Leitartikel

Reiserückkehrer*innen, Corona in der Urlaubszeit

Endlich Sommer, endlich Urlaub, endlich raus aus der Stadt. Das denken sich derzeit viele. Doch gerade Reiserückkehrer*innen sind aktuell das größte Risiko für eine zweite Welle. Wie die Stadt darauf reagiert schilderte die Umwelt- und Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs im Interview.
Reiserückkehrer*innen, Corona in der Urlaubszeit
Reiserückkehrer*innen, Corona in der Urlaubszeit

Bild: shutterstock

 

Frau Jacobs, wie schätzen Sie die aktuelle Lage der Corona-Pandemie in München ein?

 Seit dem Peak um Ostern herum haben wir insgesamt konstant sinkende Zahlen. Die Maßnahmen zum Lockdown haben sich sehr gut ausgewirkt. Allerdings merken wir gerade durch die Reiserückkehrer*innen, wie volatil dieser Erfolg ist. Die Zahlen schwanken stark. Heute (Anmerkung der Redaktion: am 12.8.) hatten wir z.B. 39 neue Fälle! Diese gehen hauptsächlich auf Urlaubsreisen zurück, insbesondere aus dem Balkangebiet. Daher ist es wichtig, dass sich alle Urlaubsrückkehrerinnen an die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) halten. Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass man nach der Zeit des Lockdowns das alte Leben wieder spüren möchte – das ist nur menschlich. Trotzdem ist es wichtig, dass wir weiter solidarisch bleiben und unserer Verantwortung gerecht werden.

Wie ist die Lage der fleischverarbeitenden Industrie in München?

Wir haben schon vor dem Skandal um die Fleischfabrik der Firma Tönnies anlasslose Reihentestungen durchgeführt. Dadurch konnten wir sehr früh entwarnen, und es kam nicht zu einem Ausbruch. Mittlerweile halten wir die Betriebe an, aus eigener Initiative regelhaft zu testen, was sie auch tun. Bisher haben wir so keinerlei Auffälligkeiten.

Mittlerweile hat die Stadt München die Teststation auf der Theresienwiese wieder geöffnet und die Kapazitäten dort ausgeweitet.

 Man kann für einen Test dort online einen Termin vereinbaren und entweder mit dem eigenen Fahrzeug kommen oder, wenn man asymptomatisch ist, zu Fuß, mit dem Rad oder mit der U-Bahn. Wir möchten, dass man sich auch nur beim geringsten Verdacht oder z. B. wenn man gefährdete Haushaltsangehörige hat, regelmäßig testen lässt, um auch die unentdeckten asymptomatischen Fälle entdecken zu können. Wir als Gesundheitsamt setzen für die Bewältigung der anstehenden Zeit – wie auch schon in der Vergangenheit – auf das „Contact Tracing“ zur effektiven Durchbrechung der Infektketten, also schnelles Erkennen von Infektionen, Isolieren von Betroffenen und sorgfältige Kontaktpersonenermittlung. Aber nur, wenn wir möglichst viele – besonders auch asymptomatische – Fälle kennen, können wir Quarantänemaßnahmen ergreifen und Neuinfektionen wirksam verhindern. Dabei ist es unerlässlich, dass jede und jeder möglichst schnell das Ergebnis erhält. Aktuell dauert dies auf der Theresienwiese ein bis zwei Tage. Zudem gilt in Bayern aktuell die Einreise-Quarantäneverordnung: Wer bei Rückkehr aus einem Risikogebiet nicht innerhalb von 48 Stunden ein negatives Testergebnis vorlegen kann, muss 14 Tage lang in Quarantäne und dies auch beim Gesundheitsamt anzeigen.

Wie aussichtsreich ist das Contact Tracing in der Bevölkerung?

Gerade Anfang März hatte ein Infizierter sehr viele Kontaktpersonen, oft 20 und mehr, und von den symptomatischen Kontaktpersonen war ein Großteil ebenfalls positiv! Das zeigt sehr deutlich, wie wichtig es für die Infektionsentwicklung war, die natürlich für viele persönlich belastenden einschneidenden Kontaktbeschränkungen zu erlassen. Aber auch jetzt gilt mit jeder Lockerung: Man sollte zu anderen mindestens 1,50 Meter Abstand halten, eine Maske tragen und sich sehr vorsichtig im öffentlichen Raum bewegen. Jeder kann sich fragen: Muss ich wirklich eine große private Feier machen, oder verschiebe ich diese lieber noch etwas? Muss ich in den Urlaub fahren, wenn dort die Abstands- und Hygieneregeln schlechter einzuhalten sind? Falls man doch mehrere Kontaktpersonen hatte, müssen wir diese kennen und auch asymptomatische Personen testen. Die „Corona-Warn-App“ kann hier sehr hilfreich sein.

