Leitartikel

Diversity: Kliniken sind bunt

Unter dem Stichwort „Wir sind Vielfalt“ wirbt der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) für Toleranz und ein Miteinander der unterschiedlichsten Personen und Lebensentwürfe. Ganz vorne mit dabei: die Ärztlichen Direktoren der beiden Münchner Universitätskliniken – im Interview mit den MÄA.
Diversity: Kliniken sind bunt
Diversity: Kliniken sind bunt

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Gespräch mit Prof. Dr. Karl-Walter Jauch (Ärztlicher Direktor am Klinikum der Universität München)

Aus welchen Ländern kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Ihrer Klinik?

Sie kommen aus mehr als 100 Ländern. Über 20 Prozent haben einen ausländischen Pass. Ein großer Teil stammt aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawien, z.B. aus Serbien oder Bosnien. Wir haben auch viele italienische und türkische Mitarbeiter. Andere kommen zum Beispiel aus China, Russland und den USA.

Wo arbeiten diese Mitarbeiter?  

Sie sind in allen Bereichen tätig: in der Pflege und Funktionspflege, der Verwaltung und Bewirtschaftung, aber auch in der Ärzteschaft und im Forschungsbereich. Ein Beispiel: Durch die Änderung des Medizinproduktegesetzes haben wir vor Kurzem eine neue Stelle für eine/-n Technik-ingenieur/-in eingerichtet. Wir haben uns schließlich für eine Kollegin aus Kamerun entschieden.

Was fällt Ihnen zum Stichwort Diversity ein?

Diversity bedeutet für mich Toleranz gegenüber Menschen aus anderen Ländern, Gleichberechtigung und Förderung von Frauen, und die Akzeptanz, dass es in jedem Team Menschen gibt, die sich mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Kulturen und Lebensweisen einbringen. Die Herausforderung in der heutigen Zeit ist es, Themen, wie Digitalisierung, Technisierung der Medizin und Zusammenarbeit optimal zu bewältigen.

Welche Rolle spielt die Religion in diesem Zusammenhang?

Auch der Aspekt der Religion spielt vor dem Gesamtthema „kultureller Hintergrund“ eine Rolle. Bereits bei den christlichen Kirchen, einschließlich der Orthodoxie, gibt es eine große Vielfalt, die sich im Umgang miteinander widerspiegeln kann. Entscheidend für mich ist: Nahezu alle Religionen zeigen eine Achtung vor und eine Wertschätzung des Nächsten. Das gilt z.B. auch für den Islam. Bisher hatten wir noch keinen islamischen Gebetsraum. Wir kümmern uns aktuell aber darum, dass dieser bald eingerichtet werden kann.

Wie gehen Sie auf unterschiedliche Lebensmodelle hinsichtlich der sexuellen Orientierung ein?

Die sexuelle Orientierung spielt bei uns in der Klinik keine Rolle. Viele unserer homosexuellen Mitarbeiter leben in eingetragenen Lebenspartnerschaften oder Ehen, die den anderen Mitarbeitern bekannt sind. Es gibt keine Akzeptanzprobleme. Insgesamt kann man sagen: Das Arbeitsklima und das Selbstverständnis am Klinikum bringen durch die Internationalität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine hohe Akzeptanz gegenüber Diversität mit sich, was ich als sehr positiv empfinde.

Wie einfach oder schwer ist es, im Einzelfall mit dieser bunten Vielfalt umzugehen? Ich denke da z.B. auch an Sprach- und Verständigungsprobleme.

Wenn wir derzeit neue Mitarbeiter vor allem für die Pflege anstellen, z.B. aus den Philippinen, dauern die Einarbeitungsprozesse zum Teil ein Jahr oder länger, inhaltlich und sprachlich. Das ist für die bereits vorhandenen Mitarbeiter natürlich eine Mehrbelastung. Wir müssen also schon darauf achten, dass wir nicht gleichzeitig drei oder vier dieser neuen Mitarbeiter auf einer Station einsetzen. Die Pflegedirektion achtet darauf, dass das in einem verträglichen Maß geschieht.

Gab es schon einmal Probleme, weil ein Mitarbeiter mit Migrationshintergrund auf einen Patienten mit  einer rechten  Gesinnung getroffen  ist?

Beim einen oder anderen Patienten gibt es durchaus Akzeptanzprobleme gegenüber ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bis hin zur Beschwerde, dass es mehr ausländische als deutsche Kräfte auf der Station gebe. Offenbar besteht bei manchen Patienten eine Unkenntnis der realen Situation in der Pflege. Manchmal wünschen sich auch Patientinnen eine Ärztin, obwohl aktuell nur ein männlicher Arzt anwesend ist. Dann muss man in einem guten Gespräch klären, dass das nicht immer möglich ist.

