Gynäkologische Prävention. Mädchen schützen

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Frau Kunstein, warum ist Prävention bei Mädchen und Frauen gerade ein aktuelles Thema?
Die Bayerische Staatsregierung hat entsprechend ihrem Koalitionsvertrag einen sogenannten „Masterplan Prävention“ entwickelt. Mehrere Projektgruppen im Gesundheitsministerium beschäftigen sich mit verschiedenen Aspekten der Prävention, eine davon speziell mit Frauengesundheit, eine andere mit sexueller Gesundheit. In letzterer bin ich Mitglied. Gemeinsam haben wir Vorschläge zur Stärkung der Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten in Bayern erarbeitet und sie der Ministerrunde vorgelegt. Ich bin auch Mitglied der Kommission „Prävention“ in der Bayerischen Landesärztekammer, die sich dieses Jahr besonders mit Frauengesundheit beschäftigt.
Was gibt es Neues zur Frauengesundheit?
Seit 2020 gibt es eine neue Krebsvorsorge für Frauen ab 35 Jahren, die für die Früherkennung des Gebärmutterhalskrebses zunächst sehr kritisch gesehen wurde, da sie nur noch alle drei Jahre eine zytologische Untersuchung vorsieht, dafür aber einen HPV-Test beinhaltet. Die genauen Auswertungen zum neuen Screening stehen tatsächlich noch aus, aber es sieht momentan so aus, als sei es zumindest nicht zu einer Verschlechterung der Versorgung gekommen. Eine sehr große Veränderung gab es 2007 durch die Einführung der HPV-Impfung. Leider müssen wir uns immer noch sehr bemühen, dass diese Möglichkeit auch wahrgenommen wird. Deutschland hat hier nach wie vor sehr schlechte Impfraten, und Bayern ist so ziemlich das Schlusslicht – wie auch bei den anderen Impfungen. Übrigens impfen wir in unserer Praxis nicht nur Mädchen, sondern auch Jungs. Damit können wir nicht nur die Mädchen schützen. Die Jungs profitieren auch für ihre eigene Gesundheit, denn rund 20 Prozent aller Plattenepithelkarzinome bei Männern sind HPV-assoziiert! Und wir impfen dadurch gleichzeitig gegen Feigwarzen, die auch für Männer sehr lästig sind. Je mehr Kinder und Jugendliche gegen HPV geimpft sind, desto besser ist die Prävention für alle.
Seit etwa sechs Monaten gibt es die Mädchen-Sprechstunde M1, zu der die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit verschiedenen Betriebskrankenkassen kooperiert.
Frau Dr. Marianne Röbl-Mathieu hat einen strukturierten Fragebogen erarbeitet, den wir in der Sprech- stunde gut nutzen können. Darin fragen wir nach Impfungen, aber auch nach anderen prädisponierenden oder präventiven Faktoren: Hat das Mädchen ein Gewichtsproblem? Wie problematisch ist der Zyklus? Hat sie Schmerzen bzw. gibt es Anhaltspunkte für eine Endometriose? Mit dem Fragebogen erfassen wir alles systematisch und übersehen nichts. Gleichzeitig können wir den jungen Frauen im Gespräch zeigen: „Keine Angst! Wir Gynäkolog*innen sind Ärztinnen und Ärzte wie alle anderen auch.“ Leider ermöglichen bis jetzt nur einige Betriebskrankenkassen diese Art der systematischen Prävention. Auf der Website der KV können sich Gynäkolog*innen für dieses Programm einschreiben und die Leistung dann später über eine spezielle Ziffer mit der KV abrechnen.
Wie alt sind die Mädchen, die zur M1 kommen können? Und was geschieht in der Sprechstunde?
