Leitartikel

Medikamente gegen Covid-19, Schutz für Geschwächte

Covid-19-Impfungen schützen die meisten Patient*innen vor schweren Verläufen, aber nicht alle. Deshalb und wegen neuer Varianten wie Omikron spielen Medikamente eine zunehmende Rolle zu deren Verhinderung. Was wem in welcher Situation helfen kann, erläuterte der Infektiologe Dr. Christoph D. Spinner.
Medikamente gegen Covid-19, Schutz für Geschwächte
Medikamente gegen Covid-19, Schutz für Geschwächte

Foto: shutterstock

 

Herr Dr. Spinner, wie ist derzeit die Lage bei Ihnen in der Klinik?

Aktuell (Stand: 11. Januar 2022) haben sich die Patientenzahlen reduziert. Die steigende Zahl von Omikron-Fällen sehen wir derzeit nicht in der Klinik. Das wird sich, wie in den USA, aber in den nächsten ein oder zwei Wochen sehr wahrscheinlich ändern – einfach durch die deutlich steigenden Infektionszahlen und die damit verbundene Masse an Infektionen. Beim Personal gibt es, auch bei Geimpften und in einzelnen Fällen Geboosterten, zunehmend Omikron-Infektionsfälle. Eine Herausforderung ist übrigens nicht nur die Infektion beim medizinischen Personal, sondern auch bei Hol- und Bringdiensten, Hauswirtschaft und Technik. Das wird sicher in Zukunft eine unserer zentralen Herausforderungen.

Wir haben nun zwei Jahre Covid hinter uns. Was hat die Medizin in dieser Zeit erreicht?

Zum einen haben wir wirksame Schutzimpfungen. Angesichts von Omikron brauchen wir allerdings Booster-Impfungen oder müssen doppelt geimpft und genesen sein, um unser Risiko zu minimieren. Aktuelle Daten aus England zeigen, dass dies zu 90 Prozent vor Hospitalisierung und zu 50 Prozent vor einer symptomatischen Infektion schützt. Es gibt allerdings auch Menschen, die aufgrund einer schweren Immundefizienz nicht durch active Impfungen schützbar sind. Dazu zählen z.B. organtransplantierte Menschen oder solche mit chronischen lymphatischen Neoplasie-Erkrankungen. Für diese und andere gefährdete Menschen stehen antivirale Substanzen als Medikamente zur Verfügung, um schwere Verläufe zu vermeiden. Die antiviralen Substanzen sind umso wirksamer, je früher man sie im Verlauf der Infektion einsetzt. Einige davon sind auch zum präventiven Einsatz untersucht, teilweise auch unmittelbar postexpositionell oder zumindest während der ersten Woche der Infektion einsetzbar.

Welche Optionen neutralisierender Antikörper stehen derzeit zur Verfügung?

Neutralisierende monoklonale Antikörper führten in Studien zu einer Risikoreduktion von 80 bis 90 Prozent für schwere Verläufe, Krankenhausaufnahmen und Tod. Allerdings können wir derzeit nur Ronapreve (Casirivimab/Imdevimab) einsetzen, wobei gegen Omikron keine Wirksamkeit erwartet werden kann. Regdanvimab steht in Deutschland nicht zur Verfügung. Es gibt aber Licht am Ende des Tunnels: Die Bundesregierung hat das bereits durch die EMA zugelassene und bei Omikron wirksame Sotrovimab (Xevudy) gekauft. Es wird voraussichtlich Ende Januar in Deutschland zur Verfügung stehen. Darüber hinaus ist das Kombinationspräparat Tixagevimab/Cilgavimab (Evusheld) derzeit im Zulassungsverfahren. Aktuelle In-Vitro-Daten suggerieren eine nur moderat inhibierte Wirkung bei Omikron. Ein potentieller Vorteil des Präparats ist jedoch seine wochenlange Wirksamkeit und die Eignung zur Präexpositionsprophylaxe sowie zur Therapie.

