Leitartikel

Münchner Patientenhaus für Krebskranke. Aufgefangen

Bei der Behandlung von Krebserkrankungen werden die Bedürfnisse der erkrankten Menschen häufig übersehen. Das Patientenhaus am Comprehensive Cancer Center (CCC München) / Tumorzentrum München will dies ändern und bietet, zentral gelegen, ein umfassendes Angebot für Erkrankte und ihre Angehörigen.
Münchner Patientenhaus für Krebskranke. Aufgefangen
Münchner Patientenhaus für Krebskranke. Aufgefangen

Foto: Shutterstock

Wie und warum wurde das Patientenhaus gegründet?

Fey: Auf Initiative der Direktoren des CCC München, Prof. Volker Heinemann (LMU Klinikum) und Prof. Hana Algül (TUM Klinikum), habe ich mich in meiner Funktion als Zentrumskoordinatorin am Krebszentrum des LMU Klinikums bei der Entwicklung des Patientenhauses sehr engagiert. Zunächst einmal war die Gründung des Patientenhauses im April 2022 möglich, da uns das LMU Klinikum in großzügiger Weise Räume in der Pettenkoferstraße 8a zur Verfügung stellte. Das Personal wurde von den Projektträgern, dem CCC München/ Tumorzentrum München, der Bayerischen Krebsgesellschaft e.V. und dem Verein lebensmut e.V., miteingebracht. Uns allen war es damals wichtig, dass das Projekt schon während der Planung von unserem 2020 gegründeten Patientenbeirat begleitet wird. Dieser hat uns z.B. dazu beraten, welche Unterstützungsangebote für Krebspatient*innen besonders relevant sind. Zu jener Zeit existierten zwar bereits diverse Angebote in München, diese waren jedoch an unterschiedlichen Orten angesiedelt – etwa in der Pettenkoferstraße, am LMU Klinikum in Großhadern oder am TUM Klinikum Rechts der Isar. Wir wollten alles unter einem Dach vereinen und damit eine zentrale Anlaufstelle für Krebspatient*innen schaffen.

Was ist das Ziel ist des Patientenhauses, und welche Leistungen gibt es dort?

Weiher: Wir möchten eine niedrigschwellige und kostenlose Anlaufstelle für Krebspatient*innen und Angehörige ohne lange Wartezeiten sein. Die Patient*innen müssen keine ärztlichen Überweisungen mitbringen und können auch unabhängig vom Standort ihrer Behandlung ins Patientenhaus kommen. Bei uns gibt es psychoonkologische Beratung, Sozialberatung, die Beratungsstelle für Ernährung und Krebs und die Beratungsstelle für Komplementärmedizin und Naturheilkunde. Wir haben Gruppenangebote für Patient*innen und Angehörige, z.B. den gut etablierten Atemkurs oder, ganz neu, einen Nordic-Walking-Kurs, geleitet von einer ehemaligen Krebspatientin. In monatlichen Informationsveranstaltungen, das sind Online-Webinare, geben unsere Expert*innen aus dem TUM Klinikum oder dem LMU Klinikum eine Einführung zu onkologischen Themen, mit der Möglichkeit, Fragen zu stellen. Ein neues Angebot ist auch eine monatliche Sprechstunde zum Thema Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung, gemeinsam mit der Betreuungsstelle der Stadt München. Münchner Selbsthilfegruppen finden im Patientenhaus Räumlichkeiten. Auch lebensmut hat viele Gruppenangebote, z.B. eine Angehörigengruppe, eine Bewegungs- und Entspannungsgruppe, eine Gruppe für Outdoor-Aktivitäten sowie Angebote für Kinder und Jugendliche mit einem an Krebs erkrankten Eltern- teil: In die Familiensprechstunde kann die ganze Familie kommen oder auch nur die Kinder. Für ältere Menschen gibt es das Angebot „Krebs im Alter“.

