Leitartikel

159. Delegiertenversammlung. München Klinik in Not?

Die aktuelle und künftige Situation in Münchner Krankenhäusern war das Thema der 159. Delegiertenversammlung des ÄKBV am 20. November mit geladenen Gästen. Im Mittelpunkt standen dabei die offenen Briefe des Betriebsrats, der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung und der Notaufnahmen der München Klinik an die Stadt München und andere Adressat*innen.
Die München Klinik Harlaching
Die München Klinik Harlaching

Foto: München Klinik

„Die München Klinik ist dabei, vom Weg abzukommen und ihren eigenen Leitsätzen nicht mehr gerecht zu werden“. Das beklagte der Betriebsrat der München Klinik in seinem offenen „Brandbrief“ vom 7. Oktober an Oberbürgermeister Dieter Reiter, Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek sowie die Aufsichtsräte der München Klinik und den Marburger Bund. Die Patientensicherheit und allgemein die Funktionsfähigkeit der Kliniken sei durch „planlos wirkende“ Stellenstreichungen und „Nicht-Mehr-Besetzungen“ gefährdet. Die Arbeitsbedingungen würden zunehmend tarifwidrig und gesundheitsbelastend, eine Mitbestimmung bei den Dienstplänen sei quasi unmöglich. Daher reagiere man nun mit einer „Gefährdungsanzeige“, um zu zeigen, dass die Kliniken ihren „Kernaufgaben in guter Qualität und unter Wahrung der Patientensicherheit“ so nicht mehr gerecht werden könnten.

Weitere Briefe von ärztlichen Teams aus den Notaufnahmen der München Klinik sowie speziell von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung der Inneren Medizin richteten sich in den letzten Wochen an die gleichen Adressat*innen. Aus allen wurde deutlich: In der München Klinik herrscht derzeit Alarmstimmung, weil Personal fehlt. Hintergrund der Briefe ist das Konzept „MüK 20++“ (s. MÄA 15/2024), mit dem die München Klinik auf die geplante Krankenhausreform allgemein und auf ihr dreistelliges Millionendefizit im Speziellen reagiert hat. Das Konzept sieht die Zusammenlegung verschiedener Stationen an wenigen Standorten vor – und damit auch Einsparungen im Personalbereich.

Allerdings hat sich inzwischen z.B. die Inbetriebnahme des Neubaus in Harlaching auf Sommer 2026 verschoben, sodass die jeweiligen Stationen weiterbetrieben werden, ohne dass Personal weiter nachbesetzt wird. „Die immer wieder erbetene personelle Entlastung durch befristete Stellenbesetzungen oder Honorarkräfte wird nach wie vor verweigert“, schreibt der Betriebsrat in seinem Brief.

Die Unzufriedenheit der Klinikmitarbeitenden war ein wichtiger Grund für den ÄKBV, MüK-Geschäftsführer Dr. Götz Brodermann als Vorstand der Geschäftsführung in die Delegiertenversammlung einzuladen, damit dieser zu den aktuellen Vorgängen Stellung bezieht. „Pro Patient muss die Stadt München derzeit 1.500 Euro zuzahlen“, rechtfertigte Brodermann die momentane Lage. Bisher seien in München die Gewerbesteuereinnahmen gesprudelt. Nun aber, in diesen mageren Jahren, müsse auch die Stadt entlastet werden.

Brodermann bemühte sich darum, die Wogen zu glätten: Noch sei keine einzige Ärztestelle abgebaut worden, und überhaupt seien keine betriebsbedingten Kündigungen geplant. Für die nächsten fünf Jahre sei die Stadt auch noch bereit, die Defizite auszugleichen. Doch auch in der Kommune gebe es bereits einen Einstellungsstopp in vielen Bereichen, sodass eine Konsolidierung notwendig werde. Etwa 50 Ärzt*innen weniger sollen künftig bei der München Klinik notwendig sein, sagte der Geschäftsführer. Langfristig sollen es laut einem Bericht der der Süddeutschen Zeitung sogar 100 weniger werden.

Ein wichtiger Grund dafür ist laut Brodermann auch, dass die München Klinik in der Pandemie zu viel Personal eingestellt habe, dass aber mittlerweile weniger Patient*innen behandelt würden. Man bewege sich nun um 15 Prozent unter der Leistung von 2019, habe aber 5 Prozent mehr ärztliche Beschäftigte als vor der Pandemie. Eine Restrukturierung sei deshalb unbedingt nötig, auch in den Notaufnahmen.

