Leitartikel

Ukraine-Hilfe, Gemeinsam gegen Krieg und Leid

Wie ein Schock traf der russische Überfall auf die Ukraine die Welt, aber besonders die Menschen vor Ort. Wie die Hilfsorganisation humedica die Menschen in der Ukraine und Geflüchtete medizinisch und beim Überleben unterstützt, berichtete ihr Geschäftsführer Johannes Peter.
Ukraine-Hilfe, Gemeinsam gegen Krieg und Leid
Ukraine-Hilfe, Gemeinsam gegen Krieg und Leid

Foto: shutterstock

 

Herr Peter, wie helfen Sie als humedica ganz praktisch?

Wir leisten seit über 20 Jahren in Osteuropa Versorgungshilfe. Das heißt wir schicken Hilfsgüter und medizinische Güter an soziale und caritative Einrichtungen, die extrem arme Menschen z.B. in der Ukraine versorgen. Unsere Partnerorganisationen dort haben ein Netzwerk und fungieren als Verteilstationen. Wir beliefern sie mit medizinischen Materialien, damit sie wiederum die Krankenhäuser damit versorgen können. Wegen unserer Statuten, nach denen wir vor allem mit anderen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, arbeiten wir meistens mit Mittlern. Die lokalen Hilfsorganisationen sind auch besser dabei aufgestellt, Spenden weiterzugeben. Wir planen aber, künftig auch direkt mit Krankenhäusern Verträge abzuschließen.

Zusätzlich unterstützen wir über unsere Partner auch die Aufnahme von Geflüchteten – vor allem in Rumänien, Moldawien und in Deutschland. Derzeit planen wir einen medizinischen Einsatz mit eigenen Teams – in den Regionen, durch die Geflüchtete durchkommen.

Wie geht es den Geflüchteten derzeit?

Vor allem unsere Partner haben viel mit ihnen zu tun, aber auch hier in Deutschland sind bereits einige Geflüchtete angekommen. Zum Beispiel haben wir Kinder mit zum Teil sehr schweren Behinderungen mit dem Bus hierher gebracht. Über Social Media erreichen uns viele Nachrichten. Die Menschen dort sind schockiert und traumatisiert. Viele wurden beschossen, obwohl sie in der Vergangenheit immer gute Beziehungen nach Russland hatten. Sie können es nicht verstehen.

Es gibt viele Emotionen, viel Verzweiflung und Angst. Diese Menschen brauchen unbedingt unsere Hilfe und Unterstützung – nicht nur in Deutschland, sondern bis in die Ukraine hinein. Wir helfen diesen Menschen mit medizinischem Material, Nahrungsmitteln und Personal.

Werden eher Geld- oder Sachspenden gebraucht?

Wir fahren zweigleisig, d.h. wir nehmen Großspenden an, vor allem von Unternehmen. Einzelspenden – z.B. 20 Packungen Ibuprofen – können wir aus logistischen Gründen nicht verwerten. Als humedica arbeiten wir unter anderem mit dem Arzneimittel-Großhandel zusammen. Auch andere Firmen, die wichtige Güter produzieren, bitten wir um Sachspenden in größeren Mengen. Wir prüfen die Angebote und entscheiden dann, ob und wie wir sie an unsere Partner weitergeben oder selbst vermitteln können. Ansonsten freuen wir uns natürlich über zweckfreie Geldspenden, denn in Moldawien und Rumänien kaufen wir lokal ein und können dann vor Ort entscheiden, was am Nötigsten gebraucht wird.

Der Gesundheitsminister, Prof. Dr. Karl Lauterbach, hat kürzlich angekündigt, dass im Bereich von Medikamenten, einschließlich BtM, eine Lieferung in die Ukraine auch ohne Ausfuhrgenehmigung nach § 11 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) möglich sein soll. Für uns ist das kein Problem: Wir haben bereits ein Zolllager hier im Haus.

