Die Perspektive des Berufsschullehrers. Gebt Ihnen eine zweite Chance!“
Herr Ehmer, wie viele Azubis gehen auf die Münchner Berufsschule?
Wir sind mit 1.500 MFA-Azubis aus 1.000 Ausbildungsbetrieben in 50 Klassen bundesweit die größte Berufsschule für MFA. Pro Jahr machen circa 550 Auszubildende bei uns die Abschlussprüfung. Und es werden spürbar mehr. Wir eröffnen immer mehr Klassen und stoßen dadurch mittlerweile auch an räumliche Grenzen. Trotzdem haben wir einen Fachkräftemangel. Es könnten noch viel mehr MFA eingestellt werden, denn früher waren die Krankenhäuser nicht auf dem Markt. Heute hat allein das Klinikum rechts der Isar der TU München in ihren Ambulanzen rund 30 Auszubildende, die München Kliniken etwa 20, und auch kleinere Kliniken wie der Dritte Orden bilden inzwischen MFA aus.
Wie viele bestehen die Abschlussprüfung ?
Anfangs sind es um die 70 Prozent. Die verbliebenen 30 Prozent können es aber hinterher nochmal versuchen – noch zwei Mal. Dazu bieten wir mit großem Erfolg sogenannte Wiederholer-Klassen an, in denen wir die Durchgefallenen wie in einem Crashkurs nochmal auf die Prüfung vorbereiten. Am Ende bestehen bei uns insgesamt etwa 85 Prozent. Leider haben wir immer wieder Prüflinge, die auch bei der dritten Prüfung durchfallen. Ich bin aber auch ein bisschen stolz auf unseren Prüfungsausschuss, dass wir unsere Ansprüche nicht noch mehr aufweichen. In diesem Beruf braucht man einen bestimmten Standard.
Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen, dass doch einige durchfallen?
Das Hauptproblem ist sicher die Sprache. Dazu kommt aber auch, dass das Berufsbild anspruchsvoll und komplex ist. Unsere Schüler*innen lernen quasi eine zweite Fremdsprache, die medizinische Terminologie. Sie lernen, mit teilweise schwerstkranken Menschen umzugehen. Davor habe ich großen Respekt. Deshalb wünsche ich mir aber auch, dass die Ausbildungsbetriebe genau hinschauen, wen sie einstellen und sich auch fragen: Ist diese Person wirklich für diesen Beruf geeignet?
Wie beurteilen Sie die Sprachprobleme Ihrer Schüler*innen?
Es ist immer wieder schade, wenn jemand aufgrund der Sprache scheitert. Wir haben einige Schüler*innen mit Migrationshintergrund, oft Geflüchtete, die sehr gut Deutsch sprechen, weil sie zuerst Deutsch gelernt haben und dann ihre Ausbildung begonnen haben. Rechtlich kann man das nicht verlangen, aber ich möchte die Ausbildungsbetriebe doch bitten, vor der Einstellung zu prüfen, ob die Azubis die Schule sprachlich schaffen können. Leider gibt es immer wieder Fälle, in denen die Praxen den Azubis die Sprachkurse sogar bezahlen würden, die Azubis aber nicht hingehen.
Woran liegt das? Sind die Schüler*innen zu faul?
Wir reden hier von einer Altersgruppe, die sich teilweise noch in der Pubertät befindet. Bei mir stand das Lernen damals auch nicht im Vordergrund. Mit 17 Jahren bin ich vom Gymnasium „geflogen“. Mein Glück war allerdings, dass ich innerhalb von einer Woche eine Ausbildung gefunden habe, die mir den Kopf zurechtgerückt hat. Deswegen sage ich immer: Gebt den Leuten eine zweite Chance. Trotzdem muss es das Ziel sein, eine gute Abschlussprüfung hinzulegen und dafür auch etwas zu tun. Die Schule gibt dafür alles, und ich bin mir sicher, die meisten Betriebe auch.
Wie lassen sich Probleme wie fehlende Sprachkenntnisse lösen?
Es gibt genügend Sprachschulen, die Kurse am späten Nachmittag anbieten. Man kann die Auszubildenden dann auch mal früher gehen lassen. Und auch wir an der Schule machen viele Angebote, die in der Regel auch gut genutzt werden.
Wie kann man die Auszubildenden sonst noch unterstützen?
Der Münchner Stadtrat stattet die städtischen Berufsschulen durch die sogenannte Bedarfsorientierte Budgetierung mit zusätzlichen Stunden aus, die für Teilungen, Teamteaching oder Förderunterricht genutzt werden können. Das hilft uns massiv und wir konnten an der Schule ein großes Netzwerk an Unterstützungsangeboten installieren – inklusive Lernsamstagen. In den Praxen ist wichtig, dass den Auszubildenden die gesamte berufliche Handlungskompetenz vermittelt wird. Diese ist über die Ausbildungsordnung genau definiert. Es liegt auf der Hand, dass ein Augenarzt nicht genauso ausbilden kann wie ein Hausarzt oder ein Internist. Dann ist der Ausbildungsbetrieb aber dazu verpflichtet, entweder für eine überbetriebliche Ausbildung zu sorgen oder den Azubis die Möglichkeit zur Hospitation in einer Praxis von Kolleg*innen zu geben – und zwar Minimum zwei oder drei Wochen. Natürlich hat ein Augenarzt kein EKG und eine Orthopädin behandelt keinen diabetischen Fuß und kein Ulcus, aber das Wissen darüber wird in der Prüfung gefordert.
Gibt es auch positive Beispiele?
Ja, wir hatten z.B. letztes Jahr eine junge Geflüchtete bei uns an der Schule. Ihr ausbildender Arzt bot ihr die Ausbildung an, nachdem er sie an der Kasse von Edeka getroffen hatte. Es hat geklappt, sie hat einen tollen Abschluss gemacht. Eine andere war im sechsten Monat schwanger und hat ihre Zwillinge verloren. Trotzdem kam sie bald wieder in die Berufsschule, weil sie sagte: Ich will diesen Abschluss machen. Weil sie gute Leistungen bringt, wird sie die Ausbildung verkürzen können.
Haben Sie Tipps, was Ärzt*innen tun können, damit es mit der Ausbildung besser läuft?
Ich würde mich freuen, wenn die ausbildenden Praxen auch mal einen Ausbilderkurs besuchen würden. Natürlich haben die Verantwortlichen vielleicht keine Zeit oder Lust, zu lernen, wie viel Pause eine Jugendliche braucht. Aber dann sollten sie jemanden in den Arztpraxen bestimmen, der oder die sich um die Auszubildenden kümmert. Am Klinikum rechts der Isar, aber auch an den München Kliniken gibt es zum Beispiel eine Person, die sich nur mit der Organisation der Ausbildung beschäftigt. In Einzelpraxen geht das vielleicht nicht. Aber auch sie brauchen Beauftragte, die über rechtliche und pädagogische Fragen Bescheid wissen. Die Walner-Schulen bieten hierzu einen passenden Kurs an.
Das Gespräch führte Stephanie Hügler
MÄA 8/2025