Wie können Sie die Münchner Hausärzt*innen und die Klinikärzt*innen unterstützen?

Ich kann gut nachvollziehen, dass viele Praxen nicht selbst testen können oder wollen, weil sie schon am Anschlag arbeiten. Daher stellen wir allen Niedergelassenen, die nicht selbst testen, das Angebot auf der Theresienwiese zur Verfügung. Bei der Schutzkleidung ist die Lage heute zwar entspannter als im März, aber es gibt manchmal dennoch Engpässe. In den Kliniken legen wir großen Wert darauf, dass alle Mitarbeiter*innen kostenneutral getestet werden können, damit das dort auch regelmäßig passiert.  Dazu schließen wir derzeit entsprechende Verträge mit den Kliniken. Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal allen Mitstreiter*innen aus dem Gesundheitssystem danken, allen Ärzt*innen in Praxen und Kliniken, die wichtigste Arbeit leisten. Es freut mich, dass wir als Öffentlicher Gesundheitsdienst dank Corona mittlerweile noch besser mit der Ärzteschaft Hand in Hand arbeiten als vorher.

Das RGU schreibt derzeit neue Stellen für Ärztinnen und Ärzte aus – für welche Bereiche?

Als staatliche Behörde sind wir vom Freistaat dazu angehalten, pro 20.000 Einwohner*innen fünf Mitarbeiter*innen für ein Contact Tracing Team bereit zu stellen. Da wir das alleine mit unserem Stammpersonal nicht schaffen, hat uns der Stadtrat 30 Arztstellen bis zum 31.3.2021 genehmigt. Wir nutzen dafür ein beschleunigtes Einstellungsverfahren. Dankenswerterweise sind im März einige Ärzt*innen bei uns eingesprungen, die sich z.B. wegen Corona in Kurzarbeit befanden. Einige sind aber mittlerweile wieder an ihren ursprünglichen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Daher suchen wir weitere Mitstreiter*innen. Die Fachrichtung ist zunächst zweitrangig. Laut dem Gesetz müssen Indexpatient*innen, die sich nach einem positiven Test in häuslicher Quarantäne befinden, in dieser Zeit durch Ärzt*innen betreut werden. Auch bei anderen Fragen ist ärztliches Wissen unverzichtbar.

Generell suchen wir zudem im öffentlichen Gesundheitsdienst Ärzt*innen für die reformierten Schuleingangsuntersuchungen bei ca. 15.000 Kindern ab September. Personalbedarf haben wir auch beim Masernschutz. Das Gehalt ist bei uns zwar nicht so hoch wie an vielen Kliniken, aber für den öffentlichen Dienst zahlen wir mit E15 TVöD relativ gut, und es ist eine sehr sinnstiftende, interessante Tätigkeit. Außerdem können wir bei der Arbeitszeit sehr flexibel sein. Egal, ob Vollzeit, Teilzeit oder Schichtbetrieb – alles ist möglich.

Wie ist derzeit die Situation in den Münchner Flüchtlingsunterkünften?

Die erste Welle ging zunächst durch die Allgemeinbevölkerung, die Arztpraxen und Kliniken, dann durch die Altenheime und schließlich ganz massiv auch durch die Flüchtlingsunterkünfte. Ende Mai/ Anfang Juni waren insgesamt 33 Unterkünfte gleichzeitig betroffen. Inzwischen, und das freut mich wirklich sehr, haben wir nur noch in zwei Unterkünften jeweils Einzelfälle, sodass wir keine Einrichtung mehr komplett unter Quarantäne stellen müssen. Menschen mit einem positiven Ergebnis oder diejenigen, die als Kontaktperson 1 nach dem RKI galten, haben wir mit Hilfe der zuständigen Unterbringungsbehörden sehr früh sofort aus der Einrichtung herausgenommen und gesondert isoliert untergebracht. Mittlerweile haben wir im Stadtgebiet sehr gute Unterbringungsmöglichkeiten – auch für Familien mit Kindern in Häusern mit Appartements und Freiflächen.

Nicht alle Familien konnten in städtische Wohnungen ausweichen. Vor allem für psychisch kranke Kinder und Jugendliche war der Lockdown in den Flüchtlingsunterkünften sehr schwierig (s. MÄA 16/17/2020). Was kann man tun, um das Leben dort erträglicher zu machen?

