Leitartikel

"Grüne" Medizin, Klima und Gesundheit

Ärztealltag und Umweltschutz – zwei Bereiche, die nichts miteinander zu tun haben oder sich gar widersprechen? Keineswegs. Die erneut digital durchgeführte 139. Delegiertenversammlung am 26. November zeigte: Ärzt*innen können durchaus etwas für den Umweltschutz bewegen.
"Grüne" Medizin, Klima und Gesundheit
"Grüne" Medizin, Klima und Gesundheit

Bild: shutterstock

Auf den Klimawandel zu reagieren, kann die größte Chance für die globale Gesundheit im 21. Jahrhundert sein”. Das hat die Lancet Communication Change and Health bereits 2015 so formuliert. Doch wie können auch Mediziner*innen vom Wissen zum Handeln kommen? Diese Frage stellte die Ärztin Linda Avena von der Initiative „Health for future“ zu Anfang ihres Vortrags „Ökologisches Gesundheitswesen: Münchner Ärzte auf dem Weg?“. Es gebe viel Wissen und wissenschaftliche Einigkeit zur Klimakrise. Die WHO bezeichne sie zum Beispiel als „eine der größten globalen Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit“. Schon jetzt schade die jährliche Hitzewelle immer stärker sowohl den Jüngsten als auch den Ältesten. Und eine regelrechte Heißzeit komme auf uns zu.

 Gleichzeitig sei es an der Zeit, positive Botschaften zu formulieren: „Was gut fürs Klima ist, ist auch gut für die Gesundheit“, sagte die Referentin. In drei Sektoren könne und müsse Klimaneutralität erreicht werden: Energie, Ernährung und Landwirtschaft sowie Mobilität. Der Ausstieg aus der Kohlenutzung etwa sei eine wichtige Maßnahme für die öffentliche Gesundheitsprävention, denn diese ist dem Lancet Countdown Report von 2018 zufolge für 460.000 vorzeitige Todesfälle im Jahr durch Luftverschmutzung verantwortlich. Eine vorwiegende pflanzen- und getreidebasierte Ernährung wiederum kann laut Harvard Universität rund 11 Millionen frühzeitige Todesfälle verhindern. Und im Verkehrswesen ist der Bewegungsmangel ein großer Risikofaktor, etwa für koronare Herzerkrankungen, Diabetes, kolorektale Karzinome, Brustkrebs und Schlaganfälle (Global Burden of Diseases 2015). Ein Umstieg z.B. aufs Fahrrad verbessert so nicht nur die CO2-Bilanz, sondern auch die eigene Gesundheit.

Wir haben also eine ziemlich gute Story, wenn wir die Co-Benefits berücksichtigen“, sagte die Referentin. Nun gelte es, diese positiven Narrative zu verbreiten. Health Professionals könnten aufgrund des ihnen entgegengebrachten hohen Vertrauens und ihrer Glaubwürdigkeit, der guten Vernetzung in Berufsverbänden und ihrem Zugang zu den unterschiedlichsten Menschen einiges bewegen. Die Gesundheitsfürsorge vereine außerdem alle politischen Lager innerhalb der Ärzteschaft.

Vom Wissen zum Handeln zu kommen ist laut Avena gar nicht so schwer und auch niedrigschwellig möglich. Sie verwies auf vergangene Aktionen, etwa von Doctors for Future beim Deutschen Ärztetag in Münster oder eine 36 Stunden dauernde Mahnwache von Ärzt*innen hier in München. Öffentlichkeitswirksame Aktionen seien selbst in einer Mittagspause möglich.

