Leitartikel

Parität in Leitungspositionen. Gemeinsam führen

Die Mehrheit der Medizinstudierenden ist weiblich. Doch an den Führungspositionen sitzen noch immer weit mehr Männer. Ein „Aktionsbündnis für mehr Chefärztinnen“ will dies bei den kommunalen Großkrankenhäusern ändern. Die MÄA sprachen darüber mit Dr. phil. Andrea Rothe, Leitung der Stabsstelle Betriebliche Gleichbehandlung an der München Klinik.
Parität in Leitungspositionen. Gemeinsam führen
Parität in Leitungspositionen. Gemeinsam führen

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Frau Rothe, wie ist das Zahlenverhältnis von männlichen Chefärzten zu Chefärztinnen in Deutschland?

Aus Daten von 2008 bis 2024 von 17 der rund 30 Mitgliedskliniken der bundesweiten Allianz kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) wissen wir: Inzwischen sind fast 70 Prozent der erfolgreich Studierenden Frauen. Und bei den Ärzt*innen in Weiterbildung und den Fachärzt*innen befinden sich Frauen mit rund 60 Prozent inzwischen in der Mehrheit. Bei den Oberärzt*innen hat sich seit 2008 ebenfalls etwas getan, auch wenn hier noch keine Parität herrscht. Bei den leitenden Oberärzt*innen allerdings beträgt der Frauenanteil heute immer noch nur etwa 30 Prozent, was aber immerhin eine Verdoppelung in 16 Jahren ist, gegenüber 15 Prozent in 2008. Anders sieht es bei den chefärztlichen Positionen aus. Da hat sich in den vergangenen 16 Jahren nicht nur nichts getan, sondern der Anteil der Chefärztinnen ist im Durchschnitt der AKG-Häuser, die ihre Daten gemeldet haben, sogar von 13 Prozent auf 12 Prozent gefallen. Wir müssen also aktiv etwas tun.

Woran liegt das?

Zum einen an der Reproduktion sozialer Ungleichheit durch den „Similar-to-me-Effekt“: Wir alle umgeben uns gerne mit Leuten, die uns ähnlich sind. Das ist privat kein Problem, aber im beruflichen Kontext kann das dazu führen, dass bei neu zu besetzenden Posten nicht nur nach Qualifikation gewählt wird, sondern auch nach Ähnlichkeit. Zudem wird im ärztlichen Dienst die Qualität der Arbeit immer noch oft über die Quantität der Anwesenheit gemessen. Teilzeitbeschäftigung ist ein Karrierehindernis. Viele Ärztinnen erzählen uns, dass ihre Förderung etwa ab dem 30. Lebensjahr einfach aufhört – oder wenn sie Kinder wollen bzw. haben.

Zudem speisen sich einflussreiche berufliche Netzwerke und Gremien in der Medizin aus Personen aus chefärztlichen Positionen oder Lehrstuhlinhaber*innen. Diese sind wiederum ganz mehrheitlich Männer, also sog. „Old boys networks“. Frauen verfügen über weniger eigene berufliche Netzwerke, und diese sind oft nicht so mächtig. Dadurch fehlen ihnen oft die Förderbeziehungen. Und dann sind nach wie vor die Möglichkeiten von geteilter Führung, „Shared Governance“, im ärztlichen Bereich sehr begrenzt. Die Wissenschaft sagt, es braucht rund 30 Prozent Frauen in einer Führungsebene, damit diese ihre eigene Kultur einbringen können.

Wie sieht es zahlenmäßig bei der München Klinik aus?

Wir sind im oberärztlichen Bereich, nach Köpfen gemessen, inzwischen bei rund 45 Prozent Frauen – also schon ziemlich gut. Dort werden geteilte Positionen langsam zur Routine, wenn genügend Frauen und Männer mitmachen. Bei der Frauenförderung setzen wir auf allen Ebenen an. Für Fachärztinnen und Oberärztinnen in der Familienphase bieten wir einen strukturierten Wieder- einstieg. Es ist z.B. wichtig, dass jemand aus der Abteilung während der Elternzeit fachlich Kontakt hält. Denn Forschungen haben gezeigt, dass es im ärztlichen Dienst schnell zu einer Entfremdung vom Arbeitgeber kommen kann. Viele Ärztinnen fürchten sich davor, später fachlich nicht mehr up to date zu sein. Mit einem „Buddy-System“ halten wir den Kontakt zu ihnen.

Gibt es spezielle Programme für Ärztinnen, die in Leitungspositionen aufsteigen möchten?

