Leitartikel

Bayerischer Ärztetag in Regensburg, Klimawandel, Kapitalanleger, Krankenhäuser

Fehlende Medizinstudienplätze und investorengeführte MVZ, Klinik-Notaufnahmen und Digitalisierung – die Themenpalette beim 81. Bayerischen Ärztetag vom 14. bis 16. Oktober in Regensburg war breit. Ein Thema stand dabei immer wieder im Vordergrund: der Klimawandel und seine Folgen für die Gesundheit.
Bayerischer Ärztetag in Regensburg, Klimawandel, Kapitalanleger, Krankenhäuser
Bayerischer Ärztetag in Regensburg, Klimawandel, Kapitalanleger, Krankenhäuser

Foto: BLÄK

 

Bereits bei der Eröffnungsveranstaltung machte das Impulsreferat deutlich: die Erde brennt. Als Referentin sprach Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Ihr rotes Jacket sei ein Hinweis auf die existentielle Bedrohung für unseren Planeten und die Gesundheit der Menschen. „Eigentlich sollten wir dieses Thema nicht abends besprechen, denn die Nachrichten sind nicht positiv“ sagte Traidl-Hoffmann.

Bereits der World Health Summit 2015 habe darauf hingewiesen, dass der Klimawandel die größte Bedrohung für die Gesundheit der Menschen im 21. Jahrhundert sei. Aus der Pandemie könne man lernen, dass eine Vorbereitung auf künftige Katastrophen möglich sei: Das 1,5- bzw. 2-Grad-Ziel sei zwar voraussichtlich nicht mehr zu erreichen. Es gelte jedoch, sich von der Bedrohung nicht erdrücken zu lassen, sondern zu handeln. Es brauche mehr Respekt gegenüber Mensch und Natur. Ärzt*innen müssten ihr Narrativ ändern: „Niemand interessiert sich für den bedrohten Eisbären“. Die Botschaft laute stattdessen: Der Klimawandel macht krank. Bereits jetzt bedrohe er die mentale Gesundheit junger Menschen, die vielfach große Angst vor der Zukunft hätten.

Die Hitze in diesem Sommer habe Herz und Kreislauf jüngerer wie älterer Menschen stark belastet. So sei ein 35-jähriger Dachdecker nach stundenlanger ungeschützter Arbeit ohne Kopfbedeckung mit einer Körperkerntemperatur von 43 Grad in ihrer Klinik innerhalb von Stunden an Multiorganversagen gestorben. „Irgendwann haben wir die Grenzen unserer Anpassung erreicht“, betonte Traidl-Hoffmann. „Bei 42 Grad ist das Ende erreicht“. Durch den demographischen Wandel und die Pandemie reagierten immer mehr chronisch kranke Patient*innen immer empfindlicher auf Klimaschwankungen. Allergien nähmen zu, der Klimawandel mache die Pollen selbst aggressiver. Der Politik gegenüber gelte es daher, beherzt aufzutreten: „Konzepte im Schrank bringen nichts“, sagte Traidl-Hoffmann. Auch die Medizin müsse verstehen, dass Verzicht häufig ein Mehr bedeutet. Weniger Fleisch und mehr pflanzenbasierte Kost in Krankenhäusern etwa sei nicht nur billiger und gesünder, sondern schone auch das Klima.

Ihr flammendes politisches Plädoyer hörte Gesundheitsminister Peter Holetschek leider nicht mehr, denn er hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit Verweis auf einen weiteren Termin verabschiedet. Umso genauer zugehört hatte offenbar der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), Dr. Gerald Quitterer. Im Hinblick auf den Klimawandel verpflichte die ärztliche Berufsordnung die Ärzteschaft zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, betonte Quitterer und forderte die Einführung des Konzepts „Health in all policies“– Gesundheit in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen.

Im Hinblick auf die Pandemie verwies der Ärztekammerpräsident auf den aktuell noch stärker als sonst ausfallenden Personalmangel in den Kliniken. Dies führe dazu, dass immer mehr Klinik-Notaufnahmen zeitweise abgemeldet werden müssten. Um die Versorgung langfristig zu sichern, brauche es nicht nur mindestens 6.000 mehr Medizinstudienplätze deutschlandweit. Bei der Zulassung zum Studium müssten zudem solche Bewerber*innen stärker unterstützt werden, die künftig Praxen übernehmen wollten. Auch Regensburg brauche endlich eine medizinische Fakultät.

„Mehr Wertschätzung“ lautete eine weitere Forderung von Quitterer in seiner Rede. In den Honorarverhandlungen dürfe es keine Nullrunden mehr geben, die Neupatientenregelung dürfe nicht gestrichen werden. Ein Ersteinschätzungsverfahren in Notaufnahmen – wie in Rosenheim erprobt – könne die Kassen genauso entlasten wie die Streichung versicherungsfremder Leistungen aus dem Kassenkatalog. Die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) müsse endlich eingeführt, investorenbetriebene Medizinische Versorgungszentren verhindert werden – z.B. durch Einführung eines Transparenzregisters und eine Eignungsprüfung von Praxisbewerber*innen vor den Zulassungsausschüssen. Ärzt*innen müssten „gemäß dem Prinzip ‚choosing wisely‘ freie Therapieentscheidungen unabhängig von wirtschaftlichen Interessen treffen können“.

Hinsichtlich der Digitalisierung setzte der BLÄK-Präsident auf Entbürokratisierung. Digitalisierung dürfe auch niemals der reinen Datengewinnung dienen, entscheidend sei der Nutzen für Ärzte- und Patientenschaft. Der reinen „Sekundärnutzung“ von Patientendaten erteilte Quitterer eine Absage.

