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Wünschewagen Bayern. Einmal noch...

Der Abschied vom Leben ist nicht einfach – weder für Todkranke noch für die Angehörigen. Die Organisation Wünschewagen Bayern des Arbeiter-Samariter- Bunds (ASB) erfüllt Schwerstkranken und -behinderten einen letzten Wunsch bei einer Fahrt in einem Krankenwagen. Die MÄA sprachen mit einer Mitarbeiterin, der pensionierten Allgemeinärztin Dr. Bettina Stübner.

Frau Dr. Stübner, was ist der Wünschewagen?

Das ist ein Krankenwagen, ein Mercedes Sprinter, der mit allem ausgestattet ist, was ein KTW braucht. Damit erfüllen wir Schwerstkranken oder Schwerstbehinderten einen letzten Wunsch. Das ursprünglich aus Holland stammende Projekt kam 2014 unter dem Dach des ASB nach Nordrhein-Westfalen und hat sich von dort aus im ganzen Bundesgebiet ausgebreitet. In München haben wir in 2016 angefangen. Wir alle fahren oder begleiten den Wünschewagen ehrenamtlich. Bei der Fahrt liegen unsere Fahrgäste entweder auf einem Stryker, also einer Transportliege, oder sie sitzen auf einem sehr bequemen Sessel. Für alle Fahrten brauchen wir vom behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin eine Transportbescheinigung.

Für wen kommt ein Einsatz in Frage?

Für fast jede*n. Wir haben schon 100-Jährige gefahren und immer auch wieder schwer kranke Kinder. Leider nicht mitnehmen können wir nicht mehr transportfähige oder sehr demente Menschen, die von der Fahrt nicht mehr profitieren. Uns geht es aber auch um die Angehörigen, die uns häufig sehr, sehr dank- bar sind. Das hört sich jetzt ein bisschen pathetisch an, aber am Ende einer Fahrt liegen wir uns häufig alle in den Armen.

Wohin fahren Sie zum Beispiel?

Neulich wollte ein alte Dame nur noch einmal auf den Friedhof zum Grab ihres Mannes. Andere möchten noch einmal in den Zoo oder zu einem Fußballspiel. Wir sind aber auch schon bis nach Bibione an die Adria gefahren, oder über zwei oder drei Tage mit Übernachtung bis an die Ostsee. Einmal haben wir einen vom Hals abwärts gelähmten Fahrgast liegend auf die Zugspitze transportiert. Oben auf der Plattform angekommen, hat er sich gefreut wie der sprichwörtliche Schneekönig. Und die Familie, die dabei war, auch. Immer wieder erleben wir, dass Menschen für diesen Tag noch einmal alle Kräfte mobilisieren. Die Freude darauf und darüber, dass ein Herzenswunsch noch in Erfüllung gehen kann, ist oft so groß, dass Dinge gehen, die schon wochenlang nicht mehr möglich waren.

Was ist Ihre Rolle beim Wünschewagen?

Ich mache alles, was anfällt: betreuen, fahren, organisieren, unterhalten…. Im Team sind wir immer mindestens zu zweit: Eine Person fährt, die andere sitzt hinten beim Fahrgast. Wenn jemand sehr schwer ist oder wir sehr weit fahren, sind wir auch manchmal zu dritt. Wer mitmachen möchte, muss das Auto fahren können. Die Neuen fahren heute zwei- oder dreimal bei zwei Erfahrenen zum Kennenlernen mit. Wir haben ein Automatikfahrzeug, und wer seit Jahren Auto fährt, kann auch diesen Wagen fahren.

Gibt es weitere Vorgaben?