Ja, für alle Ärztinnen, die in den nächsten ein bis zwei Jahren eine Führungsposition als Oberärztin, leitende Oberärztin oder Chefärztin anstreben, haben wir schon seit zehn Jahren ein sehr erfolgreiches Mentoring-Programm. Um speziell auch noch einmal die Oberärztinnen auf dem Weg zur leitenden Oberärztin zu stärken, bieten wir seit diesem Jahr ein Programm an, das auf die individuelle Stärkung als Führungspersönlichkeit abzielt. Dazu zählen z.B. Workshops zur Persönlichkeitsentwicklung oder ein Coaching. Wir haben außerdem einen Fortbildungsbonus für Abteilungen, die eine Oberärztin oder eine leitende Oberärztin neu einstellen, den sie dann ihren Ärztinnen zur Verfügung stellen. Denn „Sehen und gesehen werden“ ist ebenfalls wichtig für die Karriereentwicklung, und Ärztinnen besuchen tendenziell seltener Kongresse.

Um auch bei den chefärztlichen Positionen endlich mehr Ärztinnen zu motivieren, sich auf diese Positionen zu bewerben, haben wir das bundesweite Aktionsbündnis für mehr Chefärztinnen gegründet. Bei den chefärztlichen Positionen müssen wir bundesweit agieren, weil Chefärzt*innen in der Regel von außerhalb des eigenen Krankenhauses kommen. Als bundesweite Institution übernimmt die AKG das erste Treffen des Aktionsbündnisses am 23. Oktober in Berlin.

Einige Männer sagen, dass zu viele Frauen keine verantwortungsvolle Position einnehmen möchten. Was entgegnen Sie?

Wir möchten diejenigen unterstützen, die dies möchten und zwingen natürlich keine, die das nicht möchte. Aus meiner Sicht ist das Problem nicht, dass Ärztinnen keine Verantwortung übernehmen wollen. Im Gegenteil, der ärztliche Dienst ist sehr konservativ, und das betrifft auch die meisten Familienkonstellationen. Das heißt, auch wenn sie hochausgebildete Ärztinnen sind, liegt die Verantwortung für die Care- Arbeit für Kinder, pflegebedürftige Angehörige etc. fast ausschließlich bei den Frauen. Für viele Ärztinnen ist dies das Hauptargument gegen eine Führungsposition, weil sie fürchten, beiden Anforderungen nicht ausreichend gerecht werden zu können. Deshalb müssen wir die Arbeitsbedingungen für sie anpassen, etwa durch geteilte Führung, Führen in Teilzeit etc. Wir wollen die Besten haben, und das hängt nun einmal nicht vom Geschlecht ab. Denn letztlich geht es uns um eine möglichst gute Patientenversorgung. Bei geteilter Führung schauen wir übrigens immer, dass wir „überhälftig“ besetzen, damit die ggf. nötigen vermehrten Übergaben nicht zulasten der Versorgung unserer Patientinnen und Patienten gehen.

Wie wollen die AKG und das Aktionsbündnis es schaffen, dass sich etwas ändert?

Wie genau es weiter gehen soll, wird die Kernfrage der Auftakttagung sein. Sinnvoll sind sicher eine bundesweite Netzwerkbildung sowie persönliche Förderbeziehungen in Form von Mentoring für diejenigen Ärztinnen, die eine chefärztliche Positionen anstreben. Daneben braucht es eine Kultur der Ermutigung. Aus meiner Sicht gibt es tat- sächlich zu wenig Bewerbungen von Frauen. Es geht also darum, dass sich die Teilnehmerinnen untereinander bestärken, am Erfolg der anderen teilhaben und dass das Aktionsbündnis dafür Strukturen schafft. Über die AKG haben wir eine gute Reichweite, und ich hoffe, dass wir künftig regelmäßig Angebote und Treffen anbieten können – online und möglichst immer wieder auch in Präsenz. Ärztinnen in leitenden Positionen haben natürlich wenig Zeit.

Wie können andere Kliniken von Ihnen und Sie von anderen lernen?

Wir sind Gründungsmitglied des bundesweiten „Netzwerks Gender und Gleichstellung in kommunalen Krankenhäusern“ mit eigener Website.

Alle Gleichstellungsbeauftragten tauschen sich regelmäßig untereinander aus, mehrmals im Jahr online und einmal im Jahr in Präsenz in wechselnden Häusern der Mitglieder. Es zeigt sich, dass elementare Aspekte für den Erfolg die Unterstützung von ganz oben sind, also von Geschäftsführung oder Vorstand, sowie das Vorhandensein von Gleichstellungsexpert*innen, z.B. Gleichstellungsbeauftragte mit genügend Ressourcen sowie eine Unternehmenskultur, die das unterstützt. Denn das Mühsamste ist der Kulturwandel. Schließlich braucht es auch die Unterstützung durch die Arbeitnehmervertretungen, denn auch sie haben eine Verantwortung für Chancengleichheit.

Da sind wir in der München Klinik tatsächlich ziemlich gut aufgestellt, was daran liegt, dass das Thema Gleichstellung von der Geschäftsführung gefördert wird, wir eine hohe personelle Kontinuität in der zuständigen Stabsstelle Gleichbehandlung haben und wir sehr strukturierte und an Daten und Fakten orientierte Angebote und Programme entwickeln und umsetzen.

Warum ist eine Parität bei Führungspositionen so wichtig?