Alle neutralisierenden Antikörper haben aus meiner Sicht den Vorteil, dass sie bei frühem Einsatz hoch effektiv sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Verläufe abwenden können. Sie müssen zwar einmalig intravenös (oder pespektivisch subkutan) gegeben werden, und das ist für viele Einrichtungen eine Hürde. Der Gesetzgeber hat in der monoklonalen Antikörperverordnung aber die ökonomischen Rahmenbedinungen für eine ambulante Verabreichung geschaffen.

Welche anderen antiviralen Medikamente gibt es?

Neu ist seit dem 3. Januar Molnupiravir (Lagevrio), ein Polymerasehemmstoff, der die Vermehrung des Virus in der menschlichen Zelle hemmt. Bei Molnupiravir werden zweimal täglich 800 mg über fünf Tage als Kapseln eingenommen..

Auch dieses Präparat hat die Bundesregierung gekauft. Es ist derzeit im Rahmen einer nationalen Zulassung hier in Deutschland erhältlich und reduziert die Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe, von Krankenhauseinweisungen und Tod, um etwa 30 Prozent. Die EMA bearbeitet den Zulassungsantrag derzeit im Rahmen eines Rolling Reviews. Vor allem für nicht geimpfte bzw. nicht geboosterte Menschen mit Risikofaktoren für schwere Verläufe ist es geeignet, z.B. bei Diabetikern, Älteren und Übergewichtigen. Allerdings darf es aufgrund potentieller Teratogenität derzeit nicht bei Schwangeren bzw. Frauen im gebärfähigen Alter ohne Schwangerschaftsausschluss eingesetzt werden. Die Verträglichkeit ist sehr gut – in Studien auf Placeboniveau.

Die Bundesregierung hat auch Paxlovid gekauft.

Nimatrelvir (Paxlovid), ist ein Proteasehemmstoff, der in Studien zu einer 90-prozentigen Verhinderung schwerer Verläufe bei Einsatz innerhalb der ersten fünf Tage geführt hat. Er reduziert die Wahrscheinlichkeit von Hospitalisierung und Tod  um 90 Prozent. Die Wirksamkeit von Molnupiravir und Paxlovid lässt sich nicht direkt vergleichen, weil die Studien mit sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen durchgeführt wurden. Bei Paxlovid wurden vor allem gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet. Der Einsatz erfolgt mit dem pharmakologischen Booster Ritonavir, was klinisch relevante Wechselwirkungen auslösen kann. Paxlovid wird als orale Formulierung über fünf Tage gegeben und befindet sich im EMA-Zulassungsverfahren (Stand:11. Januar 2022).

Gibt es Neues über das altbekannte Remdevisir?

Im Dezember wurde die sogenannte PINETREE-Studie veröffentlicht, bei der ambulante, nicht hospitalisierte und nicht sauerstoffpflichtige, Covid- 19-Patient*innen über drei Tage intravenös Remdesivir im Rahmen einer ambulanten Behandlung erhielten. Auch dabei zeigte sich eine etwa 80-prozentige Reduktion von Hospitalisierung oder Tod durch Covid-19. Remdesivir ein Polymerase-Hemmstoff und wirkt, wie alle antiviralen Medikamente deutlich besser, wenn man es früh in der Erkrankung einsetzt. Frühere Studien wiesen bereits darauf hin, dass die Wirksamkeit in der späten Covid-19- Infektionsphase deutlich schlechter ist als in der Frühphase. Andere Medikamente wie Fluvoxamin oder inhalatorische Steroide haben aus meiner Sicht keinen großen Stellenwert, obwohl es in einzelnen klinischen Studien Hinweise auf Wirksamkeit gab. Auch für das vieldiskutierte antiparasitäre Medikament Ivermectin gibt es keine robuste Evidenz für dessen Wirksamkeit bei Covid-19. Es soll daher laut Leitlinien und Empfehlungen nicht gegeben werden.

Was können Sie zu den antiinflammatorischen Medikamenten sagen?

