Leitartikel

Allergie und Umwelt, Zwischen Blütenpollen und Feinstaub

Allergien nehmen deutschlandweit zu. Gleichzeitig wird die Luft scheinbar besser. Wie erklärt sich dieser Zusammenhang? Auf Initiative des ÄKBV-Umweltausschusses sprachen die MÄA mit Prof. Dr. Jeroen Buters, vom Zentrum Allergie & Umwelt (ZAUM) der TU München/Helmholtz Zentrum München.
Allergie und Umwelt, Zwischen Blütenpollen und Feinstaub
Allergie und Umwelt, Zwischen Blütenpollen und Feinstaub

Foto: shutterstock

Herr Prof. Buters, wie hängen Allergien und Luftverschmutzung zusammen?

Luftverschmutzung ist einer, aber nicht der einzige, Grund, wieso die Allergien zunehmen. Die Luft in Deutschland war und ist teilweise nicht gut, und das wirkt sich negativ auf Allergien aus. In epidemiologischen Untersuchungen konnte man zeigen, dass Menschen, die an viel befahrenen Straßen wohnen, mehr Probleme mit Allergien haben. Menschen mit Asthma sollten daher nicht gerade am mittleren Ring wohnen. Zum Glück wird die Luft hierzulande immer besser – zumindest hinsichtlich der zur Zeit gemessenen Parameter wie Ozon, Feinstaub, Stickoxide etc. Die Dieselrußpartikel sind heute allerdings wesentlich kleiner als früher. Und dieser Ultrafeinstaub wird leider kaum gemessen. Die Luftverschmutzung verbessert sich, aber gleichzeitig erscheinen mehr ultrafeine Partikel mit gesundheitsschädlicher Wirkung.

Dass es weniger Ozon gibt ist aber doch z.B. eine gute Nachricht.

Sicher. Wir vermuten aber, dass modernere kleinere Partikel gefährlicher sein könnten als die größeren Partikel von früher. Da wir aber noch zu wenige Messwerte haben, gibt es dazu leider nur wenige gute Studien. Und weil die Luftverschmutzung in Deutschland scheinbar immer besser wird, bekommt man auch weniger Geld für die Forschung. Wir wissen heute grundsätzlich: Wo es Stickoxide gibt, gibt es auch ultrafeine Partikel. Stickoxide aber kommen fast ausschließlich aus Dieselmotoren – als Stickstoffmonoxid. Dieses hat zunächst den Vorteil, dass es das Ozon in den Städten zu Stickstoffdioxid und quasi normalem Sauerstoff „wegreagiert“. Doch sobald dieses mit dem Wind aufs Land getragen wird, entsteht dort unter Einfluss von UV-Licht wieder neues Ozon. Diesen Mechanismus nennt man „Ozonparadox“.

Zurück zu den Städten: Wie sieht es dort mit Allergien aus?

Da bei Asthmatiker*innen Ozon ein Reizfaktor für die Atemwege ist, kann ihnen weniger Ozon eine Verbesserung bringen. Weniger Luftverschmutzung verbessert die Symptome bei Allergiker*innen. Bei der Gefahr, ein Allergiker zu werden deutet derzeit alles darauf hin, dass die Luftverschmutzung dafür nicht mehr der Hauptfaktor ist. Die Zahl der neuen Allergiker*innen nimmt jedenfalls trotz abnehmender Luftverschmutzung immer weiter zu.

Woran liegt das?

Darüber streitet sich die Wissenschaft schon seit Dekaden. Die Allergieentstehung ist ein komplexer Prozess. Aktuell werten wir zum Beispiel eine Studie aus, in der wir die Zahl der Kinder mit Allergien in München („moderne“ Luftverschmutzung) und Davos („saubere“ Luft) vergleichen. Und dabei sehen wir: Kinder in den Bergen haben genauso oft allergische Sensibilisierungen wie Kinder in München – sie haben nur andere! Aus meiner Sicht spielen bei Allergien mehrere Faktoren eine Rolle: Zum Einen die Luftverschmutzung. Zum Zweiten das Mikrobiom, also dass bestimmte Bakterien im Darm vorhanden sind. Der dritte Faktor ist die Genetik: Allergien werden von Eltern über ihre DNA an ihre Kinder weiter gegeben. Die Luftverschmutzung und andere Faktoren könnten Einfluss auf die Methylierung der DNA haben. Diese Methylierung ist zum Glück reversibel, aber sehr langsam.

Sind wir also unserem Erbgut ausgeliefert?