 Ärzt*innen könnten sich jetzt und konkret engagieren: beim Patientenkontakt, im Arbeitsumfeld und bei den eigenen Berufsverbänden. Es gelte z.B., den Austausch mit Kolleg*innen zu suchen, eine „Planetary Health Diet“ in der Mensa oder Kantine einzuführen, sich für die Einbindung des Themas in Lehrpläne an der Uni stark zu machen und die ärztlichen Pensionskassen zu nachhaltigem Investment aufzufordern. Klimabeauftragte könnten in Münchens Krankenhäusern berufen, konkrete Maßnahmen in den Stadtrat eingebracht und nachhaltige Krankenhäuser gefördert werden. „Werden Sie aktiv!“, rief die Referentin die digital Anwesenden auf und lud Interessierte dazu ein, sich der Organisation Health for Future anzuschließen.

Wie ein Krankenhaus sich als „Green Hospital“ neu erfinden und umweltfreundlich gestalten kann, schilderte Prof. Dr. Emilio Domínguez, Chefarzt des REGIOMED Klinikums Lichtenfels, in einem Vortrag über seine Klinik, das erste „Green Hospital“ Bayerns. Anhand vieler Bilder zeigte er: Ein umweltfreundlicheres Krankenhaus kann gleichzeitig schöner und angenehmer für Mitarbeiter*innen und Patient*innen sein.

Grundlage des Klimaschutzes in Lichtenfels ist das ausgeklügelte architektonische Konzept des 2018 bezogenen Neubaus. Mit einem Budget von 112 Mio. Euro sei es gelungen, den CO2-Ausstoß von 2.760 Tonnen im Jahr des alten Hauses auf 710 Tonnen im neuen zu drücken, sagte Dominguez – im Vergleich zu 2.130 Tonnen bei einem Standardneubau. Wesentliche Bausteine dafür: Passivhausstandard, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit sowie die Nutzung von 95 Prozent regenerativen Energien. Neben einer Photovoltaikanlage und einer Dachbegrünung verfügt der Neubau u.a. über eine komplette Dreifachverglasung mit vielen Fensterfronten, die die Wärme der Sonnenstrahlen durchlassen, aber ihr Entweichen verhindern.

Hell und freundlich sei sein eigenes Büro wie auch das ganze Klinikum dadurch geworden, erzählte Dominguez. Es ermögliche den ganzen Tag einen freien Blick auf die umliegende Landschaft – ein Grund, warum er nicht mehr von dort weg wolle. In den Patientenzimmern sei das nötige künstliche Licht an den circadianen Tagesverlauf angepasst: Gelb- und Rottöne simulieren morgens und abends einen Sonnenauf- bzw. -untergang. In den Fluren steuert eine spezielle Lichttechnik den Einsatz der LEDS so, dass das Licht intensiver wird je weiter man sich von einem Fenster entfernt. Auch der Energieverbrauch der Gerätetechnik ist optimiert, ökologische Materialien wie Kautschuk oder recycelte Materialien sowie latente Wärmespeicher wurden z.B. als Bodenbeläge eingesetzt. Die Energieversorgung des Gebäudes stammt aus einem Blockheizkraft mit Kraft-Wärme-Kopplung, das außerdem mit Biogas und Holzhackschnitzeln betrieben wird. Warmes Wasser erzeugt die Photovoltaikanlage, mit Wasser füllbare Rohre in der Decke dienen im Sommer zur Kühlung.

Besonders stolz und begeistert zeigte sich Dominguez über die ästhetische Wendeltreppe und den Glasaufzug im Gebäude. Dass die angewendete Architektur nicht nur ökologisch sei, sondern auch den Menschen in den Mittelpunkt stelle, lobte der Chefarzt begeistert. Großflächige Landschaftsfotos aus der Gegend oder der Partnerstadt Split machten nicht nur die Korridore, sondern auch die OP-Säle freundlicher. Wenn der Blick beim Operieren auf ein schönes Foto falle wirke die ansonsten nüchterne Umgebung gleich viel angenehmer.

