er keine Lösung, sagte Frieß. Demenzkranke gälten als nicht geschäftsfähige Personen. Ein assistierter Suizid sei bei ihnen daher ausgeschlossen. Allerdings führe dies zu dem Dilemma, dass Menschen mit einer entsprechenden Diagnose so gezwungen seien, sich frühzeitig das Leben zu nehmen. Einzig im kanadischen Quebec gebe es derzeit die Möglichkeit, eine vorausschauende Verfügung für den Fall einer Demenz zu machen.
Wie man mit einem Bilanzsuizid umgehen könne, etwa wenn ein Geschäftsmann nach Insolvenz seiner Firma einen Suizidwunsch habe, fragte ein weiterer Delegierter. Frieß antwortete, solchen Menschen könne man häufig in einem Gespräch klar machen, dass Rückschläge im Leben normal seien. In einer akuten Krise müsse man natürlich für das Leben kämpfen. Insgesamt brauche es künftig gute Algorithmen zur Suizidalität, um die Ernsthaftigkeit eines Suizidwunsches beurteilen zu können. „Es ist aber kein Kriterium, ob ich als Arzt oder Ärztin dies verstehe“, warnte der Referent.
Eine Delegierte sagte, sie finde alle Argumente nachvollziehbar, könne sich aber persönlich nicht vorstellen, jemandem eine tödliche Substanz zu spritzen. Für die derzeit aktive Generation der Ärzt*innen sei es schwer, sich für einen aktiven Tötungsprozess zu entscheiden. Frieß betonte erneut, dass Sterbehilfe keine Pflicht für Ärzt*innen sein dürfe. Einen assistierten Suizid könne er persönlich aber unterstützen. Wenn Menschen ihren Suizid selbst ausführen müssten, sei dies eine gute Schutzbarriere. Ein Psychiater gab zu bedenken, dass er in seinem Berufsstand zwar Störungen finden, aber nicht beurteilen könne, ob ein Suizidwunsch eine freie Entscheidung sei. „Wie gehen wir damit in der Praxis um?“, fragte er. Frieß antwortete, dass sicher auch sehr erfahrene Sozialpädagog*innen dies einschätzen könnten. Er vermute aber, dass die Gesellschaft diese Entscheidung am Ende der Ärzteschaft aufbürden werde.
Stephanie Hügler
MÄA 1/2025