Leitartikel

Arzt und Maschine

Bereits seit über zehn Jahren führen Roboter, von Menschenhand gesteuert, wichtige Funktionen in der chirurgischen Urologie aus. Diese Technik ist die Zukunft, davon ist Prof. Dr. David Schilling, Chefarzt und Direktor der Klinik für Urologie am Isarklinikum München, überzeugt – ein Interview.

Foto: Isarklinikum München

Seit wann arbeiten Sie mit dem chirurgischen Robotik-System und wie kam es dazu, dass Sie in diese Richtung gegangen sind?

Die robotische Chirurgie ist eine Form der minimalinvasiven Chirurgie. Ich arbeite bereits seit zehn Jahren damit. Die Verbreitung dieses „DaVinci“-Systems hat vor allem in der Urologie stattgefunden. Es kam Anfang dieses Jahrtausends auf den Markt, wurde anfangs aber nur spärlich in Deutschland eingesetzt. Damals war ich in Tübingen als Oberarzt für den Bereich der minimalinvasiven Urologie verantwortlich. So hatte ich das Glück, sozusagen als Mann der ersten Stunde damit zu arbeiten.

Wenn Sie die robotische Chirurgie mit der konventionellen minimalinvasiven Chirurgie vergleichen: Was sind die Vorteile?

Vorteile gibt es überall dort, wo auf engstem Raum eine Rekonstruktion stattfinden muss, wo also etwas zusammengenäht oder feine Gewebeteile präpariert werden müssen.Mit den Instrumenten des Roboters habe ich alle Freiheitsgrade der menschlichen Hand: Ich kann damit rotieren, flektieren, antevertieren, etc. Der Manipulator setzt direkt die Bewegungen der menschlichen Hand des Operateurs auf die Instrumente um. Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber den konventionellen laparoskopischen Instrumenten, mit denen ich nur rechts, links, hoch, runter etc. präparieren kann. Manche kritisieren an der robotischen Chirurgie, dass sie länger dauern kann als die konventionelle Chirurgie... In den Anfangszeiten war es tatsächlich so, dass sie länger gedauert hat. Heute steht und fällt aber
alles mit dem Operationsteam: Mit einem gut organisierten Team ist das Gerät innerhalb kürzester Zeit an und wieder abgedockt. So dauert der Eingriff damit nicht länger als bei einer konventionellen Operation. Man sieht das z.B. am Beispiel der radikalen Prostatektomie. In Tübingen haben wir jährlich mehr als 400 ausschließlich offene radikale Prostatektomien durchgeführt, die im Schnitt zwischen zwei und drei Stunden gedauert haben. Die ersten Eingriffe mit dem Roboter haben über vier Stunden gedauert, aber nach einem Jahr waren wir bei zwei bis zweieinhalb Stunden, also sogar fast schneller als vorher. Das System muss hochfahren und führt währenddessen eine Art Selbstcheck durch. Das kann man aber veranlassen, während der OP-Tisch gerichtet wird. Wenn der Roboter an die Instrumente angekoppelt ist, braucht es keine Justierung mehr.  

Gibt es andere Nachteile?

Kritiker führen Nachteile an, die sich für mich aber alle nicht bestätigt haben. Es gibt kein taktiles Feedback, d.h. ich spüre während der Operation nicht, wie hart ein Gewebe ist. Doch das wird durch die dreidimensionale Sicht und die bis zu zehnfache Lupenvergrößerung kompensiert. Mit Erfahrung kann ich sehr gut sehen, welche Qualität ein Gewebe hat. Das lernt man erstaunlicherweise auch sehr schnell. Ansonsten sehe ich zumindest für die Urologie keine Nachteile. Das herkömmliche Modell ist sehr stark auf eine Region gerichtet oder fokussiert. Daher eignet es sich sehr gut für Prostata- oder Nierenoperationen, bei denen ich kein großes Blickfeld in andere Regionen benötige. Dies ist hat die weite Verbreitung z.B. in der Viszeralchirurgie lange verhindert, weil man dort bei den meisten Operationen in mehreren Regionen arbeiten muss. So muss z.B. bei der tiefen Rektumoperation, im Becken präpariert, aber im Oberbauch die linke Kolonflexur gelöst werden.Dafür müsste ich das System abkoppeln, neu ausrichten und wieder ankoppeln. Mit dem neuen System, das seit etwa zwei Jahren auf dem Markt ist, kann man den Patienten aber mit dem Gerät umlagern. 

