Leitartikel

Parkinson in der Pandemie, (Fern-) Diagnose mit Weitblick

Telemedizin und Videosprechstunden werden seit Pandemiebeginn häufiger genutzt – zum Beispiel bei Parkinsonkranken. Was es sonst Neues und Wichtiges aus der Parkinsontherapie gibt, berichtete Prof. Dr. Andrés Ceballos-Baumann, Chefarzt der Parkinson Fachklinik an der Schön Klinik München Schwabing.
Parkinson in der Pandemie, (Fern-) Diagnose mit Weitblick
Parkinson in der Pandemie, (Fern-) Diagnose mit Weitblick

Foto: shutterstock

 

Herr Prof. Ceballos-Baumann, wie geht es Ihren Patient*innen aktuell während der Pandemie?

Eher schlecht. Viele erleben sich als besonders vulnerabel, schotten sich ab, suchen ihre Neurolog*innen weniger auf und trauen sich nicht, in Krankenhäuser zu gehen. Die Pandemie hat unseren Alltag vollkommen umgekrempelt, was schon für nicht chronisch Erkrankte eine Herausforderung ist. Bei Patient*innen mit Parkinson kommt noch hinzu, dass die erforderliche Flexibilität vom Dopamin abhängig ist, und genau das fehlt diesen Patient*innen ja. Ihre sozialen Kontakte brechen weg und Angst tritt ein. Dies wiederum führt zu Stress, und Stress ist ungünstig, wenn Sie dopaminverarmt sind. Hinzu kommt, dass so die Medikamente oft nicht rechtzeitig angepasst werden und die Patient*innen ihre aktivierenden Therapien nicht mehr wahrnehmen. Ich habe Patient*innen erlebt, die ihre Physiotherapeut*innen nicht mehr zu sich lassen und nicht mehr vor die Tür gehen, Patient*innen kommen erst in die Parkinson-Fachklinik, nachdem sie anderswo notfallmäßig aufgenommen werden mussten. Dann ist es häufig schwieriger, eine passende Medikamenteneinstellung zu erreichen bzw. das zur Verfügung stehende Therapie-Repertoire richtig auszunutzen. Dabei bieten wir unseren Patient*innen z.B. eine Videosprechstunde an.

Ist eine gute Betreuung per Videosprechstunde überhaupt möglich?

Telemedizin ist im Bereich Parkinson nichts Neues, denn die Erkrankung ist ja durch Bewegungssymptome definiert. Videosprechstunden sind dafür also sozusagen prädestiniert: Ich kann die Patient*innen dabei gut beobachten, sehe ihre Mimik, höre ihre Stimme. Auch die Augenbeweglichkeit und die der Finger und Hände kann ich untersuchen und mir dabei von den nicht-motorischen Symptomen berichten lassen. Wenn noch etwas Assistenz z.B. durch Angehörige vorhanden ist, kann ich sogar das Gangbild und das Aufstehen beurteilen. Etwa 90 Prozent der relevanten Untersuchungen sind per Video durchführbar. Es gibt dafür eine ganze Reihe von passenden, datenschutzrechtlich unbedenklichen Portalen.

Wie wird die Videosprechstunde angenommen?

Die Akzeptanz ist besser als ich erwartet hatte. Da ich selbst vor einiger Zeit in Quarantäne musste, war ich damals gezwungen, meine Ambulanz dahingehend umzustellen. Etwa 40 Prozent meiner Patient*innen haben mitgemacht. Einige waren und sind davon so begeistert, dass sie weiterhin die Videosprechstunde bevorzugen. Hilfreich ist es, wenn die Patient*innen vorher schon einmal bei uns waren. Natürlich gibt es auch weniger internetaffine Patient*innen, doch diese können häufig auf die Unterstützung von ihren Partner*innen oder Kindern zurückgreifen. Die Videosprechstunde hat auch über die Pandemie hinaus viele Vorteile: Patient*innen, die an sich schon in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, müssen dafür nicht weite Fahrten in die Ambulanz organisieren.

Gab es auch vor Ihrer Quarantäne eine Art Videosprechstunde?

