Leitartikel

Umgang mit einem Stromausfall. Blackout in der Praxis

Ein bei Bauarbeiten durchtrenntes Kabel – und schon sind ganze Stadtviertel ohne Strom. Ob und wie Hausarztpraxen in solchen Fällen trotzdem weiterarbeiten können und was eine resiliente Praxis ausmacht, besprach die Vorstandskommission Lebensbedrohliche Einsatzlagen (LbEL). Ein Interview mit Mitglied und Hausarzt Dr. Florian Vorderwülbecke.
Umgang mit einem Stromausfall. Blackout in der Praxis
Umgang mit einem Stromausfall. Blackout in der Praxis

Foto: Shutterstock

Herr Vorderwülbecke, was kann passieren, wenn in einer Praxis der Strom ausfällt, und wie wahrscheinlich ist dies?

Unheimlich viel geht ohne Strom plötzlich nicht mehr – das Licht, der Kühlschrank, eventuell auch Wasser und Abwasser. Die Tür geht vielleicht nicht einmal mehr auf. In den letzten drei Jahren haben wir dies zweimal in unserer Praxis erlebt. Es waren nur kurze Ausfälle: einmal eine halbe Stunde, das andere Mal 90 Minuten – verursacht durch Bauarbeiten in der Nähe. Dass der Strom für ein paar Stunden, vielleicht auch für ein bis zwei Tage weg ist, ist also durchaus möglich und wahrscheinlicher als ein großer Blackout über viele Tage hinweg. Aber auch damit sollte man sich in der Katastrophenvorbereitung beschäftigen. Wir haben uns als Praxis damals gefragt: Wie resilient ist unsere Praxis, wenn der Strom nicht schnell wieder da ist? Ein Stromausfall ist ein interessantes Einstiegsszenario, weil er oft mit anderen Katastrophen oder Krisen verbunden ist.

In einem Workshop gemeinsam mit einem Katastrophenschützer der Berufsfeuerwehr, wollten wir von der ÄKBV-Vorstandskommission LbEL in einem „Planspiel“ klären, welche Fragen sich aus so einem Szenario ergeben: Wie kann ich mich technisch und praktisch darauf vorbereiten? Große Krankenhäuser haben eine Notstromversorgung, und eine Uniklinik ist dazu sogar verpflichtet. Aber für eine kleine Hausarztpraxis ist das eine Kostenfrage. Eine Strombank, die ihren Kühlschrank für zwei Stunden über Wasser hält und mit der Sie Ihr Handy laden können, kostet vielleicht noch unter 1.000 Euro. Wenn Sie aber drei Tage ohne Strom agieren müssen und energieintensive Geräte am Laufen haben, wird es deutlich teurer.

Was kam bei Ihrem „Planspiel“ heraus?

Wir haben uns als Beispiel eine Hausarztpraxis vorgestellt, denn Hausärztinnen und -ärzte übernehmen oft Hausbesuche und sind dadurch auch eine gewisse „Barfußmedizin“ gewohnt. Ich zum Beispiel habe im Hausbesuchsrucksack oder in der Jacke meistens eine Stirnlampe dabei. Ich kann meine Fälle analog dokumentieren und analoge Rezepte ausstellen. Eine Hausarztpraxis sollte sich bei der Vorbereitung auf einen Stromausfall z.B. fragen: Wie kann ich meine Arbeit in der Regelversorgung auch unter erschwerten Bedingungen weitermachen? In den dunklen Monaten wird es oft schon ab 16 oder 17 Uhr finster, und auch morgens beginnen wir unsere Arbeit in der Dunkelheit. Haben wir dazu praktisch keine Chance, weil in unser Hochhaus ohne Strom keine*r mehr reinkommt? In unserem Fall können wir unsere Praxisräume auch „analog“ betreten. Wir können mit sehr billigen Akku-LED-Strahlern Licht machen. Was brauche ich, um analog zu arbeiten? Oft helfen schon Papier und Bleistift sowie vielleicht ein großer Filzstift, um etwas draußen an die Praxistür schreiben zu können. Wir können uns aus unserem Medikamentenvorrat bedienen. Wobei die wenigen Medikamente, die ich als Notfallmedikamente bevorrate oder die ich beim Hausbesuch dabei habe, natürlich ganz schnell leer sein werden. In der Nähe unserer Praxis befindet sich eine Apotheke. Aber vielleicht kann diese keine Medikamente abgeben, weil ihre Tür zu ist, das Lager durch Roboter betrieben wird oder sie nicht mehr abrechnen kann.