Dominguez zeigte sich aber auch ein wenig kritisch: In seiner Klinik werde noch wie vor 50 Jahren auf Papier dokumentiert statt elektronisch, man arbeite mit vielen oft mehrfach verpackten Einwegmaterialien. Die Personalplanung sei zu wenig nachhaltig. Und schließlich nutze man weg geworfenes Essen aus der Krankenhauskantine zwar, um aus den Resten Biodiesel herzustellen. Besser wäre es aber, weniger Lebensmittel wegwerfen zu müssen. Schließlich zog der Referent einen Bogen zur internationalen Gesundheitspolitik: Im Vergleich etwa zu Großbritannien verursachten die Krankenhäuser in Deutschland aktuell einen wesentlich größeren ökologischen Fußabdruck. „Die Architektur der Krankenhäuser kann einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und gleichzeitig menschenfreundlich sein“, schloss er.

Beide Vorträge wurden rege diskutiert. Er freue sich, dass Ökologie offenbar nicht immer nur daraus bestehe, sich einzuschränken, sagte ein Delegierter und fragte nach, wie einfach es gewesen sei, die Kosten für den Neubau zusammenzubekommen. Dominguez verwies auf eine finanzielle Förderung durch den Freistaat Bayern und eine Bürgschaft des Trägers. Ob es einen ökologischen Bericht für den Aufsichtsrat gebe, wollte eine weitere Delegierte wissen. Unter anderem durch das Corona-Thema sei leider Vieles liegen geblieben, erwiderte Dominguez.

Warum Großbritannien gegenüber Deutschland in Sachen Klimaschutz voraus sei erklärte Avena: Der dortige National Health Service (NHS) habe es sich bereits lange zur Aufgabe gemacht habe, das Gesundheitswesen bis 2040 klimaneutral zu gestalten. „Wir müssen schnell aktiv werden“, sagte ein Gast, also z.B. außer über den hohen Anteil der Kohleverstromung erneut eine Debatte über die Krankenhausfinanzierung anstoßen.

Dass aktuell in München viele Chancen für umweltfreundliche Krankenhaus-Neubauten vertan würden, kritisierte ein weiterer Redner. So sei etwa die Forderung nach nachhaltigen Kühlungssystemen im Schwabinger Krankenhaus aus Kostengründen abgelehnt worden. Umweltfreundliche Krankenhaus-Neubauten in München müssten unbedingt durch den Freistaat und die Stadt gefördert werden. Eine Delegierte wies daraufhin, dass Renovierungen oft umweltfreundlicher seien als Neubauten.

 „Im Idealfall stehen wir an einer Zeitenwende!“ konstatierte ein Delegierter, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass man bei der Strukturierung und Steuerung der Krankenhäuser weiterkommen müsse. Durch die derzeitige Zersplitterung von Entscheidungsprozessen sei eine Mitsprache von Mitarbeiter*innen etwa zur Verwendung ökologischer Materialien in Neubauten unmöglich geworden.

Ob der Kampf gegen den Klimawandel nicht bereits verloren sei, gab ein weiterer Redner zu bedenken. „Jedes Zehntelgrad ist wichtig“, erwiderte Avena. Auch Dominguez rief dazu auf, nicht aufzugeben, sondern weiter an Verbesserungen zu arbeiten.

Niedergelassene, die sich bei „Health for future“ engagieren wollten, könnten eine Subgruppe bilden. Jede*r sei dort willkommen und immer wieder fänden sich neue Projektgruppen zusammen, auch wenn derzeit noch die Mehrheit aus Student*innen bestehe. Weitere Delegierte forderten, das Thema Klimaschutz in den Gesundheitsbeirat der Stadt einzubringen und als Ärzteschaft gemeinsam zur Veränderung der Verhältnisse aufzutreten. Neben den Verhältnissen gelte es auch das eigene Verhalten zu ändern, indem man etwa Pharmareferent*innen immer wieder auf unnötigerweise doppelt und dreifach verpackte Impfstoffe oder Medikamente hinweise.

Die beiden Anträge des Umweltausschusses zum Klimaschutz und Nichtraucherschutz wie auch ein Antrag auf eine Corona-Prämie für MFA von zwei Delegierten wurden mit großer Mehrheit verabschiedet (genauer Wortlaut s. S. 9-10).

 Stephanie Hügler