Leitartikel

Hitzeschutz in München. Mehr als nur viel Trinken

Tausende Menschen in Deutschland sterben jedes Jahr an den Auswirkungen der Hitze in den Sommermonaten. Einige deutsche Städte halten mit Hitzeaktionsplänen dagegen. Was die Stadt München gegen die Hitze tut und wie sie vulnerable Gruppen schützen will, erläuterte die Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek im Interview mit den MÄA.
Hitzeschutz in München. Mehr als nur viel Trinken
Hitzeschutz in München. Mehr als nur viel Trinken

Foto: Shutterstock

Frau Zurek, wie beschäftigt sich das Gesundheitsreferat mit dem Thema Hitze?

Das Thema hat bei uns seit langem eine große Bedeutung. Die Stadt München hat dazu einen anderen Ansatz als andere Städte gewählt. In der Landeshauptstadt München ist das Thema seit 2016 mit einem Maßnahmenkonzept zur Klimaanpassung hinterlegt, das 2026 fortgeschrieben werden soll. Zudem ist es für uns wichtig, dass wir im Bündnis Hitzeschutz der Bayerischen Landesärztekammer Mitglied sind und uns zum Beispiel am Hitzeaktionstag beteiligen. Aber auch auf Ebene der bayerischen Kommunen über die Landesarbeitsgemeinschaft „Gesundheit im Klimawandel“ des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit oder dem Städtetag sowie mit unseren Partnerstädten Be’er Sheva in Israel und Bordeaux in Frankreich.

Das Gesundheitsreferat (GSR) als Teil der Stadtverwaltung ist mit dem Thema Gesundheit und Hitze befasst. Bei uns liegt der Fokus ins- besondere auf vulnerablen Gruppen, etwa auf Menschen mit Vorerkrankungen, älteren Menschen, Schwangeren und Kleinkindern. Wir haben im GSR seit 2023 einen Zyklus, eine Art strategischen Kreislauf, entwickelt: Wir berichten dem Stadtrat jedes Jahr im Frühjahr, wie die durchgeführten Maßnahmen gelaufen sind, und planen dann fürs nächste Jahr weitere Maßnahmen.
Denn es gibt hier nicht die eine Antwort, sondern wir bleiben in einem dynamischen Prozess.

Innerhalb der Stadtverwaltung und mit anderen Akteuren sind wir gut vernetzt, denn aus unserer Sicht braucht es hier eine konzertierte Aktion. Im Laufe der Jahre haben wir mit dem Fokus auf vulnerable Gruppen z.B. ein Hitzewarnsystem entwickelt, mit dem wir die Institutionen über ein Ampelsystem warnen können. Außerdem haben wir eine Karte kühler Orte entworfen, die z.B. Kirchen und Einkaufszentren, aber auch Trinkbrunnen ausweist. Und natürlich versuchen wir, das Thema durch Informationen und Sensibilisierung bei den Menschen ins Bewusstsein zu bringen – etwa in den Alten- und Servicezentren (ASZ), den Pflegeeinrichtungen oder durch Stadtteilveranstaltungen.

Wie genau gelangen die Informationen an die Menschen? Die Stadt Nürnberg verschickt bei Hitze Warnungen und Maßnahmenvorschläge über ein E-Mail-System. Verschicken Sie Emails, verteilen Sie Flyer?

Wir haben in München ebenfalls ein E-Mail-Warnsystem, das sich an den Warnstufen des Deutschen Wetterdienstes orientiert. Je nach Warnstufe erhalten die Mitglieder des Verteilers angepasste Informationen und Maßnahmenvorschläge. Mit diesem E-Mailverteiler richten wir uns an Organisationen und Institutionen, in deren Einflussbereich vornehmlich vulnerable Klientel betreut wird, wie Kindertagesstätten und Schulen, Pflege- und Behinderteneinrichtungen sowie Flüchtlingsunterkünfte. Die Bevölkerung informieren wir zusätzlich über Pressemitteilungen und Social Media, sind auf städtischen Veranstaltungen wie dem Tag der Daseinsvorsorge präsent und beteiligen uns am Hitzeaktionstag. Außerdem halten wir umfangreiche Informationen und Hitzetipps unter www.muenchen.de/hitze bereit.