Nur zum Teil: Denn es gibt noch einen vierten Faktor, und den erkläre ich am besten mit der Studie eines Teams um Tari Haahtela von der Universität Helsinki. Die Finnen gehören zu den Völkern auf der Welt, die am meisten unter Allergien leiden. Sie haben daher ein Programm gestartet, das sich auf die einfache Formel bringen lässt: Ran ans Allergen! Sie ermutigen ihre Bevölkerung, viel nach draußen zu gehen, viel Kontakt zu unterschiedlichen natürlichen Stoffen zu haben. Denn wer verschiedenen Allergenen und Bakterien ausgesetzt war, bekommt nachweislich weniger Allergien. Auch wer schon eine Allergie hat, kann sich dieser immer wieder mit höheren Levels aussetzen, solange er oder sie nicht zu sehr darunter leidet. Das Gleiche tun Ärzt*innen ja auch, wenn sie eine Immuntherapie / Hyposensibilisierung durchführen. Wer davon allerdings z.B. starkes allergisches Asthma bekommt, sollte das Allergen so weit meiden, das es gut erträglich ist. Es aber komplett zu meiden könnte bei späterem unbeabsichtigtem Kontakt zu einer besonders starken Symptomatik führen.

Ist die Allergie denn ein Phänomen der Moderne?

Nein, schon bei den alten Ägyptern waren Allergien bekannt. Oder denken Sie an den englischen König Richard III. (1452- 1485), der allergisch gegen Erdbeeren war. Wenn er einen politischen Gegner loswerden wollte, hat er mit ihm gemeinsam Erdbeeren gegessen und diesem anschließend vorgeworfen, er habe versucht, ihn zu vergiften. Dennoch stellen wir fest, dass wir heutzutage vulnerabler gegenüber Allergien geworden sind. Den Grund dafür kennen wir noch nicht. Es gibt aber offenbar keinen Plateauwert, ab dem Allergien nicht mehr zunehmen – ihre Zahl nimmt immer weiter zu.

Welche Rolle spielen dabei CO2 und Klimaerwärmung?

CO2 in der Umgebungsluft alleine (normalerweise bei 0,03 Prozent) fördert keine Allergien, denn bei jedem Atemzug stoßen wir ca. sechs Prozent CO2 aus. Doch auf Pflanzen wirkt CO2 wie ein luftgetragener Dünger, sodass diese mehr produzieren, auch mehr Pollen. Hinzu kommt die Klimaerwärmung, die den gleichen Effekt hat. Dieser Prozess wird allerdings nicht unendlich so weitergehen, denn irgendwann wird dies unseren heimischen Pflanzen zu viel und sie werden sich zurückziehen. Laut einer unserer Modellrechnungen ist das spätestens ab 2070 der Fall.

Darauf könnte man sich als Allergiker*in doch freuen...

Nicht unbedingt, denn durch das Verschwinden heimischer Bäume wie der Birke können sich dann andere Pflanzen verbreiten, die mehr Wärme vertragen. Dazu zählt z.B. die Ambrosia. In den USA ist sie zum Haupt-Allergen aufgestiegen, auch in Ungarn und im Balkan z.B. ist sie bereits weit verbreitet. Sie verfügt über sehr aggressive Pollen und verursacht daher auch viele allergische Probleme bis zum allergischen Asthma. Wenn wir nichts dagegen tun, wird es zwar irgendwann weniger Birken und Birkenpollen geben, aber dafür mehr Ambrosia. Das bedeutet, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Besser wäre, dem vorzubeugen, indem man die Ambrosia aktiv bekämpft, was in Deutschland auch passiert. Melden Sie die Pflanze, wenn sie diese sehen, bei den Behörde (www.lfl.bayern.de/ips/ unkraut/027800/ (Meldeformular)).

Was würden Sie den Politiker*innen auf der Grundlage Ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse raten?

Kenne deinen Feind! Die chemische Luftverschmutzung zu messen ist wichtig, aber auch die biologischen Partikel wie z.B. der Pollenflug müssen gemessen werden. Auf der Website https://pollenscience.eu oder https://ePIN.bayern.de können Sie online die aktuelle Pollenbelastung für verschiedene Orte, auch von einigen außerhalb Bayern, dreistündlich abfragen. Denn die Regierung von Bayern hat zum Glück vor etwa fünf Jahren positiv auf meinen Vorschlag reagiert und das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit damit beauftragt, ein staatlich gefördertes Pollenmessnetz mit vollautomatischer Messung einzurichten. Das elektronische Pollen Informations-System (PIN) ist das erste seiner Art in der Welt und damit ein Leuchtturmprojekt von Bayern Digital. Außerdem muss man wissen: Allergien können starke Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit von Menschen haben, zum Beispiel auf die von Schulkindern und Jugendlichen. Leider wird das Abitur in Bayern aktuell zur Zeit des Pollenflugs der Gräser geschrieben. Dabei ist bekannt, dass bei Allergiker*innen während dieser Zeit die Noten durchschnittlich um eine Note schlechter werden.