Was wird derzeit medizinisch besonders gebraucht?

Alles, was für die Basis- und Notversorgung nötig ist und was der Rettungsdienst zur Behandlung von Traumata nutzt: Verbandsmaterial, chirurgische Sets zur Versorgung von kleinen bis mittelgroßen Wunden, Schmerzmittel, auch Tourniquets. Das ist allerdings ein Produkt, das wir weniger führen, weil wir darauf achten, dass unsere Hilfsgüter nicht in erster Linie dem Militär zur Verfügung gestellt werden – auch wenn wir nach humanitären Kriterien alle versorgen, die Hilfe brauchen. Wir freuen uns auch über Gerätschaften. Derzeit prüfen wir besonders den Bedarf im pädiatrischen Bereich.

Wie kommen die Hilfsgüter zu Ihnen und dann weiter zu den Menschen?

Auf unseren Social-Media-Seiten auf Facebook und Instagram gibt es einen Aufruf mit den jeweiligen Kontakten. Die Hilfsgüter kommen bei uns meist mit größeren Lieferwagen oder LKWs als Palettenware an. Oft transportieren wir die Güter ganz klassisch mit einer Spedition und klären die Lieferung mit dem Zoll und unserem Partner ab – je nach Sicherheitslage. Unser Partner weiß meist schon vorher, was er bekommt und bespricht dies mit den Gesundheitseinrichtungen. Letzte Woche wurden z.B. von Rumänien aus einige Materialien über die Grenze gebracht. Oder aber über eine Servicesparte des World Food Programmes. Wir fungieren auch als Informanden für andere Hilfsorganisationen, damit diese koordiniert Hilfe leisten können.

Wer sind die Partner genau?

Es sind Hilfsorganisationen vor Ort, die z.B. im Bereich der Kinderversorgung oder in sozial schwachen Siedlungen arbeiten. Oft haben wir auch Sinti- und Romaprojekte. Generell gibt es in vielen Gegenden eine große Armut, durch die Grundbedürfnisse und Behandlungen zu kurz kommen. Die Organisationen sind im Land anerkannt und leisten seit vie[1]len Jahren wichtige Arbeit, auch in Abstimmung mit den dortigen Behörden. Über die Jahre sind viele unsere Freunde geworden. Trotzdem kontrollieren wir ihre Arbeit. Durch unseren sehr engen Katalog an Hilfsgütern, lehnen wir auch Wünsche ab, wenn wir diese nicht für sinnvoll halten. Für unsere gesamten Einsätze gilt: Wir sind keine großen Helden. Wir gehen dienend in den Einsatz. Gleichzeitig haben wir hohe Sicherheits- und Qualitätsstandards. Im Vordergrund steht stets, die Würde der Menschen zu wahren.

Sind Sie als Organisation mit irgendeiner Kirche oder Partei verbunden?

Wir sind eine private Organisation und komplett unabhängig. Wir unterliegen dem „Code of Conduct“ des Roten Kreuzes, haben aber gleichzeitig einen starken Wertekonsens als christliche Organisation. Obwohl wir neutral sind, haben viele von uns einen persönlichen Glauben, sodass wir uns in dieser Situation auch als Team im Gebet vor Gott stellen. Wir sind überkonfessionell und haben einen humanitären Charakter, ziehen aber aus dem Glauben Kraft. Das spiegelt sich teilweise auch in unseren Partnernetzwerken.

Was sind Ihre größten Herausforderungen in dieser Situation?

Die sich ständig verändernde Lage in einem unberechenbaren Konflikt. Dadurch müssen wir alle Strukturen jeden Tag hinterfragen und ggf. neu darüber entscheiden. Wir müssen die Unterstützung und das Interesse vieler Menschen kanalisieren und gleichzeitig die Hilfe für viele andere Länder aufrechterhalten. Aber wir sind ein tolles Team und haben tolle Kolleg*innen.

Gibt es auch positive Erlebnisse bei all diesem Elend?

