Hygiene im Krankenhaus. Hand drauf!
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Seit der Pandemie hat der Gebrauch von Einmalhandschuhen stark zugenommen. Was sagen Sie dazu?
Im Rahmen der Pandemie war es nachvollziehbar, dass wir alle sehr viel mehr persönliche Schutzausrüstung benutzt haben. Und zumindest bei uns am Klinikum ist der Einsatz der persönlichen Schutzausrüstung danach auch wieder zurückgegangen. Masken z.B. sind sehr viel weniger im Einsatz, vielleicht manchmal sogar zu wenig. Aber der Einsatz von Einmalhandschuhen hat sich interessanterweise nicht verringert, sondern bleibt auf einem deutlich höheren Niveau als vorher. Zu oft werden Handschuhe in Situationen getragen, in denen dies aus krankenhaushygienischer Sicht, aber auch aus Arbeits-schutzgründen nicht nachvollziehbar ist – vielleicht aus psychologischen Gründen. Wir möchten die Leute dazu motivieren, diesen Übereinsatz zu überdenken und auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen.
Seit wann gibt es das Handschuh-Projekt am LMU-Klinikum? Wer leitet es, und was ist das Ziel?
Es wurde im Frühjahr dieses Jahres aufgesetzt. Alle relevanten Gruppierungen, die etwas damit zu tun haben, sind beteiligt: natürlich die Krankenhaushygiene, aber auch die Arbeitssicherheit bzw. der betriebsärztliche Dienst zum Personalschutz, die Stabsstelle Nachhaltigkeit, die Abfallbeauftragte. Denn es geht auch um das Vermeiden von Abfall und die Schonung von Ressourcen. Insgesamt ist es ein tolles Thema, weil hier all diese Bereiche zusammenarbeiten und am gleichen Strang ziehen. Allerdings hat es schon eine Weile gebraucht , bis wir unsere Kampagne so aufsetzen konnten, dass sie aus unserer Sicht auch Erfolg haben kann.
In welchen Fällen sind Einmal-Handschuhe aus Ihrer Sicht angebracht?
Sie sind ein wichtiger Bestandteil der persönlichen Schutzausrüstung, und sobald ich in irgendeiner Form potenziell mit infektiösen Materialien Kontakt habe, sind sie indiziert – ob das ein Patientensekret ist oder ein anderes Material. Daran möchten wir auch nicht rütteln. Aber in vielen Situationen sind sie nicht notwendig, und teilweise ist es sogar gefährlich, sie zu tragen, weil sich die Träger*innen damit sehr sicher fühlen, obwohl sie es gar nicht sind. Denn natürlich kann ich Handschuhe genauso kontaminieren, wie ich Hände kontaminieren kann. Und wenn ich dann damit andere Flächen berühre – z.B. Lichtschalter, Türklinken, Telefone, Tastaturen von Computern oder Displays von Geräten – ist das Risiko einer Übertragung von Erregern sogar höher als ohne Handschuhe. Viele denken auch: Dann muss ich mir die Hände nicht mehr desinfizieren. Doch ich muss das trotzdem tun – bevor ich Handschuhe anziehe und natürlich nach dem Ablegen. Vor der Entnahme ist es wichtig, damit ich nicht mit meinen undesinfizierten Händen z.B. eine ganze Packung mit 100 Stück kontaminiere. Zudem sind selbst hochwertige Einmalhandschuhe nicht hundertprozentig dicht. Wenn ich sie mechanisch belaste, bekommen sie schnell kleinste, mit bloßem Auge kaum erkennbare Risse. Dadurch können Mikroorganismen eindringen – und ausdringen. Dieses falsche Schutzempfinden wollen wir adressieren. Die Leute sollen verstehen, warum sie häufig keine Handschuhe brauchen und warum sie trotzdem die gleichen Regeln der Händehygiene einhalten müssen wie ohne Hand-schuhe.
In welchen Situationen kann man auf Handschuhe verzichten?
Wenn ich eine Patientin oder einen Patienten mit völlig intakter Haut untersuche, wenn ich z.B. den Blutdruck messe. Oder wenn ich etwas abtaste, was nicht gerade im Bereich der Achsel oder Leiste liegt. Auch bei intramuskulären oder subkutanen Injektionen brauche ich keine Handschuhe – weder zum Schutz für mich noch für den Patienten. Oder wenn ich irgendwelche anderen Dinge anfasse, bei denen kein Kontaminationsrisiko besteht. Dies gilt nicht für eine Blutentnahme oder intravenöse Injektionen. Es gibt Medikamente, die nicht mit der Haut der Beschäftigten in Kontakt kommen sollen. Auch dann sind Handschuhe gerechtfertigt. Aber beim üblichen Umgang mit Medikamenten, beim Vorbereiten oder beim Aufziehen, sind sie völlig verzichtbar. Wir haben deshalb ein Plakat entworfen (s. Abbildung). Darauf sieht man: Wo sind Handschuhe tatsächlich sinnvoll und wichtig? Wo kann man auf sie verzichten? Und wo kann man zumindest darüber nachdenken, ob man darauf verzichten kann. Wir sagen grundsätzlich: Bitte legt die Handschuhe vorher ab und desinfiziert euch die Hände, bevor ihr irgendetwas anfasst, das der Nächste auch wieder anfasst. Denn ihr gefährdet sonst potenziell eure Patientinnen und Patienten, aber vor allen Dingen auch eure Kolleginnen und Kollegen und alle anderen, die in diesem Bereich arbeiten.