Die M1 ist für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Das schriftliche Einverständnis der Eltern muss vorliegen. Die jungen Patientinnen können in der Sprechstunde auch gynäkologisch untersucht werden, aber sie müssen es nicht. Die M1 ist einfach eine Gelegenheit zu einem lockeren Gespräch, zum Kennenlernen und zur Beratung. Die Mädchen dürfen dazu auch die beste Freundin, die Schwester oder den Freund mitbringen, wenn sie dies möchten. Wichtig ist, dass wir ihnen in der Sprech- stunde die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden, wie offen sie worüber sprechen möchten: Liegt ihr Schwerpunkt eher bei der Verhütung, bei den Periodenschmerzen oder bei Beschwerden wie einem unregelmäßigen Zyklus? Je individueller und lockerer man damit umgeht, desto mehr kann man für die Zukunft der Kinder erreichen.
Eine gynäkologische Mädchensprechstunde existiert eigentlich schon länger. Was ist der Unterschied zur M1?
Unser Berufsverband hat bereits vor über 20 Jahren mit einer Fortbildungsreihe zu verschiedenen Aspekten ein Programm namens „Mädchensprechstunde“ als niederschwelliges Angebot eingeführt. Mit der M1 haben wir aber zum ersten Mal ein strukturiertes Tool. Es ist wichtig, dass man Impflücken schließt, Endometriose früh erkennt und rechtzeitig über Verhütung spricht. Leider informieren sich immer mehr Mädchen eher online als bei ihren Ärzt*innen. Und bei Instagram gibt es Influencer, die den Teenagern zum Beispiel eine Verhütung mit der natürlichen Familienplanung empfehlen – und damit das Risiko für Problemschwangerschaften erhöhen. Da sträuben sich bei uns Gynäkolog*innen natürlich die Nackenhaare. In der M1 können wir den Mädchen zum Beispiel sagen: „Okay, ich verstehe, dass du die Pille nicht gerne nimmst, aber sie kann gleichzeitig verhindern, dass sich eine eventuell vorhandene Endometriose ausbreitet“. Es ist auch grundsätzlich etwas anderes, ob die Mutter sagt: „Nimm doch bitte die Pille“, oder ob die Frauenärztin sagt: „Ich würde Dir empfehlen, mal über die Pille nachzudenken“. Obwohl auch einige wenige Kol- leg*innen sehr gute Angebote auf Social Media machen, ist unsere ärztliche Betreuung und Beratung vor Ort und von Angesicht zu Angesicht meiner Meinung nach unersetzlich.
Wie funktioniert das HPV-Impfangebot bei den Jungs?
Da ich weiß, welche meiner Patientinnen Söhne oder Töchter haben und in welchem Alter diese sind, spreche ich die Mütter darauf an. Wenn die Söhne keinen Kinderarzt haben oder sie nicht zur Hausärztin oder zum Kinderarzt gehen möchten, bieten wir ihnen an, sie zu impfen. Die Jungs bräuchten im Grunde auch einen strukturieren Übergang zum Urologen. Männer gehen ja immer noch viel seltener zur Vorsorge als Frauen! Es ist daher wichtig, dass der Kinderarzt rechtzeitig die HPV-Impfung vornimmt – oder dass eben wir das tun.
Interessant finde ich, dass es in der Mädchensprechstunde M1 auch um Essstörungen geht.
Wir wissen, dass Essstörungen den Hormonhaushalt deutlich beeinträchtigen und auch Probleme für die Zukunft schaffen können – z.B. mit lebenslangen Auswirkungen auf die Knochengesundheit, wenn durch die Essstörung die Periodenblutung ausbleibt. Eine meiner Patientinnen hatte im Jugendalter eine Bulimie mit entsprechendem Gewichtsverlust, und obwohl wir versucht haben, ihre Knochen während ihrer Schwangerschaft mit Kalzium und Vitamin D so gesund wie möglich zu erhalten, zog sie sich kurz vor der Entbindung eine komplizierte Unterschenkelfraktur zu. Natürlich entwickelt nur etwa jede zweihundertste Frau eine schwangerschaftsinduzierte Osteoporose. Aber Essstörungen sind ein wichtiger Risikofaktor. Wenn wir also wissen, dass ein Mädchen einen sehr niedrigen Body-Mass-Index hat, können wir ihre Knochengesundheit frühzeitig schützen.
Auch das Thema sexuelle Selbstbestimmung besprechen Sie in der M1.