Auf der anderen Seite gab es bei vereinzelten Beschäftigten mit Migrationshintergrund auch schon Vorbehalte gegenüber einzelnen Patienten – z.B. bei männlichen Mitarbeitern aus dem arabischen Raum, die Frauen versorgen sollten. Das ist aber die absolute Ausnahme. Wenn wir ein nicht korrektes Verhalten feststellen, machen wir unseren Mitarbeitern klar, dass dieses Verhalten hier keinen Platz hat.

Was können Sie als Ärztlicher Direktor gegen interkulturelle Missverständnisse tun?

Seit meinem Dienstbeginn als Ärztlicher Direktor setze ich mich für die Internationalisierung und die gegenseitige Akzeptanz und Toleranz ein. Manchmal genügt es ja z.B., eine kurze Lebensgeschichte mit Foto über die Beschäftigten im Intranet zu zeigen. Dadurch machen wir klar: Es gibt keine Differenzierung, jeder wird so akzeptiert, wie er ist. Auch bei einem Stationsbesuch rede ich mit allen auf die gleiche Art und Weise. Bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund informiere ich mich ganz besonders, wie es ihnen geht und wie sie zurechtkommen.

Was tun Sie, um Konflikte zu lösen und gar nicht erst entstehen zu lassen?

Intern haben wir ein Konfliktmanagement und machen Belastungsanalysen. Neue Mitarbeiter werden zudem durch ein spezielles Programm der Pflegedirektion langfristig in der Einarbeitungsphase kulturell betreut.

Das führt dann z.B. dazu, dass von den spanischen Pflegekräften, die vor vier Jahren bei uns begonnen haben, fast alle noch bei uns arbeiten. Das ist ein Verdienst des gesamten Teams. Gleichzeitig leben wir in München zum Glück in einer Stadt, die ein friedliches Miteinander und die Akzeptanz verschiedener Kulturen und Lebensweisen fördert.

Was kann eine Klinik zu einem friedlichen Miteinander in der Gesellschaft  beitragen?

Eine Klinik kann nur intern dazu beitragen, indem sie allen Beschäftigten zeigt: Hier wird Vielfalt praktiziert: Wir arbeiten zusammen, haben die gleichen Ziele bei der Arbeit und akzeptieren Menschen so, wie sie sind. Auf der anderen Seite müssen sich die Beschäftigten natürlich auch integrieren: Als Klinikmitarbeiter muss man die deutsche Sprache beherrschen und gewisse kulturelle Gewohnheiten akzeptieren und annehmen. Als Klinik leben wir das vor und haben dadurch für unsere Mitarbeiter, die Patienten und ihre Familien eine Vorbildfunktion.

Gespräch mit Prof. Dr. Markus Schwaiger, Ärztlicher Direktor des Klinikums rechts der Isar

Woher kommen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Klinikum der TU München?

Die gesamte TU ist durch eine große Diversität geprägt. Von den rund 30.000 Studierenden kommen über 20 Prozent aus anderen Ländern. Am Klinikum selbst arbeiten aktuell über 5.000 Menschen. Etwa 21 Prozent davon haben eine nichtdeutsche Staatsbürgerschaft. Sie kommen aus über 80 Nationen. Dadurch, dass die TU München international einen sehr guten Namen hat, ziehen wir zahlreiche Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland an. In der Pflege hingegen gibt es in Deutschland derzeit nicht genügend Fachkräfte. Daher liegt es in unserem Interesse, für diesen Bereich neue Mitarbeiter auch international zu rekrutieren.

Was fällt Ihnen zum Stichwort Diversity ein?

Mit der Teilnahme an der Diversity-Kampagne der Universitätsklinika möchten wir ein Zeichen setzen, dass Deutschland mehr ist als das, was davon oft international in der Politik dargestellt wird. Deutschland ist von der internationalen Vernetzung abhängig. Besonders in den akademischen Berufen sind Offenheit und Toleranz wichtige Aspekte. Als Universitätsklinikum sind wir der beruflichen Integration verpflichtet, zum anderen möchten wir uns mit einem vorbildlichen Verhalten auch nach Außen profilieren.

Neben der Internationalität zählt für mich zum Thema Diversity auch der Gender-Aspekt: 68 Prozent unserer Mitarbeiter sind mittlerweile weiblich, nur noch 32 Prozent männlich. Hinzu kommt der Aspekt des Unterschieds zwischen der Stadt- und der Land-Bevölkerung. Fast 20 Prozent unserer Mitarbeiter pendeln täglich aus verschiedensten Regionen um München in unsere Stadt

Welche Rolle spielt der Aspekt der Religion?