Für welche Fälle oder Diagnosen ist die robotische Chirurgie geeignet? Gibt es auch urologische Eingriffe, für die sie nicht passt?

Das Operationssystem macht überall dort Sinn, wo man laparoskopisch operieren kann. Manche Eingriffe in der Urologie, etwa Zystektomien, sind damit aber komplizierter. Die Zystektomie funktioniert zwar grundsätzlich sehr gut mit dem Roboter. Wenn man aber beispielsweise einen orthotopen Blasenersatz machen möchte, also eine „Neoblase“ an die Harnröhre anastomisiert, hat man viel Näharbeit, bei der man sich immer wieder neu orientieren und den Darm in die richtige Position bringen muss. Das ist mit unserem System relativ mühsam. Man kann sich damit behelfen, indem über eine Mini-Laparatomie die Neoblase vor dem Abdomen konstruiert wird, der Bauch dann wieder verschlossen und die Harnröhrenanastomose robotisch angelegt wird. Dieses Konzept ist für meine Begriffe aber
nicht wirklich schlüssig. Möglicherweise werden in den nächsten Jahren aber neue – vielleicht auch maschinelle – Nahttechniken entwickelt, die ein intrakorporales Konstruieren der Neoblase erlauben. 

Gibt es Erfolge, die die Überlegenheit von robotischen Systemen gegenüber anderen Operationen zeigen?

Nein, ich denke, das ist die Crux dieses Systems, dass bisher noch in keiner prospektiven randomisierten Studie gezeigt werden konnte, dass es besser ist als die offene Operation. Wenn man ehrlich ist wurde aber bisher noch keine einzige Operationstechnik jemals in einer prospektiven Studie validiert. Wir machen Bypass-Operationen und wissen nicht, ob sie besser sind als andere Techniken. Es gibt zwar prospektive longitudinale Vergleichsstudien, die gewisse Vorteile für die robotische Chirurgie hinsichtlich der Frühkontinenz nach Prostatektomie gezeigt haben, und auch unter Umständen einen besseren Erektionserhalt, aber das sind keine soliden Daten.

Warum haben Sie persönlich sich trotzdem für diese Art zu arbeiten entschieden?

Ich bin fest davon überzeugt, dass das die Zukunft ist – dass in Deutschland in zehn Jahren keine radikale Prostatektomie mehr offen durchgeführt werden wird, weil der minimalinvasive Zugang einfach deutliche Vorteile bietet. Dazu gibt es jedenfalls klare Daten: weniger Blutverlust, geringere Transfusionsrate, kürzerer Krankenhausaufenthalt, schnellere Erholung, schnellere Rückkehr an den Arbeitsplatz. Wenn man einmal gesehen hat, mit welcher Lupenvergrößerung man die einzelnen Strukturen erkennen kann, wie fein man sie mit den winkelbaren Instrumenten präparieren kann, ist man sofort fasziniert. Diese Begeisterung hat mich beflügelt – auch wenn ich natürlich weiß, dass sie keine Evidenz darstellt.

Kann jeder lernen, mit einem Roboter zu operieren?

Die Firma, die die Roboter herstellt, heißt nicht umsonst Intuitive Surgical. Die Steuerung des Systems ist sehr intuitiv. Gerade die Generationen, die mit Computerspielen aufgewachsen sind, werden das Gelernte häufig schnell umsetzen. Das heißt aber nicht, dass die Operationen leicht zu lernen sind. Die Lernkurve ist trotzdem sehr hoch. Es gibt eine sehr gute wissenschaftliche Arbeit von einem australischen Urologen, Thompson, der erst über 3.000 offene radikale Prostatektomien durchgeführt hatte und dann auf den Roboter umgestiegen ist. Er konnte zeigen, dass man zwar hinsichtlich der Operationszeit innerhalb von 50 oder 60 Operationen wieder im Bereich der „normalen“ OP ist, dass die wahre Lernkurve aber bei ca. 200 Operationen liegt – gemessen an der Rate der R1-Resektionen, der Potenz und der Kontinenz. Hinsichtlich der Rezidivrate wurden vergleichbare Ergebnisse erst nach über 220 Operationen erreicht. Man kann also die Technik zwar relativ schnell erlernen, aber um ein Expertise zu entwickeln braucht es viele Hunderte Operationen.