Fey: Da sich die medikamentöse Behandlung und die Therapie von Krebserkrankungen deutlich verbessert haben, steigt die Zahl der Menschen, die eine Krebserkrankung bereits überwunden haben. Diese „Cancer Survivors“ haben ganz besondere Fragen und Bedürfnisse: Wie integriere ich mich wieder im Berufsleben? Wie gehe ich mit meiner Familie um? Manche haben immer noch körperliche Einschränkungen durch die Erkrankung bzw. Therapien. Auch diese Bedürfnisse versuchen wir im Patientenhaus aufzufangen.

Welche Rolle spielt der Patientenbeirat?

Kindt: Er setzt sich aus onkologischen Patient*innen verschiedenen Alters und verschiedener Tumorstadien zusammen. Manche von uns leiten außerdem eine Selbsthilfegruppe – so wie ich. Daher kennen wir die Schwachstellen bei der Patientenbetreuung sehr gut. Wir sehen uns als Sprachrohr der Betroffenen. Einmal im Monat treffen wir uns – zweimal pro Quartal online und einmal von Angesicht zu Angesicht. Wir versuchen, Verbesserungspotenziale in der Patientenversorgung aufzudecken, zum Beispiel bei der Sensibilität im Patientengespräch, der Aufklärung der Patient*innen und der Wahrung ihrer Rechte. Zurzeit setzen wir uns z.B. dafür ein, dass Patient*innen bereits bei der Diagnose Infomappen bekommen – mit Informationen zu den Angeboten des Patientenhauses, zum Sozialrecht, zu Selbsthilfegruppen, zur Ernährung oder den Leitlinien der spezifischen Erkrankung. Viele Ärzt*innen haben leider nicht immer die nötige Zeit, ihre Patient*innen vollumfassend aufzuklären. Deswegen müssen diese zu Expert*innen ihrer eigenen Erkrankung werden.

Der Patientenbeirat wirkt auch bei verschiedenen Programmen des CCC mit, zum Beispiel beim Erstellen von Podcasts, an Infoständen oder an Vorträgen bei Patientenveranstaltungen. Zudem unterstützen wir bei den bereits genannten Online-Informationen. Ein wichtiger Punkt in unseren Sitzungen ist die Bewertung von Studienanträgen aus Patientensicht. Dies trägt dazu bei, dass Studien nicht an den Bedürfnissen der Patienten vorbeigeplant werden. Insgesamt begleiten wir die Arbeit des CCC mit einem wohlwollenden, aber auch kritischen Blick im Hinblick auf Patientensicherheit und -zufriedenheit.

Wie besonders ist die Existenz eines Patientenhauses oder auch die Beteiligung des Patientenbeirats daran?

Kindt: Patientenbeiräte gibt es inzwischen in ganz vielen Nationalen Centren für Tumorerkrankungen (NCTs) und CCCs. Wir möchten uns national mit anderen Patientenbeiräten vernetzen. Eine ähnliche Einrichtung wie das Münchner Patientenhaus gibt es noch in Berlin. Aber in der Komplexität und in dieser Vielfalt empfinde ich unser Haus hier in München als einzigartig.

Fey: Genau, mit dieser Anzahl an Partnern ist das Angebot tatsächlich deutschlandweit einzigartig. Als CCC München sind wir Teil des deutschlandweiten CCC-Netzwerks und eines der von der Deutschen Krebshilfe geförderten onkologischen Spitzenzentren. Wir hoffen, dass solche Angebote künftig auch an anderen Standorten aufgebaut werden. Aktuell wird eine bundesweite Umfrage ausgewertet, die die Unterstützungsangebote der Krebszentren deutschlandweit untersucht.

Trägt die Kasse die Leistungen, oder kommen auch Kosten auf die Patient*innen zu?

