Leitartikel

Runder Tisch für gesunde Luft. Enkeltaugliche Politik gefordert

City-Maut, E-Autos oder Grünflächen – was ist der Königsweg beim Umweltschutz? Und was können Ärzte und Politiker gemeinsam zur Verbesserung der Münchner Luft erreichen? Bei einem runden Tisch am 19. Februar gaben Politiker und Behördenvertreter Antworten. Dazu eingeladen hatte der ÄKBV-Ausschuss „Gesunde Umwelt und frische Luft in München“.
Runder Tisch für gesunde Luft. Enkeltaugliche Politik gefordert
Runder Tisch für gesunde Luft. Enkeltaugliche Politik gefordert

Foto: Shutterstock

 

Die Luftverschmutzung zählt zu den Top 10 der führenden Risikofaktoren für die allgemeine Krankheitslast in Deutschland. Auf ihr Konto gehen nicht nur Exazerbationen bei obstruktiven Atemwegserkrankungen und Karzinome des Respirationstrakts. Auch zur ischämischen Herzerkrankung, Schlaganfall, arterieller Hypertonie, Arteriosklerose, Diabetes II und sogar zu Demenzerkrankungen bestehen Assoziationen. Die Gefahr, an obstruktiven Atemwegserkrankungen zu sterben ist bei Luftverschmutzung um bis 4,8 Prozent erhöht.

Darauf machte die Internistin und Vorsitzende des ÄKBV-Ausschusses „Gesunde Umwelt und frische Luft in München“, Dr. Katharina Jäger, aufmerksam. Mehr als 70.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen weltweit belegen die negativen Auswirkungen von Umweltverschmutzung und Luftschadstoffen auf die Gesundheit des Menschen. Insbesondere für den Feinstaub in verschiedenen Größen ist die Schädlichkeit belegt (s. hierzu auch MÄA 01/2019). Für die meisten genannten Erkrankungen stehen nach wie vor nur wenige kausale Therapien zur Verfügung stehen – daher braucht es mehr Prävention.

Seit Ende 2018 befasst sich der ÄKBV und sein Ausschuss intensiv mit dem Thema – aus ärztlicher und aus menschlicher Sicht, um den Kindern und Enkeln eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Im letzten Jahr hat der Ausschuss dazu ein Positionspapier verfasst (s. MÄA 21/2019). Darin fordert er unter anderem die Förderung von emissionsarmer Mobilität durch Stadtplanung, etwa durch Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, abgasfreie und schadstoffarme Technologien, vernetzte Mobilität und autofreies Wohnen, Grünanlagen und Vegetationsflächen, Vorfahrt für Radfahrer und Fußgänger sowie eine Verhaltensprävention von Einzelnen (weitere Forderungen siehe Kasten S. 6). Aufklärung und individuelle Fördermaßnahmen müssten dabei stets vor Verboten stehen, sagte Jäger beim runden Tisch.

Was wir einatmen bestimmt, wie es uns geht. Das bestätigte auch die Referentin für Gesundheit und Umwelt der Stadt, Stephanie Jacobs. „Ihre Forderungen haben wir auch erkannt, und wir packen sie engagiert an“, sagte sie. Ein Masterplan für saubere Luft sieht demnach eine Verkehrswende in der Landeshauptstadt sowie mehr emissionsfreie Mobilität und Elektromobilität vor. Rund 60 Millionen Euro habe die Stadt dafür bereits ausgegeben und u.a. 550 Ladesäulen mit 1.100 Ladepunkten für Elektroautos geschaffen. Damit sei sie deutschlandweit unter den Kommunen Spitzenreiter. Neue U-Bahnen würden gebaut und auch der Radverkehr berücksichtigt. Jacobs zeigte sich zuversichtlich, dass so in München bis 2023 an fast allen Messstationen die Emissions-Grenzwerte eingehalten werden.

Vor allem auf eine „Flottenerneuerung“ der derzeit in München fahrenden Autos setzt hingegen der leitende Ministerialrat des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, Peter Frei. Noch befänden sich rund 15 Prozent ältere Diesel-Fahrzeuge auf den Straßen, sagte Frei. Dabei hätten die neuen Dieselmotoren hervorragende Abgaswerte. Eine Verflüssigung des Verkehrs und bauliche Maßnahmen könnten ebenfalls helfen, die Luftmesswerte zu verbessern, wie etwa die Einrichtung einer „Pförtnerampel“ an der Ecke Prinzregentenstraße / Ismaninger Straße, die bereits zu einer Reduzierung des Verkehrs geführt habe. Der mittlere Ring hingegen sei auch außerhalb der Stoßzeiten mit rund 140.000 Fahrzeugen pro Tag ausgelastet, und da München keinen Stadtautobahnring habe, lasse sich daran auch nichts ändern. Zur schlechten Schadstoffbilanz an der Landshuter Allee habe immer auch der Westwind beigetragen.

„Im Gegensatz zu meinem Vorredner glaube ich nicht, dass wir mit Technik, Wetter und Ampelschaltung weiterkommen“, widersprach ihm Simone Burger, SPD-Stadträtin und Mitglied im städtischen Gesundheitsausschuss. Auch die optimistischen Worte von Stephanie Jacobs wollte sie so nicht gelten lassen. Schließlich gebe es faktisch jedes Jahr mehr Fahrzeuge auf Münchens Straßen. Es brauche eine andere Verkehrspolitik, in der Radfahrer und Fußgänger den nötigen Platz hätten und der Lieferverkehr anders organisiert werde. Burger forderte ein kostenloses Ticket im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) für alle Jugendlichen unter 18, unabhängig von der Entfernung zur Schule oder Ausbildungsstätte. Nur so könne man junge Menschen von Anfang an den öffentlichen Nahverkehr gewöhnen.