Was könnte man sonst noch tun – außer Messen und Aufklären?

Wer stark allergisch ist, sollte selbst wissen, wann die allergieauslösenden Pollen fliegen und dann nicht ausgerechnet an diesem Tag joggen gehen. Am besten wäre es außerdem, das Abitur nicht gerade zur Pollenflugzeit durchzuführen. Zumindest könnte man die Schüler*innen in Räumen mit sauberer Luft arbeiten lassen. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten: Manchmal genügt es schon, die Fenster zuzumachen und drinnen zu bleiben. In vielen Fällen kann auch ein Luftreiniger helfen.

Könnte ein solcher Luftfilter auch Coronaviren herausfiltern?

Ja. Die heutigen Luftreiniger sind ein Traum. Bereits im Jahr 1927 wurden Untersuchungen an holländischen Asthmatiker*innen durchgeführt, denen es nach Kuraufenthalten in Davos besser ging. Man fragte sich damals: Können wir nicht dafür sorgen, dass in Holland die gleichen Luftverhältnisse herrschen wie in den Bergen? Daher haben die Wissenschaftler*innen saubere Luft aus 20 Metern Höhe eingesaugt, und diese durch ein Air Conditioning (Lufttrocknung) in einen Raum geleitet, in dem Asthmatiker*innen übernachten konnten. Die Betten darin haben sie so gereinigt, dass z.B. die Matratzen autoklaviert, also dampfsterilisiert wurden. Vergessen Sie nicht, dass man 1927 noch nicht wusste, dass Hausstaubmilben allergisches Asthma auslösen können. Und siehe da: Den Menschen dort ging es blendend! Die Wissenschaftler*innen schlossen daraus, dass jeder Asthmatiker zu Hause einen Raum mit entsprechend sauberer Luft haben sollte.

Wie leicht findet man einen Luftreiniger, der das kann?

Ich sitze neben einem. Das Gerät misst den Feinstaub in der Luft. Es wird sehr laut, wenn die Feinstaubbelastung hoch ist. Bei geringerer Feinstaubbelastung wird es aber wieder leiser. Es filtert den Feinstaub weg, was auch gut für Asthmatiker*innen ist. Gleichzeitig nimmt es den Pollen, die Hausstaubmilbenallergene und die Coronaviren aus der Luft. So lässt sich die Luftqualität schnell auf ein gutes Niveau bringen. Die Feinstaubbelastung in Schulen ist sehr hoch und überschreitet regelmäßig den Grenzwert für Außenluft von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter für PM10 um das vier bis zehnfache. Das liegt teilweise an den Hautschuppen der anderen Kinder. Für Innenräume gibt es keine Grenzwerte. Wir sehen aber, dass der Innenraumstaub aus Schulen biologisch aktiver ist als der Außenraumstaub. Vielen verschiedenen biologischen diversen Reizen ausgesetzt zu sein, ist gut für das Immunsystem. Immer die gleichen Partikel wie Hautschuppen mit dem menschlichen Mikrobiom darauf einzuatmen ist hingegen nach heutiger Ansicht nicht besonders gesund.

Wie teuer sind solche Feinstaubfilter?

Und was raten Sie den Schulen? Mein Feinstaubfilter kostet ca. 700 Euro, aber es gibt natürlich auch wesentlich teurere oder günstigere Modelle. Filter würden auch dann noch etwas bringen, wenn wir nicht mehr mit dem Coronavirus zu tun haben. Das Allerwichtigste aus meiner Sicht wäre aber, ein CO2-Messgerät in den Klassenräumen zu haben, damit alle merken, wenn ein hoher CO2-Gehalt die Schüler*innen schläfrig macht. Ein weiterer wichtiger Ratschlag wäre, mehr nach draußen an die frische Luft zu gehen. Wir kommen immer wieder auf das gleiche Prinzip: Für das Immunsystem ist es gut, möglichst vielen verschiedenen biologischen Partikeln ausgesetzt zu sein. Die Bedingung dafür ist, dass diese möglichst divers sind: Kühe oder Schafe zu halten, einen Hund zu haben und mit Erde zu spielen ist gesund. In der Schule gibt es meistens aber meistens nur eine Quelle für fremde Partikel – und das ist der Sitznachbar.

Weitere Informationen: Twitter: https://twitter.com/ ZAUMpollen bzw. @ZAUMpollen

Das Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA Heft Nr. 6, Veröffentlichung vom 12.03.2021