Man könnte zu bedenken geben, dass die ständige Desinfektion die Haut angreift.
Die Haut verträgt die Desinfektion in der Regel sehr gut. Weniger gut ist Händewaschen, insbesondere mit Wasser und Seife und mit Mechanik. Deswegen war es aus krankenhaushygienischer Sicht immer schon die Diktion: Hände desinfizieren häufig, Händewaschen nur dann, wenn es wirklich notwendig ist. Die heutigen Händedesinfektionsmittel kommen in der Regel ohne Zusatzstoffe aus und greifen die Haut nicht wirklich an. Interessanterweise kennt der Mensch auch keine allergische Reaktion auf Alkohol, weder bei innerlicher noch bei äußerlicher Anwendung. Allergische Reaktionen gibt es nur auf die enthaltenen Zusatzstoffe. Natürlich muss ich Hautschutz und Hautpflege zu meinem eigenen Schutz in meine Routinetätigkeiten einbauen.
Ich profitiere also auch selbst davon, wenn ich keine Handschuhe trage.
Ja, denn man muss sich auch mal bewusst machen, dass sich unter oder in den Handschuhen auch Schweiß bzw. Sekret bildet. Für die Hände ist es aus Arbeitsschutzgründen auch nicht gut, wenn man längere Zeit mit Handschuhen arbeitet. Es ist immer sinnvoll, darüber nachzudenken, ob ich sie in der Situation tatsächlich brauche. Wenn ich sie brauche, ziehe ich sie kurzzeitig an, nur für diese Tätigkeit. Danach lege ich sie wieder ab und habe meine Hände wieder frei, ohne Gummi oder Kunststoff.
Wie steht es um den Umweltschutz?
Der Umweltschutz ist ein schöner Nebenaspekt. Heute werden Handschuhe häufig aus Nitril hergestellt, einem nicht biologisch abbaubaren Stoff. Natürlich schont der Verzicht darauf auch die Ressourcen und vermeidet Abfall und ist daher sinnvoll. Am Ende profitieren alle vom richtigen Schutz und vom indikationsgerechten Tragen. Es ist sozusagen eine „Win-Win-Win-Situation“ für alle Bereiche. Wir sagen übrigens nicht: Ihr sollt keine Handschuhe verwenden, sondern nur: Überlegt euch bitte, ob in dieser Situation Handschuhe wirklich notwendig und sinnvoll sind. Und wenn sie das nicht sind, lasst sie weg. Wenn man z.B. eine kleine Verletzung an der Hand hat, kann man durchaus Handschuhe anziehen. Ich kriege allerdings mit, dass sich viele vor jeglichem Patientenkontakt als Erstes Handschuhe anziehen. Das ist ja auch notwendig, wenn jemand z.B. blutet oder offene Wunden hat – nicht aber, wenn jemand z.B. nur eine Blutdruckkrise hat und völlig intakte Haut hat.
Was sollte man beim Gebrauch von Einmalhandschuhen beachten?
Dass sich an der Notwendigkeit der Händedesinfektion durch das Tragen von Handschuhen nichts ändert! Ich muss mir die Hände desinfizieren, bevor ich sie anziehe und nachdem ich sie abgelegt habe. Handschuhe sind Einwegprodukte. In speziellen Situationen, etwa bei mehreren Blutabnahmen im selben Zimmer, wird diskutiert, ob eine Desinfektion der Handschuhe zwischendurch möglich ist. Eine allgemeingültige Regel lässt sich jedoch wegen der Vielfalt an Situationen im Klinikalltag bei uns im Haus schwer festlegen.
Wie setzen Sie das Projekt konkret um?
Am 7. Juli haben wir unsere Kampagne mit einem Infotext im Intranet gestartet, weil dieses Medium bei uns am meisten wahrgenommen wird. Unsere Plakate (s. Bild) haben wir – wischdesinfizierbar – an die Stationen übergeben. Man kann sie sich aber auch selbst ausdrucken. Als wir die Kampagne gestartet haben, wurde leider zufällig gleichzeitig ein Aufruf zur Einsparung von Sachkosten gestartet. Natürlich ist es auch ein „netter Nebeneffekt“, dass man bei weniger Handschuhen auch weniger Kosten hat. Aber das war nie das, was uns als Gruppe angetrieben hat. Es hat aber manche davon abgehalten, unsere Kampagne unabhängig davon zu betrachten. Von Seiten der Krankenhaushygiene machen wir viermal im Jahr „Hygiene-Pflichtfortbildungen“ als hybride Infoveranstaltungen – online und in Präsenz. Auch dort haben wir das Thema aufgegriffen und wollen dadurch Multiplikatoren-Effekte erzielen, denn wir möchten das Thema im ganzen LMU-Klinikum bekannt machen.
Wäre das aus Ihrer Sicht auch ein Modell für andere Kliniken?
Ja. Wir geben gerne unser Plakat zur Nutzung durch andere Kliniken frei. Die einzige Voraussetzung ist, dass unser Logo draufbleibt. Das eigene Logo kann mit abgedruckt werden, und wir versenden auf Anfrage dazu auch die Grafikdatei, um es ggf. noch modifizieren zu können.
Dieses Gespräch führte Stephanie Hügler.
Ein weiteres Interview zu diesem Thema mit Dr. Sybille Barkhausen und Maurizio Bär finden Sie unter: https://www.aerztliche-anzeigen.de/artikel/handschuh-kampagne-von-klimeg-ressourcen-sparen-klima-schuetzen
MÄA vom 08.11.2025