Leitartikel

Risiko Luftschadstoffe

Macht schlechte Luft krank? Die gesundheitliche Belastung durch Schadstoffe stand im Zentrum der 132. Delegiertenversammlung am 22. November. Zu einem Vortrag darüber hatte der ÄKBV Prof. Dr. Joachim Heinrich vom Universitätsklinikum München eingeladen. Er zeigte klar: Luftschadstoffe, insbesondere Feinstaub, wirken toxisch.
Luftschadstoffe Autoverkehr

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Dieselskandal, gefälschte Abgaswerte und drohende Fahrverbote – die Liste der mit der Schadstoffbelastung  zusammenhängenden Themen im vergangenen Jahr war lang. Eine fundierte wissenschaftliche Grundlage zu den Schlagzeilen in 2018 bot der Vortrag von Prof. Heinrich vom „Institute and Outpatient Clinic for Occupational, Social and Environmental Medicine“ am Universitätsklinikum München.

Untersuchungen zeigen, dass die Schadstoffkonzentration in unmittelbarer Nähe zu einer stark befahrenen Straße sehr hoch sei, sagte Heinrich. Dabei habe man es mit einer ganzen Reihe von Schadstoffen zu tun. In Feldstudien sei es daher
kompliziert, einen einzigen Schadstoff als gesundheitsschädlich zu identifizieren. Zudem wirkten sich auch klimatische Bedingungen, Witterungsverhältnisse oder das Vorhandensein weiterer Schadstoffe, etwa von Zigarettenrauch, aus. Verstorbene durch Luftschadstoffe ließen sich auch nicht so leicht zählen wie etwa Verkehrstote – man brauche dafür Modelle und Expositionsschätzungen.

Beim Feinstaub müsse man zwischen größeren Teilchen mit unter 10 Mikrogramm (PM10) und kleineren von unter 2,5 Mikrogramm (PM2,5) sowie Ultrafeinstaub unterscheiden.  Während die größeren Partikel laut Studien in die großen Bronchien gelangen, dort aber häufig herausgefiltert werden, schaden die kleineren besonders den kleinen Bronchien und dem gasaustauschenden Bereich der Lunge: „Besonders kleine Partikel können nicht so leicht ausgeschieden
werden“, warnte Heinrich. „Sie dringen leicht in die Blutbahn ein, bleiben länger in der Peripherie und können dort eine besondere Toxizität entfalten“. Neben der Lunge würden auch das Herz, das Gefäßsystem, die Fortpflanzungsorgane und das Gehirn von Schadstoffen in Mitleidenschaft gezogen.

Heinrich konzentrierte sich im Folgenden auf verschiedene Studien zu Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) darunter auf die 2014 von Beelen et al. im Lancet veröffentlichte ESCAPE-Studie (European Study of Cohorts for Air Pollution Effects) zu Luftschadstoffen und Mortalität in Europa. Diese habe europaweite Daten von mehr als 30 an Kindern und Erwachsenen durchgeführten Kohortenstudien genutzt – mit einem längeren Beobachtungszeitraum über viele Jahre hinweg. Ebenso
wie die amerikanische ACS-Studie zeige sie eine erhöhte Mortalität, eine schlechtere Lungenfunktion und ein erhöhtes Lungenkrebs-Risiko bei denjenigen, die einer erhöhten Feinstaubbelastung ausgesetzt waren. „Wer exponiert ist, ist ein halbes Jahr lungenälter“, sagte Heinrich. 

Die durchschnittliche Lungenfunktion bei Kindern sinke, statistisch gesehen, sobald sie häufig verkehrsabhängigen Luftschadstoffen ausgesetzt seien. Die Kurzzeitwirkung einer hohen Feinstaubbelastung auf Patienten mit Asthma oder COPD sei ebenfalls bekannt: Sie führe zur Verschlechterung der Symptomatik und dazu, dass mehr Medikamente eingesetzt werden müssten. Welche langfristigen Auswirkungen die Exposition über Jahre hinweg auf Gesunde hat, sei jedoch fraglich. Zur Korrelation zwischen der Entwicklung einer asthmatischen Erkrankung und Luftschadstoffen bei Kindern und Erwachsenen gebe es eine widersprüchliche Studienlage. Viele Studien zeigten keine statistisch signifikanten Effekte. „Für den Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und Asthma und Heuschnupfen ist aktuell keine Evidenz da“, sagte Heinrich. Eine differenzierte Beurteilung der Schadstoffbelastung sei daher nötig. 

Heinrichs Fazit: Feinstaub erscheint derzeit als schädlicher als NO2. Sowohl europäische als auch US-amerikanische und asiatische Studien zeigten beim Feinstaub Effekte sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Konzentrationen. Zwar seien die Gesundheitsrisiken zahlenmäßig insgesamt klein, doch die Mechanismen seien plausibel und durch Experimente unterfüttert.
Zudem seien große Teile der Bevölkerung davon betroffen: Die Gesamt-Mortalität werde durch eine stärkere Feinstaubbelastung deutlich erhöht. Bei COPD-Erkrankten und bei Asthmatikern steige das Risiko für Exazerbationen. Eine Erhöhung des Risikos, eine dieser Erkrankungen zu bekommen, sei jedoch nicht nachweisbar. Für Kinder zeige sich bei entsprechender Exposition ein erhöhtes Risiko für Atemwegsinfekte und Pneumonien, für Erwachsene ein höheres Risiko für Lungenkrebs. Feinstaub könne zu einer geringgradigen systemischen Entzündung führen. 

