Leitartikel

Hepatitis C Frühzeitig erkennen und behandeln

Durch jahrelange Aufklärungskampagnen kennen die meisten Menschen den HI-Virus und seine Übertragungswege. Anders sieht es bei der Hepatitis C aus. Im Gespräch mit den MÄA warb PD Dr. Christoph Spinner, Infektiologischer Oberarzt am Klinikum rechts der Isar, für Offenheit gegenüber Patienten und eine möglichst frühe Diagnostik und Therapie.
Hepatitis C

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Herr Dr. Spinner, was gibt es von der Hepatitis C (HCV) zu berichten?

Die Hepatitis C ist nach wie vor ein großes, globales Problem. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit 71 Millionen mit dem Hepatitis-C-Virus leben. Das entspricht einem Prozent der Weltbevölkerung. In Europa gibt es etwa 14 Millionen Hepatitis-C-Infizierte. Deutschland gilt zwar als Niedrig-Risiko- Land. Hierzulande geht man von einer Antikörper-Prävalenz von 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. In Bayern hatten wir in 2016 aber eine Inzidenz von 7,1 pro 100.000 Einwohnern. Damit gehören wir zu den Regionen in Deutschland mit der höchsten Inzidenz. In Brandenburg beispielsweise liegt die Inzidenz bei 2,5, in Baden-Württemberg bei 4,7.

Wer ist betroffen?

Als Hauptrisikogruppen gelten Menschen mit Drogengebrauch sowie homo- und bisexuelle Männer (MSM). Hepatitis C wird heute im Wesentlichen durch Blutkontakte übertragen. Drogengebrauch, ganz gleich ob intravenös oder nasal, ist ein Risikofaktor, genauso wie traumatische Sexualpraktiken. Man weiß allerdings nur bei knapp einem Viertel der Patienten, wo und wie sie sich am ehesten infiziert haben.

Die HIV-Aufklärung ist heute sehr gut. Die meisten Menschen kennen die Übertragungswege und können sich schützen. Wie sieht es bei Hepatitis C aus?

Das Wissen über die Erkrankung ist in der Bevölkerung leider sehr heterogen. 2017 haben bei einer Befragung nur 57 Prozent angegeben, dass sie von HCV im letzten Jahr gehört hätten. Nur knapp jeder Zweite, 43 Prozent, wusste, wie HCV übertragen wird, und nur 44 Prozent wussten über die heute erfolgreich heilende Therapie Bescheid. Dabei ist eine unbehandelte Hepatitis C regelhaft tödlich: Sie führt über eine jahrelange chronische Entzündung zur Leberfibrose und –zirrhose und darauf folgend meist entweder zu einem hepatozellulären Karzinom oder zum Funktionsausfall der Leber.

Wie funktioniert die Therapie heute?

Früher waren die Therapieoptionen bei Hepatitis C sehr begrenzt, weil man mit unspezifischen und schlecht verträglichen Therapeutika wie PEG-Interferon und Ribavirin arbeiten musste. Von den im Wesentlichen sechs vorhandenen Genotypen haben wir hierzulande vorwiegend den Genotyp 1. Gegen alle HCV-Genotypen gibt es seit einigen Jahren effektive und verträgliche direkt antivirale Medikamente (Direct antiviral agents, DAA). Über acht bis zwölf Wochen nimmt man ein bis
drei Tabletten täglich ein. Dadurch lassen sich heute Heilungsraten von deutlich über 90 Prozent erreichen. So können wir die Erkrankung in allen Stadien bis zum zirrhotischen Umbau therapieren. Je früher allerdings mit der effektiven und sehr gut
verträglichen Therapie begonnen wird, desto wahrscheinlicher ist es, Leberschäden zu verhindern.

Dann müsste das Problem doch eigentlich gelöst sein...

Nein, denn viele Menschen wissen leider nicht, dass sie eine Hepatitis- C-Erkrankung in sich tragen. Schätzungsweise ging man für Deutschland von bis zu 270.000 Infizierten aus. Von dieser Gesamtzahl wurden in 2016 allerdings nur sieben Prozent behandelt. Gefühlt hat sich das in den letzten Jahren zum Glück noch immer viel zu tun. Heute hat jeder Mensch mit einer chronischen HCV-Infektion in Deutschland grundsätzlich Zugang zur Therapie. Diese wird von den Kostenträgern auch erstattet. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Hepatitis-C-Antikörper- Diagnostik, sofern ein entsprechendes Risiko bezüglich einer
Erkrankung vorliegt.

Wie kann es sein, dass viele Infizierte nichts davon wissen?

Die Krankheitssymptome der HCV sind eher unspezifisch: Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Gelenkschmerzen, epigastrische Schmerzen oder auch grippeähnliche Symptome. Auch die laborchemisch erhöhten Leberwerte, als Ausdruck
der Leberentzündung, sind bei bis zu 40 Prozent normal. Es ist also gar nicht so einfach, auf die Diagnose einer Hepatitis C zu kommen. Patienten mit Risikofaktoren sollten daher ein Angebot zur Untersuchung wahrnehmen können: Menschen aus
Hochprävalenzländern, mit HIV oder mit einer anderen viralen Hepatitis, mit einem erhöhten sexuellen Risiko oder Menschen, die Drogen gebrauchen.

Wann sollten Ärztinnen und Ärzte einen Patienten unbedingt auf Hepatitis C testen?

Auf jeden Fall bei unklarer Leberwerterhöhung, bei der kein anderer plausibler Grund greifbar ist. Außerdem sollten Personen der genannten Risikogruppen ein Angebot zum Screening erhalten. Auch wer nicht steril tätowiert wurde oder früher mal in
einer Justizvollzugsanstalt war oder wer in einem Haushalt mit einem Hepatitis-C-infizierten Menschen wohnt, hat ein erhöhtes Risiko.