Ja, zum Beispiel den vorhin erwähnten Bustransport der Kinder mit Behinderung hierher, bei dem wir auch Hilfsgüter mitgeschickt haben. Dass wir den Transport dieser Menschen organisieren und begleiten konnten, treibt mir fast die Tränen in die Augen. Wenn ich ihn nachher sehe, werde ich den Leiter dieser Einrichtung erst einmal coronakonform umarmen und mich einfach freuen.

Unsere Partnerorganisationen kümmern sich sehr liebevoll und familiennah um die Menschen. Dennoch fehlten schon bisher finanzielle Mittel und teilweise auch Wissen über Behinderungen. Ich habe selbst schon in Serbien gearbeitet. Dort haben wir uns zum Beispiel einmal um einen Jungen mit einer schweren geistigen Behinderung gekümmert. Weil er in einem sehr kleinen Haus, einer Art Hütte, lebte und dort wie in einem Käfig eingesperrt war, hat er immer wieder Anfälle bekommen. Wir haben ihn medizinisch versorgt und ihn betreut. Ähnliche Fälle erleben wir an vielen Orten in Osteuropa. Die Menschen dort sind häufig überfordert, wissen nicht, wie sie mit solchen Situation umgehen sollen und haben insgesamt kaum Kapazitäten, sich darum zu kümmern. Als etablierte Organisation mit professionellen Strukturen können wir anderen Organisationen helfen, indem wir ihnen unser Wissen und unsere Informationen zur Verfügung stellen.

Wie können Münchner Ärzt*innen unterstützen?

Natürlich sehr gerne durch Geldspenden. Sachspenden sind in großen Mengen willkommen, sollten aber vorher mit uns abgesprochen werden. Alle, die als Einsatzkraft im Ausland helfen möchten, müssen ein spezielles Training durchlaufen und registriert werden. Das geht leider nicht so schnell. Daher verweise ich auf die Allgemeinverfügung des Gesundheitsministers, dass die Bundesregierung die ärztliche und medizinische Versorgung hier und vor Ort unterstützt. Wir geben gerne Anfragen von Partnern weiter, können aber derzeit nur Menschen aus unserem bereits bestehenden Pool dorthin schicken.

Haben Sie Botschaften an die Münchner Ärzt*innen?

Aktuell ist auch die Unterstützung der Geflüchteten, hier Ankommenden, wichtig. Die Expertise von Ärzt*innen wird dringend gebraucht. Es ist wichtig, dass Ärzt*innen zusammenstehen – ob sie sich nun in andere Initiativen einbringen oder Ressourcen zur Verfügung stellen. Die geflüchteten Menschen sind für jede Unterstützung sehr dankbar. Das sollte uns alle motivieren, unseren Beistand zu leisten, in welcher Form auch immer. Auch als Menschheit ist es unsere Aufgabe, in Krisen als gute Nachbar*innen zusammenzustehen.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Egal, wie schlimm eine Not ist: Im Vertrauen auf Gott muss man immer auf das Beste hoffen und gleichzeitig mit dem Schlimmsten rechnen. In dieser Situation bereiten wir uns auf alles vor. Ich hoffe, dass Gespräche zu einer Verbesserung der Lage führen, befürchte aber, dass uns dieser Konflikt noch weiter beschäftigen wird. Wir müssen uns daher intelligent vorbereiten, sinnvolle Hilfe zu leisten, jede*r an seinem oder ihrem Platz. Diejenigen, die Friedensgespräche führen, sollten sich demütig dafür einsetzen, dass der Konflikt zu einem Ende kommt. Gleichzeitig dürfen russische Mitbürger*innen in Deutschland nicht angegriffen werden. Das Zeichen muss vielmehr sein: Wir reden miteinander und stellen uns zusammen gegen Krieg und Leid.

 

Das Interview führte Stephanie Hügler

 

MÄA Nr. 7 vom 26.03.2022