Fey: Alle Beratungsangebote sind für die Patient*innen und ihre Angehörigen kostenfrei. Nur für Gruppenangebote fällt teilweise eine geringe Teilnahmegebühr an. Die beiden beteiligten Vereine, lebensmut und die Bayerische Krebsgesellschaft, haben beide von der GKV finanzierte Krebsberatungsstellen. Dadurch werden circa 80 Prozent der anfallenden Kosten von der GKV übernommen. Die zusätzlichen Angebote werden durch Spenden und von den beiden Universitäten finanziert.

Welche Herausforderungen gab und gibt es? Und welche Erfolge haben Sie zu verzeichnen?

Fey: Eine Herausforderung ist sicherlich die Finanzierung. In bestimmten Bereichen ist das Angebot noch nicht ausreichend. Für die Sozialberatung z.B. haben wir derzeit nur eine halbe Stelle oder ein bisschen mehr, wenn man die psychosoziale Beratung hinzuzählt. Hinzu kommt die fehlende Bekanntheit bei den Niedergelassenen und vielleicht auch bei kleineren Häusern im Umland, denn wir wünschen uns, dass noch mehr Patient*innen davon profitieren. Ein Erfolg ist sicher, dass wir das Patientenhaus seit seiner Gründung fest etablieren konnten, und dass die Angebote sogar noch ausgeweitet werden konnten. Die Bayerische Krebsgesellschaft zum Beispiel war zu Beginn nur mit einer Beraterin im Patientenhaus vertreten. Inzwischen sind es zwei. Unsere Gruppenangebote konnten wir nach und nach aufbauen. Genauso war es bei der Kooperation mit dem Selbsthilfezentrum München und der Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle der Stadt München. Wir versuchen weiterhin, so viele Angebote wie möglich hier zu zentralisieren. Sehr stolz sind wir darauf, dass das Patientenhaus im vergangenen Jahr den Sonderpreis des Krebspatientenpreises der Bayerischen Krebsgesellschaft erhalten hat.

Wie kann ich als Arzt oder Ärztin meine Patient*innen zu Ihnen schicken?

Weiher: Patient*innen können in allen Behandlungsphasen an uns übermittelt werden: Wir betreuen sie von der Diagnosestellung bis zur Nachsorge und auch darüber hinaus, zum Beispiel durch eine psychoonkologische Beratung für „Cancer Survivors“. Und wir kümmern uns nicht nur um die Patient*innen selbst, sondern auch um deren Angehörige und Familien. Als Ärztin oder Arzt kann man unseren Kontakt einfach weitergeben. Auf der Website des Patientenhauses stehe ich mit meiner Telefonnummer und unserer Email-Adresse. Wir vermitteln die Patient*innen gern an die richtige Beratungsstelle. Betroffene können sich auch direkt an die Berater*innen wenden, deren Kontakte ebenfalls auf der Website stehen.

Gibt es Patientengruppen, die nicht in Frage kommen?

Kindt: Nur diejenigen, die ihre Erkrankung komplett verdrängen. Aber sie würden sowieso nie bei uns anrufen. Denn die Patient*innen oder ihre Angehörigen müssen selbst den ersten Schritt tun und sich bei uns melden. Dann werden sie im Patientenhaus aufgefangen.

Weiher: Wichtig ist: Wir vermitteln supportive Angebote für an Krebs erkrankte Erwachsene über 18 Jahren, ergänzend zur medizinischen Behandlung in der Klinik. Angebote für an Krebs erkrankte Kinder werden aktuell nicht vorgehalten.

Was wären Ihre Wünsche an die Münchner Ärztinnen und Ärzte?

Weiher: Wir möchten, dass noch mehr Patient*innen und Angehörige von unseren Angeboten profitieren können. Interessierte können bei uns zum Beispiel Flyer anfragen und sie dann in den Praxen oder Kliniken auslegen. Interessierte Arztpraxen, Ambulanzen und Kliniken nehmen wir auch gern in unseren Email-Verteiler auf. Darin informieren wir monatlich über die Infoveranstaltungen und neue Angebote.

Dieses Gespräch führte Stephanie Hügler

MÄA 12 vom 07.06.2025