Natürlich verstehe er den Brandbrief und könne die Sorgen und Befürchtungen der Mitarbeitenden nachvollziehen, aber: „Die Notaufnahmen werden nicht ausbluten, davon bin ich überzeugt!“ Bereits jetzt seien die Zustände in den Notaufnahmen alles andere als gut. Zu viele Patient*innen in den überfüllten Notaufnahmen müssten zu lange auf ihre Behandlungen warten, und diese unhaltbaren Zustände müsse man durch Umstrukturierungen angehen.

Vieles lasse sich womöglich durch eine bessere Organisation ausgleichen, stellte Brodermann in Aussicht. Derzeit müssten Pflegekräfte im Durchschnitt pro Schicht viele Kilometer gehen. Die dafür nötige Zeit gehe bei der Patientenbetreuung verloren. Durch eine Neustrukturierung und kluge Konzepte ließe sich die durchschnittliche Gesamtstrecke stark reduzieren, sagte der Geschäftsführer. Ziel sei eine Wartezeit der Patient*innen in den Notaufnahmen von nur noch etwa drei Stunden. Brodermann zeigte sich optimistisch, dass sich dies erreichen lasse. Gleichzeitig stellte er eine Umstrukturierung in den Kliniken als alternativlos dar: „Alle Kliniken werden sich verändern müssen“. Es werde künftig nicht mehr, sondern eher weniger Geld im System geben.

Um dies zu bewerkstelligen, plant die München Klinik, nach einer „internen Personalbedarfsberechnung“ einen „externen Partner“ zur Personalbedarfsplanung hinzuzuziehen. Auch dies war Gegenstand der offenen Briefe, etwa der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung. Offenbar stehe schon jetzt fest, dass die Bettenzahl nicht reduziert und das medizinische Leistungsspektrum nicht verändert werden solle, gemäß dem Motto „gleiche Arbeit bei schlechterer Besetzung“, klagten sie an. Stellen würden derzeit „nach dem Zufallsprinzip“ nicht nachbesetzt, was zu unhaltbaren Zuständen führe.

Schon die Hinzuziehung der Boston Consulting Group im Jahr 2014 habe offenbar nichts gebracht und nur Geld gekostet. Auch ohne Hilfe einer Unternehmensberatung sei klar, dass Stellenkürzungen im ärztlichen Bereich die Ausgaben stark verringern könnten. Doch um Ausgabenkürzungen alleine dürfe es in einer Klinik nicht gehen. „Unsere Frage ist: Ist diese scheinbare Lösung tatsächlich nachhaltig im Sinne unsere Patientinnen und Patienten?“ Schon jetzt seien Überstunden und Überlastung die Regel, wie etwa die elektronische Zeiterfassung zeige.

Auch viele Delegierte sehen den geplanten Einsatz einer externen Beratungsfirma sehr kritisch, wie sich bei der Delegiertenversammlung zeigte. Einige wiesen darauf hin, dass es bereits ein qualifiziertes ärztliches Personalbemessungssystem gibt, nämlich das der Bundesärztekammer (ÄPS-BÄK). Dieses befindet sich momentan in der Erprobungsphase. Der Vorstand des ÄKBV München unterstützt die Forderung der Delegierten, künftig das ÄPS-BÄK zu nutzen, statt die Personalplanung einer externen Beraterfirma zu überlassen (s. Pressemitteilung des ÄKBV vom 24.11.2025, s.S.7). „Es ist für uns als Münchner Ärzteschaft inakzeptabel, wenn eine privatwirtschaftliche Beraterfirma die Bemessung der ärztlichen Personalausstattung übernimmt“, sagt Dr. Andreas Schießl, der 2. Vorsitzende des ÄKBV-Vorstands. Hinzu komme die ärztliche Verantwortung als Angehörige eines freien Berufs: „Wir sind weder in der Situation einer Katastrophen- noch in einer Kriegsmedizin, sondern haben eine Individualmedizin. Hier ist jede Ärztin und jeder Arzt in erster Linie verantwortlich – auch vor Gericht – für die Versorgung eines Patienten.“

„Es ist eine große Not zu spüren unter den Kolleg*innen“, betonte bei der Delegiertenversammlung eine weitere Delegierte, und eine andere aus dem hausärztlichen Bereich sagte, dass sie inzwischen niemanden mehr in die Notaufnahme der München Klinik überweise. Man habe sich einfach zu lange nicht um die Prozesse gekümmert, gab Brodermann zu bedenken. Auch acht Stunden Wartezeit in der Notaufnahme gefährdeten die Patientensicherheit. Genau deshalb hole man sich nun Expert*innen zur Personalberatung ins Haus.

