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Angemerkt: Weg mit der Kommerzialisierung!

Begonnen hat die ganze Misere der Kommerzialisierung unseres Gesundheitswesens mit Einführung der aus Australien stammenden DRGs (Diagnosis-Related Groups), bei denen für jede Diagnose ein fester Kostenbetrag festgelegt wurde. Das DRG-Verfahren ist ein pauschalisierendes Abrechnungssystem, bei dem z.B. stationäre Krankenhausbehandlungen weitestgehend unabhängig von der Verweildauer der Patientinnen und Patienten über Fallpauschalen abgerechnet werden.

Bald schon wurde es offensichtlich, dass man das in Australien erfundene System nicht eins zu eins auf unsere Verhältnisse übertragen konnte. Aber es geschah trotzdem und funktionierte nur mit Knirschen im Getriebe. Man hat es seinerzeit eingeführt, um ausufernde Kostenrechnungen einzudämmen: So viel kostet z.B. eine Entfernung der Gallensteine im Schnitt – unabhängig von der jeweiligen Situation des Patienten oder der Patientin. Bei den einen ist der Aufwand größer, bei den anderen geringer, also gilt der Durchschnittswert. In vielen Fällen, z.B. in der Neonatologie, funktioniert das überhaupt nicht. 

Demgegenüber besteht nach wie vor bei vielen Menschen die Überzeugung, dass man mit der Behandlung  von Patientinnen und Patienten „viel Geld verdienen“ kann. Wie viel Geld darf mit Gesundheit verdient werden? Eine Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Natürlich müssen alle im Gesundheitswesen Tätigen, von der Pflegekraft bis zur Chefärztin, ein ihrer Arbeit angemessenes Einkommen haben. Rechtfertigt aber der stetig steigende Finanzbedarf des Gesundheitswesens den Versuch, die Krankenhäuser soweit zu kommerzialisieren, dass sie sich selbst tragen oder sogar Überschüsse und damit Gewinne erzielen müssen? Gewiss nicht. Wenn Erträge erzielt werden, dann müssen sie doch dem kollektiven Nutzen der Gesellschaft zu Gute kommen, und nicht den Aktionär*-innen.

Die privaten Krankenhausträger jedoch – und damit die Anteilseigner der privaten Einrichtungen – bedienen sich am Gesundheitssystem in nicht zu verantwortender Weise. Dabei werden allzu oft die Renditen auf Kosten der Belegschaft erwirtschaftet, da ja die DRGs für die Krankenhäuser gar keine Gewinnmargen vorsehen.

Aus diesen Gründen muss die duale Krankenhausfinanzierung dringend reformiert werden. Ursprünglich hatte die medizinische Versorgung einen sozialen Hintergrund, der zugunsten der Geschäftsidee Gesundheitswesen verlassen wurde.

Der Zwang zum Erwirtschaften eines Überschusses trifft nicht nur die privaten, sondern auch die übrigen Krankenhausträger. Grund dafür sind die fehlenden Investitionszahlungen aus den Ländern. Was hier fehlt, müssen die Kliniken selbst aus dem Betrieb herausholen. Das ist das eigentliche Dilemma. Auch aus diesem Grund ist die duale Krankenhausfinanzierung dringend reformbedürftig. Sie funktioniert schon lange nicht mehr. Die Politik muss sich daher eine völlig neue Form der Krankenhausfinanzierung einfallen lassen, z.B. nicht über Kassenbeiträge sondern über Steuern, z.B. entsprechend dem dänischen Modell!

Vor einer zunehmenden Kommerzialisierung in der Gesundheitsversorgung hat ja auch bereits der 125. Deutsche Ärztetag gewarnt. Er forderte die Politik auf, den wachsenden Einfluss von nicht ärztlichen Investoren, insbesondere von sogenannten Private-Equity-Gesellschaften, in den Haus- und Facharztpraxen zu begrenzen. In den Krankenhäusern müssten Ärztinnen und Ärzte vor rein ökonomisch motivierten Einflussnahmen der kaufmännischen Geschäftsführung der Kliniken endlich geschützt werden. Erforderlich ist dazu insbesondere eine Reform der Krankenhausplanung, die die Kooperation der Kliniken statt deren Wettbewerb untereinander fördert.

Zudem braucht es eine am Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtete Vergütung. Die Vergütung darf sich nicht länger ausschließlich an der wirtschaftlichen Effizienz der Krankenhäuser orientieren, sondern muss auch Vorhaltekosten für Personal, Infrastruktur und Technik einbeziehen.

Ärztinnen und Ärzte wollen keine Entscheidungen treffen und auch keine medizinischen Maßnahmen durchführen, die aufgrund wirtschaftlicher Zielvorgaben und Überlegungen erfolgen und dabei das Patientenwohl gefährden, stellte der Präsident der Bundesärztekammer Dr. Klaus Reinhardt vollkommen richtig klar.

Unser neuer Gesundheitsminister Kollege, Professor Karl Lauterbach, ist zwar zur Zeit mit der Coronapandemie nach wie vor mehr als ausgelastet, aber vielleicht hat er doch einmal Zeit, die großen, seit Jahrzehnten anstehenden Reformaufgaben des deutschen Gesundheitswesens anzugehen. Die Appelle des Deutschen Ärztetags dürfen nicht ungehört verhallen, insbesondere dann nicht, wenn an der Spitze des BMG ein Arzt steht. Es wird höchste Zeit, lieber Kollege Lauterbach! Die Ärzteschaft wird es Ihnen danken und die Bevölkerung auch – wahrscheinlich sogar die Krankenkassen. 

Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Dieter Adam
Münchner Ärztliche Anzeigen 08/2022