Leitartikel

Leistungssport und Medizin Als Internist bei den Olympischen Spielen

Sportliche Höchstleistungen können nur gesunde Athleten erbringen. Das weiß Priv.-Doz. Dr. med. Johannes Scherr, Leitender Oberarzt am Zentrum für Prävention und Sportmedizin der TU München und Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin sowie Bereichsleiter Leistungssport. Während der Olympischen Spiele in Pyeongchang betreute er zum dritten Mal große Teile des deutschen Teams als Internist vor Ort. Den MÄA erzählte er in einem Interview, worauf es bei seiner Arbeit ankommt.
Leistungssport

Herr Dr. Scherr, Sie haben das deutsche Olympiateam als Internist in Pyeongchang betreut. Welche Aufgaben hatten Sie dort?

Aus internistischer Sicht war ich für die Betreuung der Athleten bei den Wettkämpfen sowie im Falle von Erkrankungen auch außerhalb der Wettkämpfe zuständig. Ich betreute Athleten der Sportarten Ski Alpin, Ski Cross, Halfpipe sowie Slopestyle und beriet für Skisprung in Fragen der Zeitumstellung. Außerdem kümmerte ich mich um die medizinische Versorgung des Betreuerteams, also von Personen außerhalb des Teams, aber mit Bezug zum Team, sowie um Eltern und Sponsoren. Im Fall von Stürzen organisierten wir die weitere Diagnostik und koordinierten die weitere Therapie. Vor Rennbeginn begutachteten wir die notfallmedizinische Versorgung, da diese bei vorherigen Veranstaltungen teilweise nicht den internationalen Standards genügten. Des Weiteren begleiteten wir Athleten auch zu Anti-DopingKontrollen und achteten hier auf den korrekten und reibungslosen Ablauf. Bei den Athleten ist unser Ziel vor Ort immer, das Ausfallrisiko so gering wie möglich zu halten – sei es durch Erkrankungen wie Magen-Darm-Grippe oder durch Verletzungen. Infektprävention ist stets ein großes Thema bei uns – in diesem Jahr war sie aufgrund der erhöhten Gefährdungslage durch das Noro-Virus bei den anderen Nationen besonders wichtig. Es gab letztendlich deutlich mehr Fälle als in der Presse publiziert wurde. Daher haben wir unsere Präventionsmaßnahmen vor Ort nochmals optimiert: durch gesondertes Essen – phasenweise nicht mehr in der Mensa des olympischen Dorfes, sondern in einem Außenquartier, durch einen deutschen Koch zubereitet – und durch immer wiederkehrende Sensibilisierung der Athleten, die Händedesinfektion zu benutzen und Händeschütteln zu vermeiden.

Unter welchen Beschwerden litten deutsche Olympioniken in Pyeongchang?

Unser Team blieb bisher vom Noro-Virus verschont (Stand: 20. Februar 2018). Ansonsten gab es grippale Infekte bzw. allergische Reaktionen auf unbekannte Substanzen, da die Unterbringung zum Teil erst kurz vor den Olympischen Spielen fertiggestellt wurde und somit wahrscheinlich reizende Substanzen ausgedampft sind. Ebenfalls hatten wir fieberhafte Infekte der oberen Atemwege, Erfrierungen, aufgrund der teilweise extrem kalten Temperaturen, traumatische Verletzungen des muskuloskelettalen Systems, etwa durch Stürze und kleinere, chirurgisch zu versorgende Beschwerden wie Abszesse oder Schnittwunden.

Unter welchen internistischen und sportmedizinischen Beschwerden können Leistungssportler bei einem solchen Wettbewerb leiden? Welche Probleme gab es in der Vergangenheit?

Es können Infekte auftreten, vor allem der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts, muskuloskelettale Überlastungsreaktionentungen und nicht ausgeheilte Erkrankungen des Bewegungsapparats. Letztendlich kann man mit allem konfrontiert werden, was sich auch in einem allgemeinmedizinischen hausärztlichen Praxisalltag findet.

Wann erteilen Sie als betreuender Arzt ein Wettkampfverbot? Wer entscheidet, ob ein Sportler starten darf: der Trainer, der Sportler oder Sie?