„Erst muss man die Strukturen verbessern, bevor man Leute entlässt“, forderte ein anderer Delegierter. Man habe nicht die Zeit, erst die Prozesse zu ändern, sondern müsse schon jetzt die Kosten reduzieren, antwortete Brodermann. 45 Millionen Euro Personalkosten seien momentan nicht refinanziert. Vor Corona habe es bei der Arbeit eine andere Taktfrequenz gegeben. Möglicherweise seien zu viele Beschäftigte die Arbeit im Vollbetrieb nicht mehr gewohnt. Er betonte auch, dass es bei der München Klinik derzeit ausreichend Pflegekräfte gebe. Seien früher auf eine Pflegekraft etwa 1.600 Kontakte gekommen, so liege diese Zahl nun bei 650 Kontakten.

„Wie kann man junge Ärzte dafür gewinnen, in einem solchen System zu arbeiten?“, fragte ein Delegierter, und betonte: „junge Menschen wollen so nicht mehr arbeiten.“ Darauf gebe es keine einfache Antwort, sagte Brodermann. In vielen Häusern verschlimmere die Digitalisierung das Problem. Man müsse gut kommunizieren und die Nöte der Menschen ernst nehmen. Es könne aber nicht sein, dass es einen qualitativen Unterschied bei der Behandlung mache, ob man als Patient*in in Bogenhausen oder in Harlaching in die Notaufnahme komme. In der Regel seien die Chefärzt*innen für die meisten Lösungen verantwortlich, und diese müssten zur Verantwortung gezogen und einbezogen werden, um die Situationen zu entschärfen.

„Der offene Brief der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung hat mir das Herz gebrochen“, sagte ein weiterer Delegierter. Es gelte unbedingt, die ärztliche Weiterbildung zu stärken. Wenn immer mehr Stationen und Fachgebiete geschlossen würden, fehlten diese Weiterbildungsmöglichkeiten an der München Klinik. „Wie wird wohl die medizinische Qualität sein, wenn viele Ärztinnen und Ärzte in die Rente gehen und gleichzeitig kaum noch Weiterbildung stattfindet?“, fragte eine Anwesende. Eine weitere beklagte konkret, dass es durch die Pläne der München Klinik, die Rheumatologie in Bogenhausen zu schließen, dort nun keine entsprechende Weiterbildung mehr geben werde.

„Es ist ein Kulturwandel, über den wir sprechen“, sagte Brodermann als Fazit. Viele kleinere Kliniken hätten sich schon früher konsolidiert. Nun müsse eben auch die München Klinik diesen Prozess durchlaufen.

Einen Vortrag über den aktuellen Stand der Krankenhausreform und seine möglichen Auswirkungen auf Münchens Kliniken hielt bei der Delegiertenversammlung auch Dr. Cornelia Diwersy von der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. Sie stellte klar: Acht von zehn Kliniken sind derzeit defizitär. Seit 2022 gebe es eine ungelöste Inflationslücke, die weiterhin bestehen bleibe. Die Hauptursache dafür seien nicht gedeckte Preisentwicklungen und immer höhere Strukturvorgaben. Während das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) zum 12. Dezember letzten Jahres in Kraft getreten sei, sei noch nicht klar, wann das lang erwartete Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG) wirklich kommen werde, das die Auswirkungen des KHVVG abmildern könnte. Vermutlich werde es frühestens zum Februar 2026 in Kraft treten können, wenn alles glatt geht.

Die Delegiertenversammlung entschied außerdem, zwei Projekte finanziell zu unterstützen: Der von Dr. Mathias Wendeborn ins Leben gerufene Verein „Refudocs“ kümmert sich aktuell vor allem um kranke Geflüchtete aus der Ukraine, die in der Sammelunterkunft im Hotel „Regent“ versorgt werden. Außerdem fördert der ÄKBV die historische Forschung für das Buch des Assistenzarztes Julius Poppel zum Thema „Die Münchner Medizin zur Zeit des Nationalsozialismus“. Poppel veranstaltet seit mehreren Jahren Rundgänge zur Rolle der Medizin in der NS-Zeit. Das Buch soll die Inhalte vertiefen und in die kommenden Generationen weitertragen.

Stephanie Hügler

MÄA 25/26 vom 13.12.2025

 

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