Leitartikel

Tagesklinik für Demenzkranke: Mehr Lebensqualität für Patienten

Wer häufig Demenzkranke behandelt, weiß, welche Herausforderungen dies medizinisch und organisatorisch mit sich bringt. An der Schön Klinik in Schwabing existiert seit einem Jahr die erste neurologische Münchner Tagesklinik speziell für diese Patientengruppe. Die Vorteile der teilstationären Versorgung schilderte Chefarzt Dr. Jürgen Herzog.
Tagesklinik für Demenzkranke: Mehr Lebensqualität für Patienten und Angehörige
Tagesklink für Demenzkranke: Mehr Lebensqualität für Patienten und Angehörige

Foto: Schön Klinik

 

Herr Dr. Herzog, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Tagesklinik für Demenzkranke einzurichten?

Wir haben schon seit über zwölf Jahren hier am Haus eine Tagesklinik mit dem Schwerpunkt Parkinson und Bewegungsstörungen. Dort haben wir auch schon Patienten mit kognitiven Einschränkungen behandelt, die in diesem Setting aber etwas verloren waren, weil wir keine spezifische Unterstützung für sie bieten konnten. Seit vielen Jahren betreiben wir außerdem eine spezielle Station für Demenzpatienten, auf der wir die Limitationen einer stationären Behandlung – Unruhe, Verwirrtheit, Weglaufgefährdung – kennengelernt haben. Beides hat uns dazu bewogen, innerhalb des letzten Jahres ein spezifisches tagesklinisches Konzept für Demenzpatienten zu entwickeln. Dabei kam uns zupass, dass Räumlichkeiten in unserer Klinik frei geworden sind, die wir auch gestalterisch an diese Patientengruppe anpassen konnten.

Für welche Patienten ist die Tagesklinik geeignet?

Als wir sie im Oktober 2018 eröffnet haben, hatten wir primär an leicht bis mittelgradig demente Patienten gedacht. Heute glauben wir, den Schweregrad in Einzelfällen sogar etwas nach oben verschieben zu können, weil wir geschultes Personal, Unterstützungs- und Pflegekräfte, vorhalten und weil das Setting den Patienten so gut tut, dass sich manche zur Aufnahme führenden Probleme relativ schnell bessern. Heute sind wir in der Lage, zumindest einzelne weglaufgefährdete oder verhaltensauffällige Patienten, die fremd- oder eigenagressiv sind, und auch mobilitätseingeschränkte Patienten mit Rollstuhl, Rollator oder Gehhilfen gut zu versorgen.

Was sind die Vorteile gegenüber einer stationären Unterbringung?

Der wesentliche Vorteil für die Patienten ist, dass sie nicht aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden. Sie kommen morgens um 9 Uhr und gehen nachmittags um 17 Uhr wieder nach Hause, verbringen also die häufig problematischen Nächte im gewohnten Umfeld, z.B. beim Lebenspartner. Der zweite Vorteil ist, dass wir uns mit der Taktung der tagesklinischen Termine ein bisschen nach gewohnten Abläufen der Patienten richten können. Sie müssen nicht, wie im stationären Rahmen, sieben Tage pro Woche vor Ort sein, sondern kommen in der Regel drei bis fünf Tage pro Woche. Wenn ein Patient seit Jahren immer donnerstags seinen Massagetermin hat oder seinen gewohnten langen Spaziergang durch den Hofgarten macht, dann lassen wir das dem Patienten.

Wie lange dauert die Behandlung?

Die durchschnittliche Verweildauer beträgt zwischen 15 und 20 Behandlungstage. Bei drei Tagen die Wochen entspricht das also etwa fünf oder sechs Kalenderwochen. Abhängig vom Bedarf kann die Behandlung auch mal kürzer oder länger sein. Einzelne Patienten haben wir auch schon 30 Tage behandelt.

Was sind die Gründe für eine Aufnahme in die Tagesklinik?

Es muss immer einen oder mehrere medizinische Gründe geben, zum Beispiel, dass sich bestimmte Symptome einer bekannten Demenz deutlich verschlechtern, etwa die Gedächtnis- oder Orientierungsleistung, dass die Patienten gangunsicher sind und zu Hause stürzen, Fieber bekommen, nicht mehr trinken oder essen. Auch Stimmungsverschlechterungen, Wahnvorstellungen oder andere körperliche Symptome können eine Rolle spielen. Eine umfangreichere Demenzdiagnostik kann ebenfalls ein Grund sein: Wenn jemand mit 65 verschiedene internistische Grunderkrankungen hat und dann noch Gedächtnis- oder Verhaltensstörungen entwickelt, braucht er in der Regel drei bis vier Facharztbesuche – da geht für einen gesetzlich Versicherten schnell mal ein dreiviertel Jahr ins Land. Zudem kommunizieren viele ambulante Stellen nicht optimal miteinander, und es kommt zu Doppel- und Dreifachuntersuchungen. Dafür können wir in wenigen Tagen eine Lösung finden – unter einem Dach und aus einer Hand.

Was passiert genau bei der teilstationären Behandlung?

Wir bieten eine komplette neurologische, neuroradiologische und internistische Diagnostik und greifen für andere Fachbereiche auf externe Partner zurück. Zwar stehen wir vor den gleichen Limitationen wie alle Ärztinnen und Ärzte, die sich mit Demenz beschäftigen: Wir können sie nicht heilen, und es gibt nur ganz wenige Medikamente, die den Krankheitsverlauf vorübergehend beeinflussen. Aber wir können viele Begleitsymptome sinnvoll medikamentös behandeln, darunter Depressionen, Wahnzustände, Schmerzen oder körperliche Einschränkungen wie Gangunsicherheit. Außerdem „entrümpeln“ wir häufig fachmännisch die Medikamentenpläne unserer Patienten, um überflüssige oder problematisch wechselwirkende Medikation zu streichen.