Auch ich beobachte die Situation dort mit Sorge. Im Jahr 2015 habe ich am RGU das Fachgebiet „Gesundheitsversorgung und -vorsorge für Menschen in Unterkünften“ gegründet, damit wir gesundheitliche und psychosoziale Bedarfe dort früh erkennen und gegensteuern können. Für die Unterbringungsbedingungen sind wir aber nicht zuständig. Wir beraten und tun unser Bestes, mussten aber in der jetzigen Coronakrise vor allem die Ausbrüche in den Griff bekommen, natürlich auch zum Wohle der jeweiligen Einrichtungsbewohner*innen. Bei einem positiven Ergebnis haben wir die Vorgabe, alle Bewohner*innen zu testen und das Haus mindestens bis zum Vorliegen der Testergebnisse oder 14 Tage unter Quarantäne zu stellen. Dabei haben wir immer zunächst geprüft, ob wir die Infektketten nicht auch mit reinem Contact Tracing nachvollziehen konnten. Nur wenn das nicht der Fall war, haben wir die ganze Einrichtung geschlossen.

Warum war ein Contact Tracing oft nicht möglich?

Viele haben sich zum Beispiel nicht mehr daran erinnert, wie die Personen hießen, die sie z.B. in Gemeinschaftsküchen getroffen hatten. Und auch bei einem gemeinsam benutzten und nicht desinfizierten Sanitärraum besteht immer ein gewisses Übertragungsrisiko. Manchmal gab es auch Sprachbarrieren, und weil es überall „menschelt“ wollten einige auch nicht sagen, zu wem sie Kontakt hatten. In diesen Fällen war es sinnvoll, die ganze Einrichtung unter Quarantäne zu stellen und alle zu testen, auch die Mitarbeiter*innen. So konnten wir für alle die möglichst kürzeste Quarantänezeit verhängen. Das war übrigens auch der Schlüssel zum Erfolg in den Pflegeheimen. Dort haben wir daher derzeit keine Fälle mehr.

Kann man aus der Coronazeit auch etwas für die Flüchtlingsunterkünfte lernen?

Schon vor Corona gab es Infektionskrankheiten, die uns in den Einrichtungen besonders beschäftigt haben, zum Beispiel das Norovirus, die Grippe oder die Windpocken. Daher fordern wir schon länger eine Pufferfläche von zehn bis fünfzehn Prozent in den Unterkünften, um etwa zu Zeiten der Grippewellen die Wohnverhältnisse entzerren und in Krisenzeiten auch innerhalb der Unterkünfte Isoliermöglichkeiten schaffen zu können.

Das Thema Containerunterbringung von Flüchtlingen ging in den letzten Wochen stark durch die Presse, weil es in den Containern so heiß war...

Bei der Stadt München nutzen wir keine Container. Die Staatsregierung, die solche Container unterhält, hat dort immer wieder die Temperaturen überprüft und Ventilatoren und andere Abkühlungsmöglichkeiten geschaffen. Kommunikation ist sehr wichtig für uns. Die Sozialdienste durften auch während des Lockdowns weiter in die städtischen Einrichtungen gehen, soweit es infektiologisch vertretbar war, konnten aber immer zumindest in telefonischem Kontakt mit ihren Schützlingen bleiben. Es wird stets darauf hingewiesen, wie man sich bei Hitze in der Quarantänezeit richtig verhält, dass man zum Beispiel viel trinken und sich abkühlen sollte, natürlich auch von meinen höchst engagierten Mitarbeiter*innen, wenn sie in Kontakt treten mit den Betroffenen, den Multiplikatoren oder der Einrichtungsleitung.

Welche Botschaften richten Sie an unsere Leser*innen?

Egal, ob man in einem Risikogebiet war oder nicht – es ist nach einer Urlaubsreise wichtig, sich und die eigenen Patienten testen zu lassen, damit man das Virus nicht wieder in die Stadt trägt. Hygienemaßnahmen sollte man auch im Urlaub einhalten und sich seiner Verantwortung bewusst sein. Das tut die große Mehrheit. Dieser Erfolg sollte nicht durch einige Wenige gefährdet werden. Denn ab einer Neuinfiziertenzahl von 50 bzw. ab 35 Infizierten pro 100.000 Einwohnern pro Woche müssen wir wieder einen - dann allerdings lokalen - Lockdown verhängen, was ja keiner von uns möchte.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler Stand: 17.8.2020