Sie haben aber doch selbst nur wenig Einfluss darauf, was „Ihre“ Apotheke dann macht?

Ja, man kann aber vorher miteinander reden. In einer Krise wird man allein nicht besonders viel schaffen. Daher ist es wichtig, sich mit seiner Nachbarschaft zu treffen und das Thema zu besprechen. Das haben wir zum Beispiel nach dem übermäßigen Schneefall im Dezember 2023 getan. Auch während der Coronakrise haben wir uns gegenseitig geholfen. Das hilft uns auch im „normalen“ medizinischen Alltag.

Man sollte auch mit denjenigen sprechen, die für das Praxisgebäude zuständig sind: Gibt es die Möglichkeit, eine elektrische Türe manuell zu öffnen und zu schließen? Und natürlich mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort: Gibt es noch einen Facharzt in der Nähe, der weiterarbeiten kann? Für Fachärzt*innen ist dies oft schwieriger, besonders wenn man viele Maschinen hat. Ein Kernspingerät kann man ohne Strom einfach nicht betreiben.

Haben Sie trotzdem Tipps für Fachärzt*innen?

Diese müssen sich die gleichen Fragen stellen wie wir: Was will und kann ich bei einem Stromausfall tun? Habe ich oder hat mein Personal kleine Kinder oder pflegebedürftige Verwandte, um die wir uns in dieser Lage kümmern müssen? Bin ich überhaupt mobil? Können meine Mitarbeiter*innen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu mir kommen?
Welche Abläufe sind noch möglich? Kann ich als Orthopädin meine Arbeit auch ohne Röntgenbild zumindest teilweise erledigen? Es geht ja auch um Business Continuity. Wenn ich nicht arbeiten kann, mache ich keinen Umsatz, aber die Kosten laufen weiter. Und was wird in einer solchen Lage von mir gefordert? Dies zu beantworten ist Sache der Berufspolitik und der Katastrophenschützer*innen.

Welche Medikamente sollte man immer vorrätig haben, und wie lässt sich das ohne Kühlschrank bewerkstelligen?

Die meisten Medikamente brauchen keinen Kühlschrank. Für akute Probleme empfehle ich Schmerzmedikamente und eventuell Antibiotika gegen Infektionen. Gut wäre es auch, wenn man die üblichen „Volkskrankheiten“ behandeln könnte. In den Listen der Kassenärztlichen Vereinigungen zum p.c.-Bedarf (Sprechstundenbedarf) (s. QR-Code) gibt es Vorgaben dazu, was man vorrätig haben darf. Von den häufigsten Medikamenten sollte man einen kleinen „Handvorrat“ haben, falls sie den Patient*innen kurzfristig ausgehen, damit diese nicht drei Stunden später in einer eh schon überlaufenen Notaufnahme auftauchen. 95 Prozent der Versorgung im Alltag läuft im ambulanten Bereich. Ohne uns schaffen es die Kliniken nicht.

Welche technischen Geräte braucht man?

Während der damaligen sehr kurzen Ereignisse konnten wir etwa zwei Drittel der Patient*innen weiterbehandeln. Wir haben mit Papier-Formularen weitergemacht und diese danach zur Dokumentation eingescannt. Natürlich macht es auch Sinn, noch einen echten Praxisstempel und ein mobiles Kartenlesegerät zu haben.