Ein Wettkampfverbot sprechen wir aus, wenn von einer Verschlechterung der Erkrankung bzw. einer akuten Gefährdung durch die Belastung auszugehen ist. Dies ist vor allem bei Infekten mit systemischer Beteiligung der Fall. Die Entscheidung wird immer gemeinsam im Team getroffen, wobei der Sportler hier schon dem Rat des Arztes folgt, wenn ein entsprechendes Vertrauensverhältnis vorliegt. Letztlich ist es aber seine eigene Entscheidung. Deswegen ist es so wichtig, dass man als Arzt die Sportler auch persönlich sehr gut kennt und schon über viele Jahre hinweg erfolgreich und vertrauensvoll zusammenarbeitet.

Dürfen die Sportler trotz Infekten starten? Wie hoch ist die Gefahr einer Myokarditis?

Sie dürften schon – sie sind ja freie Menschen, die ihre Entscheidungen selbst treffen können. Als Arzt intervenieren darf man nur, wenn eine Selbstgefährdung nicht auszuschließen ist. Ansonsten ist dies rechtlich ein Problem, da der Sportler ja sagen könnte, man hätte ihn um seine Chance gebracht, zum Beispiel Olympiasieger zu werden. Deswegen sind das beschriebene Vertrauensverhältnis und somit die gemeinsame Entscheidung so bedeutend. Das Risiko für das Auftreten einer Myokarditis lässt sich nicht eindeutig abschätzen – es hängt auch nur bedingt von der Schwere der Infektion oder der Intensität der Belastung ab. Bei Infektionen mit systemischer Beteiligung ist diese Gefahr auf jeden Fall gegeben, weshalb hier dann auch auf anstrengende körperliche Belastung verzichtet werden sollte.

Welche Unterschiede gibt es je nach Sportart, z.B. Bobfahrer versus Biathlet?

Dies kann man nicht so generalisiert sagen. Es gab schon Fälle, in denen Skispringer an einer Myokarditis nach einem Infekt leider verstorben sind. Insgesamt kann man jedoch sagen, dass die kardiovaskuläre Belastung natürlich bei Ausdauersportarten wie zum Beispiel Biathlon höher ist, wobei es bei anderen Sportarten wie etwa Bob auch kurzzeitig – während der Startphase – zu sehr intensiven Belastungen kommen kann. Wie sieht es bei Amateursportlern aus? Der Leistungssportler unterscheidet sich hier nicht vom Freizeitsportler. In der Regel wird bei einem Leistungssportler die Erkrankung jedoch früher erkannt, da die medizinische Betreuung deutlich intensiver ist.

Ausdauersportler, wie die bei Olympia besonders erfolgreichen Biathleten, verlangen ihrem Körper viel ab. Kann das gesund sein?

Bisher gibt es keine Studie, dass Leistungssportler auf lange Sicht nach ihrer Karriere eine kürzere Lebenserwartung haben als Normalpersonen. Vielmehr gibt es sogar Studien, die zeigen, dass die Lebenserwartung trotz intensiven Ausdauersports eher höher ist als bei der Normalbevölkerung. Einzelne Erkrankungen, wie zum Beispiel Vorhofflimmern, kommen bei ehemaligen Leistungssportlern häufiger vor. Wettgemacht wird dies jedoch, auf die Gesamtmortalität gesehen, durch eine geringere Prävalenz an anderen Erkrankungen.

Welche therapeutischen Möglichkeiten hatten Sie als Arzt an einem Ort wie Pyeongchang? Wie war die medizinische Versorgung dort?

Wir hatten vor Ort quasi alle medizinischen Möglichkeiten. Zum einen hatten wir in unserem vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zur Verfügung gestellten Haus eine kleine medizinische Ambulanz für die Erstversorgung kleinerer Beschwerden – von kleineren chirurgischen Interventionen über Injektionen bis hin zur weitreichenden internistischen Therapie. So konnten wir zum Beispiel sieben Tage die Woche, rund um die Uhr, auf ein Ultraschallgerät zugreifen. Zusätzlich stand noch die Poliklinik des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zur Verfügung, die wie ein kleines Krankenhaus ausgestattet war. Dort gab es auch eine internationale Apotheke, sodass wir innerhalb von 24 Stunden alle Medikamente bekommen konnten – auch die aus der Heimat. Das heißt: Rund um die Uhr hatten wir sämtliche diagnostischen Möglichkeiten, etwa Laboruntersuchungen oder Ähnliches duchzuführen. Ein MRT war außerhalb des olympischen Dorfs rund um die Uhr verfügbar. Ansonsten gab es in der Poliklinik auch tagsüber die Möglichkeit zur zahnmedizinischen Versorgung. Diese haben wir aufgrund eines abgebrochenen Zahns mehrmals gebraucht.

Das Interview führte Stephanie Hügler am 20. Februar 2018