Wir hatten schon vor Corona eine ambulante videounterstützte Therapie, aber nicht diese direkte Online-Videosprechstunde. In Deutschland gab es bei Videosprechstunden lange Zeit Akzeptanzprobleme – im Gegensatz zu den USA oder anderen Ländern mit weiten Entfernungen, in denen Videosprechstunden und Telemedizin schon lange etabliert sind. Auch Sprechtherapie wird dort schon länger telemedizinisch durchgeführt.

Behandeln Sie auch Patient*innen nach einer Corona-Infektion, und gibt es dazu Daten?

Die gibt es. Symptome und Verlauf sind bei Parkinson-Patient*innen ähnlich wie bei Menschen ohne Parkinson. Auch sie leiden unter Fieber, Husten etc. Riechstörungen sind bei ihnen häufig noch akzentuiert. Dass bei einigen unserer Patient*innen ihre Parkinson-Medikamente plötzlich nicht mehr richtig gewirkt haben, war oft das erste Anzeichen. Bezüglich der Schwere des Verlaufs ist die Datengrundlage noch nicht ganz eindeutig, denn es gibt noch zu geringe Fallzahlen in den Studien. Patient*innen mit weit fortgeschrittener Erkrankung haben sicher ein höheres Risiko, genauso solche mit einer Eskalationstherapie, also einer tiefen Hirnstimulation oder einer Medikamentenpumpe. Ansonsten haben Parkinson-Patient*innen bei Covid-19 die gleichen Risikofaktoren wie die restliche Bevölkerung: Übergewicht, Leben in einer Institution, Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zurück zum Parkinson an sich: Welche Beschwerden sind für die Patient*innen am schwersten zu ertragen?

Wir müssen zwischen denen unterscheiden, deren Erkrankung gerade diagnostiziert wurde, und denen, wo sie weiter fortgeschritten ist. Für die erste Gruppe sind die motorischen Störungen am problematischsten: Ihre Bewegungen werden langsamer, die Schrift kleiner, die Stimmer leiser, die Mimik ausdrucksloser. Nur ca. 50 Prozent der Patient*innen haben den Ruhetremor. Einer der Gründer von Google, Sergey Brin, hat die Odyssee bis zur Diagnose von Parkinson-Patient*innen ohne diesem Ruhetremor in seinem Blog beschrieben: Es hat sehr lange gedauert, bis bei seiner Mutter, ehemals Informatikerin bei der Nasa, Parkinson diagnostiziert wurde. Erst als man ihr Levodopa gab und die Symptome erheblich besser wurden, wurde es klar. Auch Brin selbst hat ein dominantes Gen, das bei ihm möglicherweise irgendwann Parkinson auslösen wird.

Patient*innen mit einer weiter fortgeschrittenen Erkrankung werden in der Regel aus folgenden Gründen bei uns in der Tagesklinik oder stationär aufgenommen: bei Wirkungsschwankungen der Medikation – bekannt als On-Off-Phänomen, zur Neueinstellung der tiefen Hirnstimulation, bei Gangstörungen mit Stürzen und bei einer deliranten, psychotischen Symptomatik bzw. Impulskontrollstörungen. Letztere werden zum großen Teil durch die Medikamente ausgelöst und sind für Kranke und Angehörige häufig sehr belastend. Dazu zählen Hypersexualismus, Spielsucht, Kaufrausch und Esssucht. Oder auch das sogenannte „Punding“, repetitive Tätigkeiten wie Basteln, Räumen, Auseinanderbauen. Es gibt aber unter den Patint*innen mit Impulskontrollstörungen überdies solche mit einer erstaunlichen Kreativität oder Hobbyismus, also einer extensiven Beschäftigung mit einem Hobby.

Wie lassen sich als negativ empfundene Impulskontrollstörungen kontrollieren?

Die aktuell empfohlene Vorgehensweise ist, die Dopaminagonisten langsam auszuschleichen. Das ist nicht immer ganz trivial, denn viele Patient*innen fühlen sich darunter besser, sind kreativer, haben mehr Antrieb. Außerdem droht das Dopaminagonisten-Entzugssymptom. Daher muss man beim Ausschleichen sehr vorsichtig vorgehen und die Medikamente durch mehr Levodopa ersetzen. Wenn das nicht klappt, gibt es noch die Möglichkeit einer Verhaltenstherapie – ähnlich wie bei nicht von Parkinson betroffenen Patient*innen mit einer Impulskontrollstörung.

Wie lassen sich andere, nichtmotorische Symptome wie Schmerz in den Griff bekommen?