Für Stickstoffdioxid (NO2) seien plausible Mechanismen hingegen nur sehr partiell nachweisbar. Zwar seien in Studien Effekte auf die Gesundheit gefunden worden, und bei Asthmatikern seien diese gerade in Innenräumen schon lange bekannt. Insgesamt seien die Auswirkungen offenbar jedoch wesentlich geringer als beim Feinstaub und nicht konsistent nachweisbar. NO2 sei daher eher von untergeordneter Bedeutung, könne aber als Marker für eine starke Luftbelastung durch Straßenverkehr genutzt werden. 

Statements, wonach die Schadstoffbelastung in Deutschland unbedenklich sei, bezeichnete Heinrich als genauso fragwürdig wie den Vorschlag, einfach den Grenzwert für Feinstaub zu ändern, um passende Werte zu erhalten. Die Wissenschaft sei sich weitgehend einig, dass Luftschadstoffe toxisch wirken. Eine Debatte werde derzeit vor allem in den Medien geführt. Politiker, Kommunen und Autobauer müssten ihre Hausaufgaben erledigen: Sie sollten den öffentlichen Personennahverkehr attraktiver machen, Stop-and-Go-Verkehr in der Stadt vermeiden, Fahrverbote in Erwägung ziehen und als Übergangsmaßnahme Umweltzonen ausweiten bis die Grenzwerte eingehalten würden. Heinrich verwies auf Studien, etwa aus London, die zeigten, dass die Feinstaubbelastung durch die Einrichtung einer Umweltzone gesunken und die Gesundheit von Kindern besser geworden sei. Er selbst sei auch für Fahrverbote bei Diesel-Fahrzeugen. 

In ihren Statements zeigten die Delegierten bei der anschließenden Diskussion, wie stark ihr Interesse am Thema ist. Fragen bezogen sich zum Beispiel darauf, was man als Einzelner tun kann, auf Effekte bei Pollenallergikern und auf das Verbrennen von Holz. 

In einem weiteren Vortrag schilderte Dr. Andreas Schießl die Erfolge des Vereins PSU-Akut e.V. zur psychosozialen Unterstützung von Ärzten z.B. nach schwerwiegenden Ereignissen. Der Verein ist aus dem Projekt „den Helfern helfen“ des ÄKBV hervorgegangen. Zu den Erfolgen zählt ein Klinik-Pilot-Projekt zur kollegialen Unterstützung (Peer-to- Peer-Support) an der Schön Klinik Harlaching (s. hierzu auch MÄA 25/2018). Das Projekt sei inzwischen zum gelebten Alltag geworden – mit fünf Peers, die bereits zehn Gruppeninterventionen nach schwerwiegenden Ereignissen durchgeführt hätten. Pro Monat führe jeder Peer mindestens drei Einzelgespräche mit Betroffenen. Die Evaluation dieser Gespräche sei positiv, und auch die Supervision werde von den Peers positiv angenommen. Bis jetzt hätten vier Peerausbildungen für verschiedene Kliniken stattgefunden. 

Schießl bedankte sich ausdrücklich beim Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege für die Anschubfinanzierung des Unterstützungs- Teams bei PSU-Akut, das sowohl klinik- oder praxiseigenen Peers hilft als auch medizinischen Organisationen ohne eigenes Peer-Support-System beisteht (s. hierzu auch Artikel "Raus aus der Sprachlosigkeit" in MÄA 25/2018 ).

Mit der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sei eine gemeinsame Veranstaltung zur Vorstellung des Peer-Support-Modells durchgeführt worden. Außerdem veranstalte der Verein regelmäßig Fortbildungen mit einer breiten Zielgruppe vom Notarzt bis hin zur ärztlichen Führung, so geschehen zum Beispiel bei Mecum, den Stuttgarter Intensivtagen, dem ÄKBV Nürnberg oder der ADAC-Luftrettung.

Der ÄKBV-Delegierte äußerte sich besonders erfreut darüber, dass auf dem Bayerischen Ärztetag 2018 die Einrichtung einer Koordinierungsstelle genauso beschlossen wurde wie die gewünschte Verfügbarkeit von Peer-Support an allen bayerischen Kliniken sowie die Krisenintervention für Praxen und medizinische Einrichtungen wie Medizinische Versorgungszentren.Besonderen Eindruck machte Schießl mit der Vorführung eines Films zur Unterstützung des Peer-Supports und zur Bedeutsamkeit von Prävention. In Interviews mit Betroffenen wurde klar, wie stark die seelische Belastung betroffener Ärztinnen und Ärzte nach einem schwerwiegenden Ereignis sein kann. Zur Prävention eines Burnouts bei Ärztinnen und Ärzten soll im Mai (9. – 12.5.2019) erneut ein Seminar stattfinden. 

Stephanie Hügler