Was kann man tun, wenn ein Patient seinen Arzt nicht informiert, dass er zu einer Risikogruppe gehört?

Wenn sich ein Patient vorstellt und fragt, ob er auf Hepatitis C getestet werden kann, sollte man dem auch nachgehen. In der Regel weist alleine das Aufsuchen einer entsprechenden Gesundheitseinrichtung darauf hin, dass ein Infektionsrisiko bestehen könnte. Außerdem braucht es eine Awareness: Man sollte daran denken und bei unklaren Symptomen auch danach fragen. Das
Arzt-Patienten-Verhältnis ist eines der wertvollsten in der Medizin. Natürlich muss jeder im Rahmen seiner Persönlichkeit und seiner Patienten dabei seinen Weg finden. Aber wir werben sehr stark dafür, offen mit Patienten und deren Lebensumständen umzugehen. Außerdem möchten wir unsere Kollegen ermuntern, im Kontext der HCV-Infektion auf die etablierten
Behandlungszentren zuzugehen, um Beratung zur Diagnostik und Anbindung zur Therapie für Patienten zu erhalten.

Heilungsraten von um die 90 Prozent erscheinen unschlagbar. Was ist mit den verbleibenden zehn Prozent?

In der Tat bieten die sehr effektiven therapeutischen Optionen inzwischen sogar über 90- prozentige Heilungswahrscheinlichkeiten. Dennoch gibt es natürlich besondere Patientengruppen, wie solche mit
fortgeschrittener Leberfibrose oder selten auch ein Versagen der direkt antiviralen Therapie. Diese Fälle sollten an erfahrenen Zentren behandelt werden.

Warum muss trotz der großen Erfolge bei der Hepatitis-C-Therapie aus Ihrer Sicht weiter geforscht werden?

Für die chronische Hepatitis C haben wir derzeit gute Behandlungsmöglichkeiten. Ein großes Problem ist aber die akute Virushepatitis C. Alle Substanzen – mit Ausnahme des wenig effektiven und schlecht verträglichen PEG-Interferon – sind
bis jetzt nur zur Therapie der chronischen Hepatitis C zugelassen, sodass wir akut Infizierten derzeit kein Behandlungsangebot machen können. Chronisch wird die Erkrankung aber erst nach sechs Monaten.
Die akute Virushepatitis nimmt leider immer wieder einen ausgeprägten Krankheitsverlauf. Viele Menschen sind extrem leistungsgemindert und für mehrere Wochen nur bedingt oder gar nicht einsatzfähig. Ihnen würde eine frühe Behandlung
zur Verkürzung der Krankheitsaktivität womöglich sehr helfen und gleichzeitig auch die Wahrscheinlichkeit der Übertragung verringern.

Man könnte argumentieren, dass die Erkrankung ja nicht immer chronisch wird...?

Natürlich besteht immer die Chance, dass eine akute Virushepatitis spontan ausheilt, aber es ist eben nur eine Chance. Laut Literatur trifft das auf 15 bis 40 Prozent der Patienten zu. Studiendaten mit Kooperationspartnern zeigen eher niedrigere Ausheilungsraten um die 10 bis 15 Prozent. Wir brauchen also neue therapeutische Optionen. In diesem Kontext ist das HepNet – eine nationale Forschungsgruppe unter Leitung von Prof. Dr. Markus Cornberg in Hannover – sehr aktiv. Es hat eine Studie
zur akuten Virushepatitis aufgelegt, an der auch wir Münchner uns beteiligen. Für unsere aktuelle Akute-Virushepatitis-
V-Studie suchen wir noch Teilnehmer, die nicht mit HIV koinfiziert sind.

Was können Ärzte tun, die bei einem Patienten eine Hepatitis C neu festgestellt haben?

Wichtig ist zunächst, zu unterscheiden, ob es sich um eine akute oder chronische Infektion handelt. Nicht jeder erstmalige Nachweis eines Hepatitis-C-Antikörpers bedingt eine akute Infektion. Daher sollte man zum Beispiel schauen, ob über zehnfach
erhöhte Transaminasen vorliegen und ob es eine dokumentierte Antikörper-Serokonversion in den letzten vier bis sechs Monaten gab. Beim Vorliegen einer akuten Virushepatitis sind die direkt antiviralen Substanzen, wie bereits ausgeführt,
derzeit nicht zugelassen. Vorstudien haben aber gezeigt, dass sie möglicherweise sogar verkürzt eingesetzt werden könnten. Derzeit ist ein Einsatz außerhalb klinischer Studien aber wegen der fehlenden Zulassung nicht im Rahmen der  Routineversorgung möglich.

Wie können Patienten an Ihrer Studie teilnehmen?

Wenn ein ärztlicher Kollege zum Schluss kommt, dass eine akute Virushepatitis C vorliegt – wegen der über zehnfach erhöhten Transaminasen oder Antikörperserokonversion in den letzten Wochen – dann kann dieser gern telefonisch Kontakt zu unserem Zentrum aufnehmen. Selbstverständlich können sich ärztliche Kollegen auch mit sonstigen Fragen zur Hepatitis-C an unsere
Einrichtung wenden.

Was erhoffen Sie sich von Ihrer Forschung?

Wir haben mit unserem Studienzentrum auch schon an Vorstudien der direkt antiviralen Therapie der akuten Virushepatitis teilgenommen. Von der aktuellen Studie erhoffen wir uns eine bessere Kenntnis der direkt antiviralen Substanzen im Kontext der akuten Virushepatitis C. Wir freuen uns jederzeit über eine Kontaktaufnahme.


Das Gespräch führte Stephanie Hügler