Unsere Stromausfälle geschahen tagsüber, sodass wir kein Problem mit dem Licht hatten, aber danach haben wir uns die Akku-LED-Strahler besorgt, die wir bei Bedarf schnell irgendwo hinstellen können. Leider war beim ersten Mal auch das Mobilfunknetz innerhalb weniger Minuten tot, sodass wir niemanden mehr anrufen konnten. Grundsätzlich ist es gut, eine „analoge Rückfallebene“ für den Notfall einzuplanen. Vorher über einen solchen möglichen Fall zu reden, ist aus meiner Sicht wichtiger als viel Geld auszugeben.

Natürlich muss man dann eben auch klären, was mit dem Rezept passiert, damit die Patient*innen nicht vor einer verschlossenen Apotheke stehen. Wenn man z.B. mit einem Seniorenheim sehr intensiv zusammenarbeitet, sollte man auch dort nachfragen, wie sie auf einen solchen Fall vorbereitet sind. Ob die Medikamente z.B. 50 Kilometer entfernt beim billigsten Anbieter geblistert werden und die Rezepte dann nicht mehr in diese Apotheke gefaxt oder geschickt werden können und auch der Fahrdienst nicht mehr fährt.

Wie würden Sie im konkreten Fall kommunizieren?

Als erstes würden wir ein Schild draußen an unsere Glastür hängen. Zum Beispiel: „Wir haben geschlossen“ oder „Wir haben mit eigeschränktem Betrieb von 12 bis 15 Uhr geöffnet“. Wenn ich meine Praxis im dritten Stock hätte, würde ich ein Schild an die Eingangstür zum Gebäude hinhängen. In der Krise ist Kommunikation unglaublich wichtig. Die meisten Leute werden Verständnis haben, dass es nicht so perfekt läuft wie sonst und dass wir dann an diesem Tag vielleicht keine Reiseberatung machen.

Was gibt es im Nachhinein zu tun?

Es ist wichtig zu wissen, wie ich danach alles ohne großen Aufwand wieder in meine normalen Abläufe einfließen lassen kann. Müssen wir noch medizinisch nacharbeiten? Gibt es noch etwas mit den Patient*innen oder dem Team zu besprechen? War irgendetwas besonders belastend oder anstrengend? Was würden wir das nächste Mal anders machen? Und natürlich ist dann auch ein großes Dankeschön fällig, wenn die Mitarbeitenden unter derart schwierigen Bedingungen gearbeitet haben. Gleichzeitig kann ein solches Erlebnis ein Team auch zusammenschweißen. Im Katastrophenschutz gibt es den schönen Spruch: Nach der Katastrophe ist vor der nächsten Katastrophe. Man soll es nicht auf die lange Bank schieben, wenn man noch etwas braucht, z.B. den dicken Filzstift oder andere Kleinigkeiten.

Wir in der Vorstandskommission LbEL kommen immer wieder mit Vertreter*innen der Berufsfeuerwehr München zusammen. Es ist erschreckend, wie wenig wir Niedergelassenen uns mit dem Katastrophenschutz beschäftigen oder in konkrete Planungen eingebunden sind.

Ich würde mir wünschen, dass wir insgesamt als Gesellschaft mehr Resilienz entwickeln, denn wahrscheinlich wird es immer wieder schwierige Bedingungen durch Ereignisse der Weltpolitik und eben den Klimawandel geben. Wir sind sehr bequem geworden. Wer hat heutzutage noch einen Wasser- und Nahrungsmittelvorrat oder auch eine gepackte Notfalltasche (s. Empfehlungen BBK) in der Wohnung, mit dem man sich zum Beispiel bei einer Evakuierung aufgrund eines Bombenfundes aus dem zweiten Weltkrieg notdürftig versorgen kann? Auch die Selbsthilfekenntnisse bei kleineren gesundheitlichen Problemen sind leider geschwunden – Dinge, die meine Oma noch selbst behandeln hätte können. Vielleicht müssen wir den Umgang mit Krisen wieder besser lernen. Dann ist es im konkreten Fall auch nicht so anstrengend und nimmt einen nicht so mit.
 

Dieses Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA 24 vom 22.11.2025

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