Sie konzentrieren sich auf die vulnerablen Bereiche wie Pflegeheime, Krankenhäuser, Schulen, Kitas etc. Zählen dazu auch städtische Gesundheitseinrichtungen wie die München Klinik oder Münchenstift?

Wir versorgen alle städtischen Einrichtungen mit Informationen und arbeiten innerhalb der Stadt mit den verschiedenen und Institutionen und Referaten eng zusammen. Zum Beispiel wendet sich auch das für die Schulen zuständige Referat für Bildung und Sport an uns, wenn es unsere Hilfe braucht. Die meisten städtischen Einrichtungen haben jedoch ihre eigenen Hitzeschutzkonzepte, denn in der Regel kann man nicht allen ein einziges System einfach so „überstülpen“. In der München Klinik z.B. kümmern sich Klimaanpassungsmanager*innen um das Thema. Auch die Pflegeheime setzen das Thema eigenverantwortlich um. Bereits 2020 wurde z.B. gemeinsam mit der LMU und dem Sozialreferat ein Maßnahmenplan für Pflegeheime entwickelt und publiziert.

Das Klimaanpassungsanpassungskonzept ist sehr umfassend, tiefgehend und ressortübergreifend. Es gibt hier vier Arbeitsgruppen, wir sind mit der Arbeitsgruppe Gesundheit betraut, daneben gibt es „Stadtentwicklung, Grünräume und Naturhaushalt“, „Stadtgrün und Gebäude“, „Niederschlag und Wasser“. Welche einzelnen Maßnahmen es zum Thema Gesundheit gibt, sehen Sie zum Beispiel auf muenchen.de (www. muenchen.de/hitze) unter der Überschrift Hitze und Gesundheit. Zudem haben wir Maßnahmen im Sinne eines Hitzeschutzkonzeptes dem Stadtrat unter dem Titel „München bleibt cool“ zusammengefasst und vorgelegt.

In Straubing beispielsweise gibt es Hitzepatenschaften, bei dem Freiwillige vulnerable Personen als Form der Nachbarschaftshilfe etwa bei alltäglichen Besorgungen oder Einkäufen unterstützen. Wäre so etwas auch in München denkbar?

In einer Großstadt ist das leider eine große Herausforderung. Angeschlossen an die Gesundheitstreffs gibt es in München sog. Gesundheitslotsinnen, die Einwohner*innen im jeweiligen Stadtbezirk zu Gesundheitsthemen, so auch zu Hitze, beraten. Wir animieren aber natürlich bei unterschiedlichsten Gelegenheiten dazu, Hilfebedürftigen im persönlichen Umkreis Unterstützung anzubieten.

Gibt es neue Konzepte für ältere Menschen?

Wir versuchen z.B. über die Alten- und Servicezentren an die Menschen heranzutreten. Im Rahmen des Bündnis Hitzeschutz Bayern haben wir das gemeinsame Verständnis, ältere und vulnerable Menschen bei allen Kontakten zum Gesundheitssystem über geeignete Maßnahmen zum Hitzeschutz zu informieren. Außerdem holen wir uns auch Ideen im internationalen Austausch mit unseren Partnerstädten Be’er Sheva in Israel und Bordeaux in Frankreich. Neben der Hitze ist für uns auch das Thema Einsamkeit wichtig. Wir müssen ältere vulnerable Personen aus der Isolation holen. Das Gleiche trifft auch z.B. auf Menschen mit Behinderung zu.

Was sind die Herausforderungen für die Stadt München beim Thema Hitze und Hitzeschutz?