Die Fachgesellschaften bilden sich aus den Chefärzt*innen bzw. den Lehrstuhlinhaber*innen an den Unis. Und die Fachgesellschaften entscheiden über die Gesundheitsversorgung von morgen. Da Chefärzt*innen und Lehrstuhlinhaber*innen zu fast 90 Prozent männlich sind, dominieren in diesen Gremien immer noch Männer. Man kann aber nur das denken, was im eigenen Kopf ist, und die Lebenswelten – und Erkrankungen – von Frauen und Männern sind oft verschieden. Inzwischen gibt es Studien, die zeigen, dass die Versorgung von Patientinnen und Patienten durch Ärztinnen oft besser ist. Der Spiegel titelte z.B. am 23.04.2024 „Patientinnen haben eine geringere Wahrscheinlichkeit zu sterben, wenn sie von Ärztinnen behandelt werden.“ Gründe scheinen zu sein, dass Ärztinnen sich mit höherer Wahrscheinlichkeit an die wissenschaftlich basierten medizinischen Behandlungsleitlinien halten als Ärzte. Zudem könnte es sein, dass Ärztinnen effektiver kommunizieren und sich stärker auf ihre Patientinnen und Patienten fokussieren. Studien zeigen auch, dass Patientinnen, die von Ärzten operiert wurden, ein höheres Risiko für Komplikationen und Tod hatten, als Patientinnen, die von Ärztinnen operiert wurden.

Was raten Sie Frauen, die eine Führungsposition anstreben?

Sie sollen mutig sein. Frauen verlangen oft nichts, weil sie meinen, man müsse doch sehen, wie fleißig sie sind und, dass sie alles so perfekt machen. Aber Chefärzt*innen haben viel zu tun und sind es gewohnt, dass ihnen die Männer sagen: „Jetzt wär's doch mal an der Zeit, dass ich Oberarzt werde“. Frauen sollten das Gespräch suchen und Wünsche äußern, und zwar möglichst strategisch. Statt zu fragen: „Meinen Sie, dass ich das kann?“, sollten sie lieber fragen: „Ich möchte gerne Oberärztin werden. Was fehlt mir aus Ihrer Sicht dafür noch?“

Frauen sind ihren jeweiligen Krankenhäusern oft sehr treu – auch deshalb, weil sie die Care-Arbeit machen, Verantwortung für die Kinder tragen und deswegen nicht oft den Ort wechseln möchten. Das ist auch gut so. Aber wenn sie merken, dass ihnen das Krankenhaus gar keine Perspektive bietet, sollten sie sich einen Plan B überlegen. Denn Nachfrage gibt es genug.

Was würden Sie Kliniken empfehlen, die Frauen als Führungskräfte gewinnen wollen?

Das Wichtigste ist, dass sie das klar und deutlich kommunizieren. Außerdem sollten sie sich konkrete, messbare Ziele setzen und diese regelmäßig controllen. Das ist zwar unbeliebt, aber sonst bleibt es bei einer Willensbekundung ohne Wirkung. Ich nenne das immer etwas satirisch: „verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre.“ Wenn die Ziele dann in einem bestimmten Zeitraum nicht erreicht werden, ist das kein Weltuntergang. Aber es muss dann geprüft werden, warum das so ist und entsprechend nachgesteuert werden.

Haben Sie politische Wünsche – landespolitisch oder bundespolitisch?

Es bräuchte ein Bundesgleichstellungsgesetz, das für alle gilt. Leider geht der Trend momentan genau in die Gegenrichtung. Viele kommunale Krankenhäuser werden jetzt als GmbHs ausgegliedert, und für sie gelten die Landesgleichstellungsgesetze meist nicht mehr. Viele Krankenhäuser haben auch keine Gleichstellungsbeauftragten mehr. Und wenn die Expertinnen fehlen, fällt das Thema „hinten runter“. Dabei sind Krankenhäuser mit über 70 Prozent weiblichen Beschäftigten Frauenbetriebe, die aber immer noch größtenteils von Männern geführt sind. Wenn wir also die Bedarfe und Bedürfnisse von den Frauen nicht berücksichtigen, wer- den die Krankenhäuser in der Zukunft ein Rekrutierungsproblem haben.

Hat Bayern ein Gleichstellungsgesetz?

Ja, es wurde diesen Sommer nach 30 Jahren novelliert. Anders als z.B. im Saarland fallen in Bayern aber Krankenhäuser, die zwar noch im Besitz der Kommunen sind, aber privatwirtschaftlich ausgelagert wurden, nicht in dessen Geltungsbereich. Es gibt nur noch ganz wenige rein kommunale Klinikbetriebe wie in Nürnberg. Auch wir bei der München Klinik gehören zwar noch der Kommune, sind privatwirtschaftlich organisiert. Der grundgesetzliche Auftrag lautet: „Der Staat fördert die tat- sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Um diesem gerecht zu werden bräuchte es ein besseres Gleichstellungsgesetz. Diese Chance hat Bayern leider nicht genutzt.

Dieses Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA 21/2025 vom 11.10.2025

 

 

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