Patient*innen mit einer überschießenden Immunreaktion müssen in der Regel ins Krankenhaus, weil die Erkrankung schwer verläuft. Solange noch kein Sauerstoffbedarf besteht, kann in der ersten Erkrankungswoche der Einsatz neutralisierender Antikörper erwogen werden.

Ansonsten erhalten sie in der Regel sogenannte Januskinase-(JAK)- Inhibitoren, also beispielsweise Baricitinib, bei Sauerstoffbedarf in Kombination mit systemisch wirksamen Steroiden. Menschen mit sehr rascher Verschlechterung nach Klinikaufnahme können neben Steroiden auch mit Interleukin-6-Antagonisten behandelt werden, um die überschießende Immunreaktion selektiv zu reduzieren. Alle Therapieoptionen der Klinik sind in der AWMF-S3-Leitlinie zur stationären Covid-19 Therapie in einer Tabelle visualisiert. Kürzlich zugelassen wurde der Interleukin-1-Antagonist Anakinra. Der klinische Einsatz ist in der Zulassung an eine Erhöhung des Biomarkers löslicher Urokinase-Plasminogen-Aktivator-Rezeptor (suPAR) gekoppelt, der in der Mehrheit deutscher Kliniken derzeit nicht etabliert ist.

Wie gehen Sie bei der Auswahl der Medikation vor?

Bei allen Patient*innen mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf erheben wir zunächst den Impfstatus. Nicht-Geboosterte oder Menschen mit hohem Risiko für ein fehlendes Immunsansprechen evaluieren wir auf die Erkrankungsdauer (Symptome) und das Risikoprofil sowie den detaillierten Impfstatus. Bei erhöhtem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf prüfen wir den Einsatz antiviraler Substanzen. Bei immunologischen Erkrankungen prüfen wir die Option neutralisierender Antikörper. Weil Ronapreve nicht gegen Omikron wirkt, Paxlovid nicht zur Verfügung steht und Sotrovimab noch nicht zur Verfügung steht nutzen wir derzeit auch Remdesivir im Rahmen der ambulanten Therapie.

Wieviel Hoffnung haben Sie, dass schwere Verläufe künftig durch Medikamente zuverlässig bei allen Menschen verhindert werden können?

Die Impfung ist und bleibt der Gamechanger der Pandemie, denn nur die Impfung erlaubt derzeit robust und nachhaltig Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen. Bei Menschen, die nicht geimpft oder geboostert sind oder bei denen Impfungen nicht wirken, lassen sich die vorgenannten antiviralen Substanzen in der Frühphase einsetzen. Hierbei ist vor allem die frühe Diagnosestellung eine Herausforderung - auch weil Patient*innen sich ihres Risikos bewusst sein und ggf. bei einer frühen Diagnosestellung mitwirken müssen. Es lohnt sich also, Risikopatient*innen mit vermindertem und/oder nicht gegebenem Impfansprechen proaktiv auf Behandlungsoptionen aufmerksam zu machen.

Ab welchem Lebensalter würden Sie bei Ungeimpften oder vulnera- blen Gruppen Medikamente einsetzen?

In der Regel sagt man ab 60 Jahren. Wir sehen aber auch bei sehr viel jüngeren Patient*innen schwere Verläufe. Perspektivisch braucht es individualisierte Therapie-Empfehlungen - vor allem für Risikogruppen, wie Diabetiker, Übergewichtige, Menschen ohne Ansprechen auf Schutzimpfungen aufgrund von Immunerkrankungen, etc. Es wird in Kürze eine Aktualisierung der ambulanten Therapieleitlinien geben, um hier für Behandler*innen mehr Orientierung zu geben.

Welche Erfolge sehen Sie seit dem Einsatz der monoklonalen Antikörper?

Wir haben sie bereits seit dem Frühjahr 2021 eingesetzt und schon im Juli erste Daten bei nosokomial Infizierten publiziert. Aus meiner Sicht sind sie eine der erfolgversprechendsten antiviralen therapeutischen Optionen, weil sie nur einmalig gegeben werden müssen und zu etwa 80 Prozent schwere Verläufe verhindern.

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Nr. 3 vom 29.01.2022