Unter unseren Patienten befinden sich Menschen aus vielen verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Religionen. Der Aspekt der Religion spielt daher vor allem bezüglich der Seelsorge eine Rolle. Diese wird bei uns sehr aktiv von der katholischen und der evangelischen Kirche in einem ökumenischen Team betrieben. Die christlichen Glaubensgemeinschaften sind mittlerweile sehr offen für Diversität und bestrebt, auch in christlich dominierten Kirchen wie einer Krankenhauskapelle Platz für Gebetsräume nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften zu schaffen. In der katholischen Kirche in unserem Haus haben wir einen religionsneutralen Gebetsraum abgegrenzt, den zum Beispiel muslimische Gläubige nutzen können.

Welche Rolle spielen unterschiedliche  sexuelle  Orientierungen?

Auch bei diesem Thema hat sich die Gesellschaft zum Glück sehr geöffnet. Bei einer Belegschaft von rund 5.000 Mitarbeitern ist zu erwarten, dass sich darunter, wie in der Gesamtgesellschaft auch, Menschen mit verschiedener sexueller Ausrichtung befinden. In einer Weltstadt wie München sehe ich das nicht mehr als Problem an.

Wie einfach oder schwer ist es als Klinik,  mit einer bunten Vielfalt an Mitarbeitern und Patienten zurechtzukommen?

Das Hauptproblem aus unserer Sicht ist die Sprache. Daher haben wir eigene Lehrer angestellt, die jungen Schwestern und Pflegern helfen, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern – über das Niveau hinaus, das sie in Sprachzeugnissen nachweisen müssen. Die Medizin ist eine Teamarbeit – daher ist Sprache wichtig. Natürlich kommt es manchmal auch zu lustigen Begebenheiten, wenn im OP zum Beispiel auf einmal nur noch Italienisch oder Spanisch gesprochen wird. Wichtig ist letztlich, dass man sich versteht – in welcher Sprache auch immer. Vor allem bei Ärzten müssen wir bei der deutschen Sprache allerdings ein gewisses Niveau voraussetzen, damit die Kommunikation einwandfrei funktioniert.

Wie gehen Sie mit Dialekten um? Was passiert, wenn zum Beispiel eine Pflegekraft aus Kroatien auf eine Patientin mit starkem bayerischen Dialekt trifft?

Diese Thematik kann man bei einem Mix aus unterschiedlichen Mitarbeitern nie ganz lösen. Viele Schwierigkeiten lassen sich durch nonverbale Kommunikation beheben. Wichtig ist allerdings, dass aus sprachlichen Missverständnissen keine Probleme bei der medizinischen Versorgung entstehen.

Ist es schon einmal passiert, dass zum Beispiel ein moslemischer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund auf einen rechtsradikal orientierten Patienten getroffen ist?

Zum Glück gab es das noch nicht. Kulturelle Unterschiede sind bei uns nur selten im Klinikalltag spürbar. Es gab schon einmal Probleme, wenn eine Patientin aus dem arabischen Raum sich nicht so untersuchen lassen wollte oder konnte, wie wir das bei europäischen Patientinnen tun würden. Aber das sind Ausnahmesituationen. Sorgen macht uns allerdings die zunehmende Gewaltbereitschaft. Pflegepersonal und Ärzte werden heute häufiger gewaltsam angegangen als früher. Leider ist das ein Phänomen, das in ganz Deutschland unter allen Bevölkerungsgruppen zu beobachten ist und nicht nur den Gesundheitssektor betrifft.

Wie reagieren Sie als Klinikum auf diese gesellschaftliche Tendenz?

Wir haben jetzt mit Deeskalations-Trainings begonnen, um unser Personal zunehmend zu schulen. Es gibt ja nicht nur Konflikte, die mit Diversität zu tun haben, sondern auch deutsch-deutsche Konflikte. Von Fachleuten wird immer wieder empfohlen, in solchen Situationen Ruhe zu bewahren und den Weg der Deeskalation zu gehen.

Wie kann eine Klinik zu einem friedlichen Miteinander in der Gesellschaft beitragen?

Wir Krankenhäuser sind Modelleinrichtungen. Wenn wir uns zu Diversity bekennen, wird womöglich auch anderen Institutionen und Unternehmen klar, dass dies gut funktionieren kann. Zudem sehen auch die Patienten, dass die Hautfarbe und die Religion in der Interaktion mit Menschen, die einem helfen, nicht so wichtig sind. Bei einem Krankenhausaufenthalt sind Pflegende und Ärzte sowie Patienten aufeinander angewiesen. Diese Erfahrungen nimmt man auch mit in das Leben außerhalb des Krankenhauses.