Es wird häufig unterschätzt, wie schmerzhaft die Erkrankung ist. Studien zeigen, dass der Schmerzmittelgebrauch bei Parkinson-Patient*innen oft sogar höher ist als bei Diabetiker*innen mit einer diabetischen Polyneuropathie! Eine Ursache dafür sind die Steifheit und mangelnde Bewegungsfähigkeit. Weil sie das Bein nachziehen, asymmetrische Rücken- oder Schulterschmerzen haben, wenden sich viele Patient*innen mit einem nicht diagnostizierten Parkinson zunächst an ihre Orthopäd*innen. Bei vielen kommt es zu invasiven Eingriffen an der Schulter – obwohl Schulterschmerzen oft das initiale Symptom einer Parkinsonerkrankung sind. Häufig sprechen diese Schmerzen aber direkt auf die Parkinsonmedikation an. Andere Schmerzen sind sekundär durch den Parkinson bedingt, wie etwa Haltungsstörungen, z.B. die Kamptokormie, bei der der Oberkörper manchmal bis zu einem rechten Winkel nach unten gebeugt ist. Das ist nicht nur sehr stigmatisierend, sondern auch sehr schmerzhaft. Eingriffe an der Lendenwirbelsäule bei Parkinsonpatient*innen stellen den einzigen bekannten Risikofaktor für die Entwicklung einer Kamptokormie dar. Daher sollten solche Eingriffe bei Parkinsonpatient*innen wohl überlegt werden.

Auch starker Harndrang kann die Folge einer Parkinsonerkrankung sein.

Im Studium lernen wir die Trias: Rigor, Akinese, Tremor. Doch nicht motorische Symptome wie der imperative Harndrang sind Symptome, die die Lebensqualität noch stärker negativ beeinflussen. Er tritt praktisch bei allen Parkinsonpatient*innen im Verlauf auf. Man kann aber etwas dagegen tun, wenn man das Symptom erkennt und darüber spricht. Es gibt gute Medikamente. Anticholinerge Medikamente werden aus meiner Sicht jedoch zu schnell eingesetzt. Wir nutzen stattdessen lieber ein Beta3-Sympathomimetikum, das sehr wenig beworben wird. Eine gute Einstellung der Dopaminersatztherapie in der Nacht ist wichtig, und auch Urotherapeut*innen können ganz pragmatisch helfen. Daher haben wir in unserer Klinik ein Team mit einer Neuro-Urologin und einer Urotherapeutin.

Ist damit zu rechnen, dass Parkinson irgendwann geheilt werden kann?

tut sich sehr viel in der Forschung, denn weltweit rechnen wir mit einer Verdopplung der Häufigkeit in den nächsten zehn Jahren. Die zellulären Grundlagen und die Neurogenetik verstehen wir immer besser. Es gibt seltene monogene Ursachen und viele Genvarianten, die mit einem erhöhten Risiko einhergehen. Parkinson ist aber keine Erbkrankheit im herkömmlichen Sinne. Manche Genvarianten erhöhen nur das Risiko. Der Trend wird dahin gehen, bei Parkinson möglichst früh auch das genetische Risikoprofil zu ermitteln, um zukünftig von Anfang an direkt in den pathologischen Prozess eingreifen zu können. Aktuell müssen wir uns aber mit weniger Glamourösem zufriedengeben: Wir wissen, dass körperliche Aktivität das Risiko überhaupt Parkinson zu entwickeln, reduziert. Studien zeigen, dass wir mit der geeigneten Physiotherapie den Verlauf günstig beeinflussen können. Deshalb sind aktivierende Therapien von Anfang an ein grundsätzlicher Pfeiler bei der langfristigen Parkinson-Behandlung. Daher haben wir 2020 gemeinsam mit der AOK Bayern und dem Institut für Biometrie und Epidemiologie der LMU München, das Münchner Parkinson Netzwerk Therapie (PaNTher), als Modellvorhaben ins Leben gerufen. Dabei behandeln speziell ausgebildete, ambulant tätige, Physiotherapeut*innen Parkinsonpatient*innen. Die Physiotherapie erfolgt eingebettet in Module, die speziell auf das Krankheitsstadium und die individuelle Symptome abzielen.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Heft Nr. 7 vom 26.03.2021