Angestellte Ärzteschaft: Ärztekammern brauchen eine neue Ombudsstelle!
Auf dem 127. Deutschen Ärztetag in Essen war die Freiheit des ärztlichen Berufs ein zentrales Thema. Peter Müller, Richter am zweiten Senat des Verfassungsgerichts, sieht die ärztliche Berufsfreiheit sogar explizit als gesamtgesellschaftliches Anliegen.
Gemeint ist in diesem Zusammenhang nicht die eine Freiberuflichkeit im ökonomischen Sinn als selbstständig niedergelassene Ärzt*in, sondern die Weisungsfreiheit in medizinischen Entscheidungen. In unserer Berufsordnung ist dies festgeschrieben: ◆ § 1 Abs. 1 der Muster-Berufsordnung (2011) besagt, dass der ärztliche Beruf kein Gewerbe ist. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf. ◆ § 2 Abs. 2 verbietet Ärztinnen und Ärzten, die Interessen Dritter über das Wohl der Patientinnen und Patienten zu stellen. ◆ § 2 Abs. 4 lautet: Ärztinnen und Ärzte dürfen hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzt*innen entgegennehmen.
Diese Weisungsfreiheit muss für alle Ärzt*innen in der Patientenversorgung gelten. Weisungsfreiheit bedeutet zwangsläufig auch Verantwortlichkeit für Entscheidungen. Die Wahrung der Patienteninteressen wird so sichergestellt.
Zunehmend in den letzten Jahren ist diese Weisungsfreiheit der Ärzteschaft gefährdet. Durch die Zulassung und Verbreitung investorengetragener medizinischer Einrichtungen (z.B. iMVZs) haben sich Strukturen entwickelt, in denen Ärzt*innen in abhängiger Position in Betrieben arbeiten, die primär ökonomische Ziele verfolgen. Sie werden in der Regel von einem vorrangig oder ausschließlich betriebswirtschaftlich ausgebildeten Management geleitet. Investoren unterliegen nicht dem Kammerrecht. Eine von direkter Patientenbehandlung abgekoppelte ärztliche Direktion als Teil einer unter Umständen weit entfernten Konzernzentrale kann hier nicht ausreichend korrigieren.
Ein Drittel der Ärzt*innen in der ambulanten Versorgung ist angestellt und insofern an Weisungen von Arbeitgebern gebunden. Die Zahl dieser angestellten Ärzt*innen wächst seit Jahren kontinuierlich. Können wir von ihnen wirklich erwarten, dass sie die in der Berufsordnung festgeschriebene Freiberuflichkeit umsetzen? Ohne konkrete Unterstützung durch die Kammern ist dies nicht realistisch. Diese Kolleg*innen sind in der Regel nicht vernetzt und arbeiten oft allein oder zusammen mit nur wenigen anderen angestellten Ärzt*innen. Gerade Kolleg*innen mit jungen Familien arbeiten angestellt und sind wegen komplexer Familienorganisation wenig flexibel. Die Bindung an den konkreten Arbeitsplatz und somit auch den Arbeitgeber ist hoch.
Wenn wir in Kauf nehmen, dass ein Drittel der ambulant tätigen Kolleg*innen Kompromisse beim Umsetzen der Berufsordnung machen müssen, werden alle unsere Appelle, die Freiheit der ärztlichen Profession zu erhalten ins Leere gehen.
Selbstständig niedergelassene Kolleg*innen werden in einer Konkurrenzsituation mit stärker am ökonomischen Erfolg ausgerichteten Investor*innen langfristig auch nicht so weiter arbeiten können wie bislang. Ihnen werden vermehrt die wirtschaftlich weniger attraktiven und aufwändigen Patient*innen bleiben.
Viele unmittelbare Handlungsoptionen, um die Kolleg*innen bei der Umsetzung unserer Berufsordnung und bei der Verteidigung der Freiheit unseres Berufs zu unterstützen hat die Kammer nicht. Eine Ombudsstelle, an die sich Kolleg*innen im Konfliktfall wenden können ist ein erster Schritt. Ein Schritt, der per se ein politisches Signal setzt. Ein Schritt, den wir zeitnah und möglichst in allen Kammern umsetzen sollten.
Zielsetzung der Ombudsstellen zur Sicherstellung der ärztlichen Entscheidungsfreiheit in der Patientenbetreuung sollte sein: ◆ Beratung über Regelungen der Berufsordnung ◆ Beratung zum konkreten Vorgehen im Konfliktfall◆ Kontaktaufnahme mit nichtärztlichen Arbeitgebern – sofern von der beratungssuchenden Ärztin/ dem beratungssuchenden Arzt gewünscht, ◆ Sammlung und Auswertung gemeldeter Konfliktfälle ◆ Unterstützung der politischen Organe bei der Bearbeitung dieses Konfliktfelds.
In diesen Ombudsstellen müssen die Kolleg*innen zuverlässige, niederschwellig erreichbare Ansprechpartner*innen in geschützem Rahmen finden.
Dr. Jörg Franke
MÄA 16/2023