Mindestens eine Person im Wagen muss einen medizinischen Hintergrund haben, falls es unterwegs einen Notfall gibt oder z. B. eine Schmerzpumpe bedient werden muss. Wir haben z.B. einen Pfleger aus der Palliativmedizin, aber auch Rettungssanitäter*innen oder Feuerwehrleute im Team. Weitere Kolleg*innen sind natürlich immer sehr willkommen. Gerade für pensionierte Ärzt*innen wie mich ist diese Arbeit ideal und sehr erfüllend. Lei- der sind derzeit nur zwei Ärztinnen im Team, und wir könnten dringend Unterstützung brauchen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sehr für dieses wunderbare Ehrenamt werben. Unter uns sind auch viele Berufstätige, die sich hin und wieder einen Tag Urlaub nehmen oder deren Arbeitgeber sie für die gute Sache für einen Tag freistellen. Einige Rettungssanitäter „feiern“ bei uns auch ihre Überstunden ab.

Wie sind Sie dazu gekommen?

Als ich vor neun Jahren nach 32 Jahren Arbeit in der Praxis aufgehört habe, habe ich ein Ehrenamt gesucht, bei dem ich nicht jede Woche an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zur Stelle sein muss. Wenn bei uns eine Anfrage eingeht, erhalten alle Mitwirken- den eine Mail mit den wichtigsten Daten. Wer keine Zeit oder keine Lust hat, meldet sich nicht.

Was waren Ihre bewegendsten Erlebnisse?

Einmal haben wir eine Frau mit einem Hirntumor aus einem Hospiz zur Hochzeit ihrer Tochter in Wasserburg gebracht. Sie konnte nur auf einer Seite liegend transportiert wer- den, weil sie sonst erbrechen musste und wollte ursprünglich danach sofort wieder ins Hospiz. Nach dem bewegenden Treffen mit der Familie an einem schönen Aussichtspunkt wollte sie aber noch mit zum Kaffee- trinken und später sogar noch zum Abendessen – obwohl sie nichts essen oder trinken konnte. Ihr Sohn war so beeindruckt von unserer Tätigkeit, dass er ab sofort bei uns mitgemacht hat und jetzt einer unserer aktivsten Fahrer ist.

Ein anderes Mal haben wir einen kleinen Jungen von einem Bauernhof aus Niederbayern zum Traktorhersteller John Deere nach Mannheim gefahren. Er hatte eine austherapierte Leukämie und lag in Großhadern auf der Palliativstation. Die Familie fuhr hinterher. Die Firma hatte extra einen Mitarbeiter dafür abgestellt, mit ihm von Traktor zu Traktor zu gehen und ihn darauf Platz nehmen zu lassen. Er durfte die Fahrzeuge anlassen und” brumm brumm” machen. Der kleine Junge war im siebten Himmel. Auch wir Fahrende profitieren von diesen Erlebnissen. Wenn ich nach Hause komme, bin ich zwar meistens psychisch wie physisch mitgenommen. Aber ich habe das gute Gefühl, einem schwerstkranken Menschen einen heiß ersehnten Tag ermöglicht zu haben.

Wer kann wann bei einem letzten Wunsch Kontakt zu Ihnen aufnehmen?

Die Patient*innen selbst, ihre Angehörigen, Freunde oder Bekannte, aber auch z.B. Pflegepersonal oder Ärztinnen und Ärzte. Es ist uns lieb, wenn sich die Menschen eine Woche oder 14 Tage vorher an uns wenden, aber manchmal werden wir auch erst wenige Tage vor dem Tod angefragt. Auch dann versuchen wir, es möglich zu machen. Einer unserer jungen Pfleger aus dem Hospiz in Garmisch wurde einmal angerufen, als er sich gerade einen Fernseher kaufen wollte. Er hat alles stehen und liegen lassen, um sofort eine dringende Fahrt in München zu übernehmen.

Was muss man tun, wenn man mitmachen möchte?

Man kann sich über unsere Website melden (s. QR-Code), muss vorher einen Kurs an einigen Wochenenden besuchen und dann ein paar Mal mitfahren. Auch für uns Mitfahrende gibt es übrigens keine Altersgrenze. Mit 72 bin ich wohl aktuell die Älteste im Team, und ich weigere mich mittlerweile mehr als 75 Kilo schwere Menschen zu tragen. Aber solange ich es schaffe, bin ich dabei, denn es ist einfach eine wunderbare Aufgabe.

Interview: Stephanie Hügler

MÄA 19/2025
 

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