Die Themen aus der Eröffnungsrede griff das Ärzteparlament in den beiden folgenden Tagen auch im Plenum auf. Angesichts des Klimawandels müsse die Politik noch vor dem nächsten Sommer verpflichtende Hitzeschutzaktionspläne einführen, forderten die Delegierten. Alarmpläne bei Hitzeperioden seien genauso wichtig wie das Ergreifen entsprechender Maßnahmen in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Arztpraxen, Kindergärten und Schulen. Besonders geschützt werden müssten vulnerable Gruppen wie Kinder und ältere Menschen – durch Information über kühle Aufenthaltsmöglichkeiten, Verbot schulischer Sportveranstaltungen bei Hitze und mehr Trinkbrunnen in Innenstädten. Tempolimits könnten Emissionen und damit auch Gesundheitsgefahren verringern.

Der Bayerische Ärztetag beschloss im Plenum unter anderem die Unterstützung der Ukraine-Resolution des Weltärztebunds vom 10. Oktober. Auch mit der Pandemie beschäftigte er sich. Dem gerichtlich verordneten Verbot der Ex-Post-Triage stellte sich das Gremium kritisch gegenüber. Zwar sei das Anliegen richtig, dass Menschen mit einer Behinderung nicht deshalb bei einer nötigen Triage benachteiligt werden dürfen. Eine Therapiezieländerung müsse aber in allen Fällen möglich sein. Überlebenswahrscheinlichkeiten ließen sich häufig erst nach Beginn einer intensivmedizinischen Behandlung bestimmen. Patient*innen mit guten Überlebenschancen dürften nicht allein deshalb keine Intensivmedizin erhalten, weil sie später in der Klinik eintreffen als andere. Menschen mit Behinderung seien bereits durch das Genfer Gelöbnis und die ärztliche Berufsordnung geschützt.

Auch die Digitalisierung nahm einen großen Raum bei der Diskussion ein. Gesundheitsversorgung und Datenschutzstandard in Deutschland dürften sich durch den im Mai 2022 bekannt gewordenen Entwurf einer Verordnung über den „Europäischen Raum für Gesundheitsdaten“ (European Health Data Space) nicht verschlechtern. Insbesondere sprach sich das Ärzteparlament gegen eine Sekundärnutzung von Patientendaten ohne Widerspruchsmöglichkeit der Betroffenen oder nach Fristablauf aus. Die Datenlieferung von Ärztinnen und Ärzten müsse rechtssicher gestaltet und angemessen vergütet werden. Die EU-Mitgliedsstaaten müssten diesbezüglich ihre Kompetenzen behalten. Die gute ärztliche Versorgung hierzulande dürfe nicht unter fragwürdigen telemedizinischen Angeboten leiden.

Die Delegierten unterstützten Quitterers Forderung nach mindestens 6.000 mehr Medizinstudienplätzen in Deutschland, um die Versorgung auch in Bayern und deutschlandweit zu sichern. Studiengänge zum Physician Assistant (PA) lehnte das Ärzteparlament ab. Sie seien nicht einheitlich genug gestaltet und verbrauchten universitäre Kapazitäten, die dringend für das Medizinstudium gebraucht würden. Der Ärztetag warnte vor einer Konkurrenz zu Weiterbildungsplätzen für junge Ärztinnen und Ärzte. Die Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten hingegen müsse über berufsbegleitende Studiengänge und Qualifikationen gefördert und diese erhöhte Qualifikation angemessen vergütet werden.

Auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte müssten endlich adäquat bezahlt werden – z.B. über die Einführung der längst durch das Bundesgesundheitsministerium akzeptierten neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Sollte diese „GOÄ neu“ nicht bis Ende dieses Kalenderjahrs in Kraft treten können, brauche es mehr Informationen zur rechtlich korrekten Anwendung von abweichenden Honorarvereinbarungen bzw. „Abdingungen“. Die Neupatientenregelung müsse beibehalten, eine steuerfinanzierte Energiezulage für Niedergelassene eingeführt werden. Wie für den zahnärztlichen Bereich am 22./23. Juni durch die Gesundheitsministerkonferenz beschlossen, müsse die Ausbreitung investorenbetriebener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ) auch im ärztlichen Bereich gestoppt werden. Fremdinvestoren mit ausschließlichen Kapitalinteressen dürften keine MVZ betreiben.

Im Bereich der Krankenhäuser forderten die Delegierten von der Bayerischen Staatsregierung eine bedarfsorientierte Planung, auch wenn dies womöglich unpopuläre Entscheidungen nach sich ziehe. Die Patientenversorgung dürfe nicht durch die Umsetzung der Mindestmengenregelung leiden. Es müsse sichergestellt werden, dass die verbleibenden Krankenhäuser auch genügend Kapazität hätten, dies aufzufangen, wenn andere Krankenhäuser geschlossen werden.

Der 81. Bayerische Ärztetag brachte leider auch einen Abschied von einigen bekannten Gesichtern mit sich. In München tritt beispielsweise der langjährige 1. Vorsitzende des ÄKBV, Dr. Christoph Emminger, nicht mehr zu den diesjährigen Delegiertenwahlen an. Mit einer bewegenden Ansprache und einem ebenso bewegenden Orgelkonzert in der Regensburger Basilika St. Emmeram verabschiedete sich Emminger von den Delegierten. Für seine Rede wie für sein hervorragendes Orgelspiel erhielt er stehende Ovationen.

Stephanie Hügler

MÄA Nr. 23 vom 05.11.2022