Zusätzlich helfen uns aktivierende Therapien wie Physio-, Ergo-, Sprach- und Schlucktherapie, neuropsychologisches Training, Musik- und andere kreative Therapien – angelehnt an die individuellen Störungsbilder und Bedürfnisse der Patienten.

Wie erfolgreich ist die Behandlung langfristig?

Gibt es Vorkehrungen für Entlassung und Nachsorge? Sicherlich profitieren einzelne wenige Patienten nur bedingt von der Behandlung – z. B. weil die Erkrankung zu weit fortgeschritten ist oder wir mit unseren Maßnahmen nicht wirklich weiterkommen. Die Mehrzahl jedoch profitiert erheblich – nicht nur für den Moment, sondern auch nachhaltig. Das sehen wir z.B., wenn die Patienten in unsere Ambulanz für Kognitive Störungen wiederkommen, die allerdings nur Privatversicherten und Selbstzahlern vorbehalten ist. Aber auch bei Patienten, die sich nach einem Jahr erneut bei uns teilstationär behandeln lassen. Die positiven Auswirkungen halten nach unseren ersten Erfahrungen teilweise über sechs bis acht Monate an. Wichtig ist jedoch, dass die Nachhaltigkeit zu Hause weiter wirken kann. Wir kümmern uns daher auch stark um die Angehörigen, indem wir sie zu klassisch sozialmedizinischen Fragen beraten und dazu, wo sie sich Hilfe holen können – etwa in den Alten- und Servicezentren. Wir vermitteln ihnen Pflegedienste, helfen ihnen mit der Behördenarbeit. Besonders wichtig ist, dass sie einen besseren Umgang mit ihren demenzkranken Angehörigen lernen. Wir trainieren sie darin, wie sie mit herausforderndem Verhalten umgehen, wie sie besser kommunizieren – in einer Sprache, die Demenzpatienten besser verstehen. Das tun wir über Angehörigengruppen, aber auch über Einzelberatung.

Über wie viele Plätze verfügen Sie und wie sind diese aktuell ausgelastet?

Im Bettenplan der Regierung ist die Tagesklinik für Demenz mit 12 Betten verankert. Wir haben aber die Räumlichkeiten und das Personal, um 16 Patienten gleichzeitig zu behandeln. Derzeit behandeln wir durchschnittlich 12 Patienten pro Tag. Wir haben also aktuell noch Kapazitäten frei.

Was sollten zuweisende Ärztinnen und Ärzte beachten?

Zunächst sollten sie wissen: Obwohl wir eine Klinik in privater Trägerschaft sind, ist die Tagesklinik für die Behandlung von gesetzlich und privat versicherten Patienten zugelassen. Zudem kümmern wir uns um die Formalitäten, indem wir etwa bei den Kostenträgern die Anträge für die tagesklinische Behandlung stellen, falls dies nötig ist. Die Niedergelassenen haben daher bis auf die Kontaktaufnahme zu uns und das Ausstellen eines stationären Einweisungsscheins keine zusätzliche Arbeit. Der Transport der Patienten zur Tagesklinik wird ebenfalls von uns organisiert – auch bei Rollstuhlfahrern. Dazu arbeiten wir mit unterschiedlichen Taxiunternehmen zusammen und kümmern uns auch hierfür um die Kostenübernahme. Die Taxifahrer sind geschult und stellen die Patienten nicht einfach nur an der Eingangstür ab, sondern übergeben sie jeweils an uns und die Angehörigen. Ich glaube, viele Niedergelassene haben noch wenig konkrete Vorstellungen, welche Patienten sie zu uns schicken können. Wir raten ihnen, die Schwelle nicht zu hoch anzusetzen: In der Regel finden sich immer gleich mehrere kleinere Probleme, die über die Zeit akkumulieren. Und diese lassen sich in unserem Setting gut lösen.

Haben Sie Wünsche an die zuweisenden Ärztinnen und Ärzte?

Mein Hauptwunsch wäre, dass wir von diesem Nihilismus wegkommen, den sich viele Ärzte im Umgang mit Demenzkranken angewöhnt haben. Nicht selten werden Diagnosen vorschnell gestellt – ohne die entsprechende Diagnostik. Nicht jeder, der älter wird und Gedächtnisprobleme hat, hat automatisch eine Demenz. Gleichzeitig sollte man bei Demenzverdacht auch nicht in das Muster „da kann man ja ohnehin nichts machen“ verfallen. Wir können Demenz nicht heilen, aber den Patienten und ihren Angehörigen extrem viel Lebensqualität verschaffen und dabei viele Symptome alltagsrelevant verbessern.

Gibt es Pläne oder Hoffnungen für die Zukunft?

Derzeit möchten wir vor allem, dass die vorhandenen Kapazitäten gut genutzt werden. Natürlich wünschen wir uns auch, dass das wachsen kann und wir unser Angebot z.B. irgendwann mit einer Tagesstätte mit passender pflegerischer Versorgung ergänzen können. Wir freuen uns, wenn unser tagesklinisches Angebot bekannter wird – denn es ist extrem sinnstiftend für die Patienten.