Wird der Roboter auch außerhalb der Urologie eingesetzt?

Weltweit die meisten Eingriffe machen Gynäkologen – zwar nicht in Deutschland oder Europa, aber in den USA. Danach kommen Urologen, Viszeralchirurgen, Thoraxchirurgen und in kleinerem Maße auch HNO-Kollegen. Der Einsatz des Roboters macht überall dort Sinn, wo man auf kleinem Raum nähen muss. Die Limitationen in Deutschland sind derzeit die Kosten. Das System ist mit enormen Kosten verbunden – das sind nicht nur die Anschaffungs-, sondern auch die Betriebs- und Unterhaltskosten.

Zahlen die Kassen den Einsatz?

Da wir ein Fallpauschalen-System haben und die Vorteile der roboterassistierten Chirurgie nie bewiesen worden sind, erhält man dafür die gleiche Fallpauschale wie für eine offene Operation. Für die Kliniken, die ihn einsetzen, bedeutet er einen Imagegewinn. Vor allem aber bleibt man am Puls der Zeit. Letztlich ist es eine strategische Entscheidung für jede Klinik, ob sie mit dem System arbeiten möchte oder nicht. Ich denke allerdings, dass die zunehmende Verbreitung von Operationsrobotern vermehrt zur Zentrenbildung führen wird, da sich das System erst ab einer gewissen Fallzahl amortisiert.

Wie offen sind Ihre Patienten für eine Operation mit dem Roboter? Haben manche nicht Angst davor?

Interessanterweise wurde ich von meinen Patienten in Tübingen und auch später am Uniklinikum Frankfurt, wo ich danach für den Ausbau der robotischen Chirurgie verantwortlich war, oft schon erwartungsvoll gefragt: „Sie operieren aber schon mit diesem Roboter?“ Hier in München muss ich häufig meinen Patienten erst einmal erklären, dass das System nicht autark operiert, sondern dass ich selber die Instrumente damit steuere. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Schwaben grundsätzlich sehr technikbegeistert sind, während Bayern oft doch eher traditionell denken.

Was sollten zuweisende Ärztinnen und Ärzte wissen?

Es würde helfen, wenn sie ihren Patienten nahebringen könnten, dass diese Behandlungsform Vorteile hat, dass aber ein Operateur mit der entsprechenden Expertise den Eingriff durchführen sollte. In München gibt es inzwischen vier solcher Operationssysteme, sodass ich damit rechne, dass die Technik künftig bekannter werden wird. Es gibt nur sehr wenige Kontraindikationen dafür – höchstens, wenn Patienten pulmonal extrem sehr eingeschränkt sind. 


Welche weiteren Entwicklungen gibt es aus Ihrer Sicht aktuell in der Urologie?

In den letzten fünfzehn Jahren ist man bei der Steinentfernung von der Stoßwellentechnik weggekommen. Die Entwicklung der berührungslosen Stoßwellentechnik in München Anfang der 1980er Jahren war eine Revolution. Seit Anfang der 2000er Jahre ist man aber zurück zu invasiveren Verfahren gekommen – durch
die Entwicklung von verkleinerten minimalinvasiven perkutanen und flexiblen Instrumenten. Das ist eine minimalinvasiven Instrumente und der soziale und sozio-ökonomischen Druck haben dazu beigetragen. Patienten müssen heute einfach schneller wieder einsatzfähig sein und möchten den Stein daher mit einem
Mal entfernt haben.


Das Gespräch führte Stephanie Hügler