Leider haben wir keine Handhabe, Einrichtungen zur Umsetzung von Maßnahmen zu verpflichten. Deswegen geht es bei uns vor allem um Beratung und Information. Hinzu kommt die eben genannte Herausforderung, die verschiedenen vulnerablen Gruppen zu erreichen. Wir versuchen die Menschen auf verschiedenen, passenden Wegen zu erreichen und anzusprechen wie z.B. über Pflegeheime und die Alten- und Servicezentren. Eine weitere Herausforderung für uns ist, dass München die am dichtesten besiedelte Stadt in Deutschland ist. Wohnungen mit schlechter energetischer Qualität werden leider oft von Personen bewohnt, die z.B. kein hohes Ein- kommen haben. Es gibt also diverse Herausforderungen.

Was würde Ihnen helfen?

Wir bräuchten eine Rechtsgrundlage, um Einrichtungen zu bestimmten Maßnahmen zu verpflichten. Natürlich versuchen wir gleichzeitig, sozusagen ein bisschen bürokratische Luft aus dem System zu lassen, sodass die Forderung nach Regulierung teilweise auch kritisch gesehen wird. Uns geht es aber vor allem darum, dass wir bestimmte Maßnahmen dann nicht nur freundlich empfehlen könnten, sondern auch stärker dazu beraten und sie durchsetzen könnten.

Gibt es Möglichkeiten der Zusammenarbeit oder von Synergien, zum Beispiel mit dem Landkreis oder auch mit anderen Städten wie Nürnberg?

Wir sind, wie gesagt, Teil des Hitze-Netzwerks der Bayerischen Landesärztekammer. Auch auf Städtetagsebene tauschen wir uns zu den Hitzeschutzkonzepten aus. Dort, wo das Thema in Gremien behandelt wird, versuchen wir, uns an diesen Gremien zu beteiligen. Zum Beispiel gibt es einen Austausch mit dem Freistaat über das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in einer Arbeitsgemeinschaft.

Was wünschen Sie sich vom Freistaat bzw. vom Bund?

Wir brauchen ein klares Bekenntnis zu Klimaanpassungsmaßnahmen. Der Grundstein dafür ist jetzt teilweise im Sondervermögen gelegt worden, aber es bedarf noch einer Akzentuierung im Gesundheitsbereich, damit dafür auch Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Es ist jetzt wichtig, die Kommunen zu unterstützen. Wenn man Ressourcen für den Wohnungsbau bereitstellt, sollten diese auch Geld für Klimaanpassungsmaßnahmen beinhalten und Mittel für die Sanierung der Innenstädte. Wir brauchen ein klares Bekenntnis zum Hitzeschutz, Ressourcen und eine belastbare Rechtsgrundlage, damit wir eine Handhabe haben, wenn Akteure nicht mitziehen.

Wie kann die Stadt Praxen oder Krankenhäuser konkret beim Hitzeschutz unterstützen?

Für medizinische Einrichtungen haben wir einen Hitzeleitfaden und stellen in Kooperation mit dem Baureferat Infomaterialien bereit. Durch den Austausch mit der Bayerischen Landesärztekammer und als Teil dieses Bündnisses sind wir auch beratend tätig.

Gibt es schon eine Strategie oder Meilensteine für die nächsten fünf oder zehn Jahre?

Wenn das Klimaanpassungskonzept Ende 2026 oder Anfang 2027 fortgeschrieben wird, werden in der Stadt die nächsten Meilensteine entwickelt. Der etwa vier- oder fünfjährige Zyklus der Fortschreibung ist für uns gut praktikabel, weil wir so immer in kurzer Zeit feststellen können, ob unsere geplanten Maßnahmen noch aktuell sind. Daher: Ja, wir haben eine Strategie für die Zukunft. Viele unserer geplanten Maßnahmen haben eine langfristige Wirkung.
Wenn ich heute klimabewusst baue, einen möglichst verschatteten Park anlege oder die Zahl der Trinkbrunnen erhöhe, hat dies auch eine strategische Wirkung für die Zukunft. Es ist allerdings entscheidend, nicht die falschen Dinge zu initiieren. Auch das System, wie wir an vulnerable Gruppen herankommen, wird vergrößert. Daher befinden wir uns auf dem richtigen Weg, auch wenn wir noch nicht auf alles eine Antwort haben.
 

Dieses Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA 10 vom 10.05.2025