Die Mädchen müssen wissen, dass sie bei der Frauenärztin offen über alles reden können. Dass nichts peinlich oder problembehaftet ist. Im Gespräch können wir z.B. vor- sichtig schauen: Gibt es in einer Partnerschaft ein problematisches Altersungleichgewicht, und können wir dafür ein Bewusstsein schaffen? Viel häufiger als früher sagen uns manche Mädchen auch: „Ich brauche keine Verhütung, denn ich bin mit einer Frau zusammen“. Das müssen wir nicht kommentieren, aber wenn die Mütter nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen, können wir sie beraten und sie z.B. fragen: „Ist Ihr Kind denn glücklich? Was bereitet Ihnen Sorgen? Brauchen Sie weitere Beratungsangebote?“ Viele Kolleg*innen begleiten diese Themen nicht so gern, weil dies zeitaufwändig und für manche auch mit Peinlichkeit behaftet ist, aber auch das gehört dazu. In München engagieren sich aktuell nur sehr wenige Kolleg*innen in der Sexualmedizin, denn bis jetzt erhalten wir dafür keine Vergütung. Wenn ich eine Vertrauensbasis aufbauen möchte, brauche ich dafür aber mehr als zehn Minuten. Auch die Beratung von Frauen in den Wechseljahren oder mit Endometriose wird übrigens nicht gesondert vergütet, egal wie aufwändig sie ist.
Was wünschen Sie sich für den Bereich der Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten?
Im Rahmen der Mädchensprech- stunde können wir die Mädchen darauf hinweisen, wie wichtig ein Kondom bei einer neuen Partnerschaft ist oder wenn man keinen festen Partner hat. Im Arbeitskreis haben wir deshalb nach weiteren niederschwelligen Angeboten gesucht, um eine Übertragung von sexuell übertragbaren Erkrankungen (STDs) zu verhindern – nicht nur bei Mädchen, sondern bei allen Frauen. Am etabliertesten ist bis jetzt das Chlamydien-Screening. Mit über 80 Millionen Neuerkrankungen jährlich weltweit sind Chlamydien die häufigste sexuell übertragbare Infektion. Bei jungen Mädchen zwischen 15 und 25 wird zumindest einmal im Jahr der Urin auf eine bestehende Infektion untersucht. Danach passiert das leider häufig nicht mehr. Erst in der Schwangerschaft wird der Chlamydien-Test wieder als Teil der Mutterschaftsvorsorge durchgeführt. Sinnvoll wäre es aber, alle Frauen auf Wunsch, etwa bei einer neuen Partnerschaft, darauf zu checken. Leider ist dies aktuell eine kosten- pflichtige Eigenleistung. Sich kostenlos auf sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV, Syphilis usw. testen zu lassen, ist nur beim städtischen Gesundheitsamt möglich.
Was würden Sie gern anderen Kolleginnen und Kollegen zur Mädchensprechstunde M1 sagen?
Ich wünsche mir, dass man im Interesse der Mädchen dieses Programm unterstützt und sie damit frühzeitig an die frauenärztliche Versorgung heranführt. Ich hoffe, dass der gemeinsame Bundesausschuss es bald allen Versicherten ermöglicht. Denn im Alter bis zu 25, 30 oder sogar 35 gehen viele gesunde junge Frauen zu keinem anderen Arzt als zum Frauenarzt. Häufig nehmen wir daher auch die Standardimpfungen vor und schließen im Interesse der Gesellschaft wichtige Impflücken.
Zusätzlich übernehmen wir bei jungen Frauen eine Steuerungsfunktion. Ich weiß, dass dies von Kolleg*innen anderer Fachrichtungen nicht immer gern gesehen wird, aber wenn wir die jungen Frauen nicht an ihre Gynäkolog*innen „anbinden“, gehen sie nirgends hin. Gynäkologische Vorsorge sollte daher so umfassend wie möglich sein. Insbesondere für spätere Schwangerschaften können wir viel bewegen, wenn wir im Vorfeld auf Ernährung, Lebensführung, Gewichtsregulation und eben die wichtigen Impfungen achten.
Dieses Gespräch führte Stephanie Hügler
MÄA 14 vom 05.07.2025