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Angemerkt: Die Freigabe von Cannabis ist ein Fehler

Im Koalitionsvertrag der Ampel heißt es „Mehr Fortschritt wagen“. Dazu gehört auch die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften“. Damit möchte die Regierung den Rauschgiftcharakter von Cannabis „kontrollieren, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindern und den Jugendschutz gewährleisten“. Auch „Modelle zum Drugchecking“ und „Maßnahmen der Schadensminderung“ sollen vorangebracht werden. Dabei geht es vordergründig um die sogenannte Entkriminalisierung des Drogenkonsums (Bundestagsdrucksache 20/2577)

Derzeit konsumieren drei bis vier Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Cannabis. Weltweit ist es die am häufigsten angewandte illegale Substanz, d.h. ca. 125 bis 227 Millionen Menschen gebrauchen nach Schätzungen der UN die Droge, um sich zu berauschen. Dennoch wird das Suchtproblem immer wieder bestritten.

Beim Rauchen von Cannabis gelangt Tetrahydrocannabinol (THC) über die Lungen und die Blutbahn ins Gehirn. Dort entfaltet es seine Wirkung über die Cannabinoid-Rezeptoren, die mit Körperbewegungen, Lernen, Gedächtnis und dem Belohnungssystem verknüpft sind. Die Aktivierung des mesolimbischen Belohnungssystems ähnelt biochemisch dem Opiat-Konsum und erzeugt das Gefühl, etwas Schönes und Wichtiges zu erleben. Eine Dauerstimulation führt zu Gewöhnung und so zum Bedürfnis nach einer Dosissteigerung. Dies wiederum führt zu einer Gegenregulation mit negativen Auswirkungen auf Motivation, Lernvermögen, Aufmerksamkeit und Stimmung.

Die Wirkungen von Cannabis hängen von der Zusammensetzung, der Dosis, der Häufigkeit, der Applikationsform, sowie der individuellen Disposition und Konsumerfahrung ab. Seit den siebziger Jahren wurde der THC-Gehalt durch gezielte Züchtung hochpotenter Pflanzen auf das 20- bis 100-fache erhöht. Cannabidiol (CBD) mit seinen gegenteiligen Effekten, die die negativen THC-Wirkungen ausgleichen können, ist in neueren Züchtungen nicht mehr vorhanden. Ältere Studien zur angeblichen Harmlosigkeit von Cannabis sind deswegen ohne Aussagekraft. 

Cannabis-Konsum erzeugt Tachykardie und Gefäßerweiterung, „rabbit eyes“ und Appetitsteigerung. Ein Joint hat ähnliche Bestandteile wie Tabak, jedoch mit höheren Konzentrationen an kanzerogenen Stoffen. Cannabis-Konsum fördert Bronchitis und die Emphysem-Bildung. Angst bzw. Panikattacken können bei bis zu einem Viertel der Konsumentinnen und Konsumenten auftreten. Depressive Verstimmungen sind häufig, und das Suizidrisiko ist erhöht. Auch Erschöpfung und Motivationsverlust werden häufig berichtet. Psychoseartige Zustände ereignen sich bei zehn bis 20 Prozent der regelmäßigen Konsumentinnen und Konsumenten. Zwischen 50 und 90 Prozent aller Cannabis-Abhängigen haben eine weitere psychische Störung bzw. ein Problem mit Alkohol-oder anderen Suchtstoffen.

Einige Studien belegen einen positiven Zusammenhang von Cannabiskonsum und bipolaren Störungen bzw. manischen Symptomen. Aufmerksamkeit, Kritikfähigkeit und Urteilsvermögen sind nachweisbar reduziert, geistige und psychomotorische Fähigkeiten verschlechtern sich. Verlängerte Reaktionszeiten, schlechtere Koordinations-, Gedächtnis- und Konzentrationsleistungen werden schon nach geringen THC-Dosen gemessen. Noch vier Wochen nach dem letzten Joint können verminderte Intelligenz- und Gedächtnisleistungen nachgewiesen werden. Cannabis ist nach Alkohol die häufigste Droge im Zusammenhang mit Autounfällen. Wird Cannabis mehr als einmal wöchentlich konsumiert, kann es zu einem Entzugssyndrom mit Unruhe, Schlaflosigkeit, Aggressivität, Appetitlosigkeit, Zittern und Schwitzen kommen – es entsteht Abhängigkeit. Als cannabissüchtig gelten in Deutschland mindestens 300.000 Personen. Längerer Konsum kann zu einer Veränderung der Hirnrezeptoren führen, die empfänglicher für die Opiatwirkung werden und damit den Konsum härterer Drogen anbahnen (sogen. „Gateway-Hypothese“). Ein UN-Bericht warnt vor Überlastung der westlichen Gesundheitssysteme. 

Cannabis ist also keineswegs ein harmloses Genussmittel, sondern bringt erhebliche Risiken mit sich. Da mindestens zehn Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten von Abhängigkeit, fehlgeschlagener Persönlichkeitsentwicklung, Schulabbruch oder einer harten Drogenkarriere betroffen sein können, kommt man alleine in Deutschland auf Hunderttausende Einzelschicksale. Im Rahmen der Legalisierung von Cannabis ist mit einer Welle neuer Konsumenten zurechnen. Wie die jetzt schon überforderte Psychiatrie eine vermehrte Aufnahme drogenassoziierter Akutaufnahmen bewältigen soll, bleibt schleierhaft. Aufgrund der Brisanz und gesundheitlichen Dimension ist eine ehrliche, von Fakten und Sachkenntnis getragene Diskussion in Politik und Gesellschaft notwendig: Wie kann der Cannabis-Konsum einerseits entkriminalisiert und gleichzeitig die Gesundheit Jugendlicher besser geschützt werden?

Führt man sich all diese negativen Haupt- und Nebenwirkungen vor Augen, dann fragt man sich: Welche sogenannten Spezialisten haben die Ampelkoalition seinerzeit bei der Freigabe von Cannabis eigentlich beraten? Wenn nur ein kleiner Teil dieser möglichen Wirkungen von Cannabis im Einzelfall zutreffen mag, dann ist eine Freigabe in höchstem Maße unverantwortlich. Jeder kann in Zukunft Cannabis, wenn auch in lizensierten Geschäften zu Genusszwecken, ohne jede Kontrolle seines Gesundheitszustands erwerben. Cannabis aber sollte, muss und darf nur als Arzneimittel zum Einsatz kommen. Es muss jedenfalls rezeptpflichtig bleiben. Eine Eindämmung der Suchtgefahr ist bei diesem Vorhaben der Ampelkoalition aus meiner Sicht nicht zu erwarten. 

Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Dieter Adam
MÄA 23/2022