Diesen Forderungen zustimmen konnte Angelika Pilz-Strasser, Stadträtin von DIE GRÜNEN-ROSA LISTE, Allgemeinmedizinerin und Mitglied im Gesundheitsausschuss. Sie mahnte aber zu einem schnelleren Vorgehen. Bereits 2017 habe man sich im Stadtrat als Folge des Bürgerbegehrens „Sauba sog i. Reinheitsgebot für Münchner Luft“ mit dem Thema befasst. Umweltschutz und saubere Luft müssten auch bei neuen Stadtgebieten und in den Randgebieten mit eingeplant werden, schließlich seien Pendler für einen großen Teil des Autoverkehrs verantwortlich. Um diese zu motivieren, ihr Auto stehenzulassen sei eine Einbeziehung auch der Nachbarkommunen nötig. Neue U-Bahn-Linien, die erst in vielen Jahren fertig werden, könnten wohl nicht das alleinige Mittel sein. Stattdessen gelte es z.B. auch Straßenbahnen auszubauen.

„Städte sind die Schüsselorte, um die gesellschaftliche Transformation auf den Weg zu bringen“, betonte Linda Avena, Assistenzärztin und Mitglied der Organisation Health for Future. Sie erinnerte an die Klimaschutz-Initiativen anderer Städte wie Wien, Paris und London. Klimaschutz sei auch Umwelt- und Gesundheitsschutz. Den Forderungen des ÄKBV schließe sie sich an, vermisse darin aber die Dringlichkeit.

Prof. Dr. Hans Theiss, CSU-Stadtrat, Kardiologe und Mitglied im Umwelt- und Gesundheitsausschuss der Stadt, bemängelte, dass im Positionspapier nicht auch auf das Rauchen eingegangen werde. Er forderte, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Erst dann könne man die Mehrzahl der Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV bewegen. Bis dahin gelte es, mit dem Auto zu leben und möglichst keine Staus zu produzieren. Das Radfahren zu fördern sei sicher sinnvoll, allerdings legten immer mehr Menschen immer mehr Kilometer in der Stadt zurück. „Selbst wenn wir alles tun, werden wir trotzdem alle Verkehrsmittel brauchen“, sagte er.

„Wir können viel erreichen – auch mehr Menschen vom ÖPNV auf das Radl bringen“, betonte Sonja Haider, ÖDP-Stadträtin und u.a. Mitglied im Umweltausschuss. Ein Großteil der Wege, die man täglich zurücklege, sei kürzer als fünf Kilometer und dadurch gut per Rad oder zu Fuß zu schaffen. So ließe sich der öffentliche Nahverkehr entlasten. Darüber hinaus brauche es nicht nur eine City-Maut, sondern auch eine Verteuerung beim ruhenden Verkehr. 30 Euro jährlich für einen Anwohnerparkplatz seien viel zu wenig, verglichen mit 500 Euro in Amsterdam und 1.200 Euro in Stockholm. Sie zeigte sich aber auch vorsichtig optimistisch: Durch das Böllerverbot an Silvester habe man 15 Millionen Tonnen Müll eingespart und die Luft an Neujahr verbessert. Zudem werde mit dem Altstadtradring dieses Jahr begonnen. 30 neue Stadtplaner würden dafür derzeit eingestellt. Diskussionsbeiträge im Anschluss drehten sich unter anderem um die Themen City-Maut, E-Autos und Grünflächen. Vor allem die Vertreter von CSU und SPD lehnten die City-Maut aus finanziellen und Gerechtigkeitsgründen ab. Sie sei unsozial, weil sie Bürger mit schwachen Einkommen benachteilige. Andere Diskussionsteilnehmer wiederum gaben zu bedenken, dass ärmere Bürger sich im teuren München sowieso kein Auto leisten könnten. Es sei ebenfalls sozial ungerecht, dass manche sich keine Bio-Lebensmittel leisten könnten. Schädliches Verhalten müsse aber möglichst reduziert werden, statt es allen zu erlauben. In Stockholm sei die City-Maut anfangs von einer Mehrheit abgelehnt, nach zwei Jahren jedoch für gut befunden worden, sagte eine Rednerin. Stephanie Jacobs gab zu bedenken, dass die Kommune keine rechtliche Handhabe für eine City-Maut habe. Ob Technik und bessere E-Autos eine Lösung sein könnten, wurde kontrovers diskutiert. Einige Redner forderten mehr Grünflächen und mehr Erholungsraum für alle Bürger.

Auf den Punkt brachte schließlich der Kinderarzt und stellvertretende Vorsitzende des ÄKBV-Ausschusses Dr. Stephan Böse O’Reilly den Abend, indem er auf den neu geborenen Enkel eines Freundes verwies. „Wenn ich an dieses Enkelkind im Jahr 2075 denke, dann habe ich Angst und Sorge“, sagte Böse O’Reilly. „Ich muss mein Verhalten ändern, damit sein Enkelkind eine Zukunft hat. Streitet nicht, sondern fragt Euch: Welche Welt wollt Ihr Euren Kindern und Enkeln hinterlassen?“